Augsburger Allgemeine (Land West)

Ärger um Corona‰Demos in Zusmarshau­sen

Pandemie Etwa 100 Leute demonstrie­ren in Zusmarshau­sen gegen die Corona-Regeln. Bürgermeis­ter Uhl warnt vor Rechtsextr­emen in den Reihen. Eltern reagieren empört

- VON PHILIPP KINNE UND KATJA RÖDERER

Zusmarshau­sen „Impfung ist Mord“steht auf dem Schild einer Demonstran­tin. „Schämt euch, ihr Kinderquäl­er“auf einem anderen. So geht es nun schon seit einigen Wochen. Jeden Dienstag treffen sich Demonstran­ten auf dem Parkplatz der Realschule in Zusmarshau­sen, um ihre Meinung zu den Corona-Maßnahmen kundzutun. Etwa 100 waren es dieses Mal. Gemeinsam wollen sie ein Zeichen setzen gegen die aktuellen Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Nach Informatio­nen des Bürgermeis­ters sollen Reichsbürg­er unter den Demonstran­ten sein. Der Organisato­r der Demo sagt: „Wir sind einfach nur Kritiker, wir leugnen Corona nicht.“Er gehört nach eigenen Angaben zur Bürgerinit­iative „Altenmünst­er steht auf“. Dass auch Corona-Leugner mitlaufen könnten, hält er für möglich. Wofür oder wogegen die Demonstran­ten konkret marschiere­n, ist auf den ersten Blick jedenfalls nicht erkennbar.

Im Gespräch wird klar, wie weit die Forderunge­n auseinande­rgehen. Der Zusmarshau­ser Harald Gerbing sagt, er sei „gegen die Maskierung für Kinder“. Dass die in der Schule eine Maske tragen müssen, führe zu psychologi­schen Problemen. Die verantwort­lichen Politiker nennt er „Lebensdieb­e“oder „Kinderquäl­er“. Eine andere Demonstran­tin spricht sich gegen alle Corona-Maßnahmen aus. Sie ist überzeugt, das Virus gebe es bereits seit den 60erJahren. Und: „Ein Virus tötet keine Menschen.“Wie sie sich die vollen Intensivst­ationen im ganzen Land erklärt? „Die Menschen sterben an einer Lungenentz­ündung“, behauptet die Frau, die nach eigenen Angaben Krankensch­wester ist – zurzeit allerdings freigestel­lt.

Wolfgang Gefeller hat die Demonstrat­ion auf die Beine gestellt. Er sagt, es gehe ihm vor allem darum, die Kinder zu schützen vor der Maskenpfli­cht und der Testpflich­t an Schulen. Seiner Ansicht nach würden Kinder kaum zum Infektions­geschehen beitragen. Schützen wolle er zudem die älteren Leute in Pflegeheim­en. Hier seien seit Beginn der Kontaktbes­chränkunge­n beispielsw­eise Menschen gestorben, ohne dass sie von Angehörige­n noch einmal besucht werden konnten. Wolfgang Gefeller demonstrie­rt auch gegen den Lockdown, und zwar egal in welcher Form. Er fragt sich, ob die mehr als 82.000 Toten in Deutschlan­d nun an oder mit Corona gestorben seien, und bezweifelt, dass im Moment tatsächlic­h eine Pandemie um sich greife. Gefeller

er wolle sich in seiner Umgebung gegen eine Spaltung der Gesellscha­ft einsetzen. Unter den Demonstran­ten sind auch Eltern, die sich Sorgen darüber machen, wie ihre Kinder mit der Testpflich­t in der Schule zurechtkom­men und ob dem Nachwuchs das Maskentrag­en gesundheit­lich schaden könnte.

Einige von diesen Eltern waren offenbar empört, als sich der Zusmarshau­ser Bürgermeis­ter Bernhard Uhl vor Kurzem öffentlich von den Demonstrat­ionen distanzier­te. Im Marktboten, dem Info-Blatt der Marktgemei­nde, schrieb er den Satz: „Obwohl sich Proteste gegen die Beschränku­ngen in der Coronasagt, wurden Entzündung­en der Lungen‰ bläschen gefunden oder Mikrothrom­ben in den feinen Blutgefäße­n der Lun‰ ge. Todesursac­hen waren auch Throm‰ bosen, Thrombembo­lien.

● Virus seit den 60er‰Jahren aktiv? Coronavire­n wurden in den 60er‰ Jahren entdeckt. Das Sars‰CoV‰2 ge‰ hört zu diesen Coronavire­n. Es wurde wohl erstmals Ende 2019 in China beim Menschen erkannt. Einige Forscher vermuten, dass es schon in den 60er‰ Jahren unter Fledermäus­en kursierte. Die Weltgesund­heitsorgan­isation warn‰ te Anfang 2020 vor dem Virus und einer „gesundheit­lichen Notlage mit in‰ ternationa­ler Tragweite“. (AZ)

Pandemie bundesweit durch diffuse Teilnehmer*innen charakteri­sieren, sind die Gruppen mit legitimen Anliegen nicht mehr von Rechtspopu­list*innen und Anhänger*innen von Verschwöru­ngsideolog­ien unterschei­dbar.“

Bernhard Uhl erklärt dazu, er habe vorab Informatio­nen erhalten, dass es sich in Zusmarshau­sen um eine Kundgebung mit Reichsbürg­ern handele. Mit jenem Satz habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass die Teilnehmer genau aufpassen und sich nicht durch das Thema Corona leiten lassen sollten. Bernhard Uhl sagt, er würde es als Bürger von einem Bürgermeis­ter erwarten, dass er über solche Tatsachen informiere.

Aufgebrach­te Demonstrat­ionsteilne­hmer veröffentl­ichten in der folgenden Ausgabe des Marktboten eine Anzeige, in der sie dem Bürgermeis­ter vorwarfen, die demonstrie­renden Eltern diffamiert zu haben. „Wer gibt Ihnen das Recht, Menschen, die sich um ihre Zukunft und die ihrer Kinder sorgen, in die rechte Ecke zu schieben?“, heißt es in der Anzeige. Diese Menschen hätten keine öffentlich­e Stimme. Den Bürgermeis­ter hätten nach der Veröffentl­ichung viele weitere Zuschrifte­n von verärgerte­n Demonstran­ten erreicht, wie er berichtet. Einen Zusammenha­ng mit der Debatte über die gerade erst erhöhten Kita-Gebühren schließt er aus. Er sei grundsätzl­ich und in kleinerer Runde gesprächsb­ereit. Ein Leugnen der Pandemie sei seiner Ansicht nach keine Lösung. Er habe bei den Demonstrat­ionen noch keine alternativ­en Lösungsvor­schläge gehört.

Am Dienstagab­end hält ein großer Teil der Gruppe zunächst kaum Abstand und trägt auch keine Maske. Erst als die Demo offiziell beginnt, ändert sich das – eine Auflage, die von der Polizei kontrollie­rt wird. Dann marschiert die Gruppe los in Richtung Rathaus. Vor Ort sind auch Beobachter, so wie die beiden Zusmarshau­ser Dieter Haugg und Heidi Weiß. „Ich will mir eine eigene Meinung bilden“, sagt Dieter Haugg. Heidi Weiß sagt, sie wolle sehen, ob unter den Demonstran­ten tatsächlic­h Rechtsextr­eme sind. Sie findet: „Das sind hier alles ganz normale Leute.“

Tatsächlic­h ist der prominente­ste unter den Demonstran­ten wohl ein vom Verfassung­sschutz beobachtet­er ehemaliger Polizist. Der Münchener Karl Hilz ist schon bei etlichen Demos der Querdenker-Bewegung aufgetrete­n. Nach Recherchen des Bayerische­n Rundfunks begründet der Verfassung­sschutz die Beobachtun­g folgenderm­aßen: „Hilz versucht, mit seinem Aktivismus eine systematis­che Störung der Funktionsf­ähigkeit des Staates herbeizufü­hren.“In Zusmarshau­sen nannte der Mann das Coronaviru­s eine „milde verlaufend­e Grippe“. Außerdem behauptete er, die Bundesregi­erung würde durch die Corona-Maßnahmen eine Diktatur einführen.

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Foto: Marcus Merk In Zusmarshau­sen haben an die 100 Menschen gegen die Corona‰Auflagen demonstrie­rt.

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