Augsburger Allgemeine (Land West)
So macht sich der Brexit im Landkreis bemerkbar
Europa Seit Dezember 2020 ist Großbritannien kein Teil der EU mehr. Wie wirkt sich der Austritt auf Menschen und Firmen im Augsburger Land aus?
Landkreis Augsburg Im Juni 2016 stimmte Großbritannien für den Brexit, seit Ende 2020 ist der Inselstaat kein Mitglied der Europäischen Union mehr. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft: Vom Referendum 2016 bis zum offiziellen Austritt aus der EU haben sich 63 im Landkreis lebende Briten einbürgern lassen. Zum Vergleich: In den vier Jahren vor Referendum waren es nur vier Einbürgerungen. Um die 150 Briten leben derzeit im Landkreis Augsburg, die meisten davon in Königsbrunn, Bobingen oder Neusäß. Dort wohnt der Nordire John Malcolmson, der sich jedoch bewusst gegen den Trend einer Einbürgerung im Landkreis Augsburg stellt.
Der Täfertinger Rentner sagt, dass er seinen britischen Pass niemals für einen deutschen hergeben würde. „Ich bin stolz, britisch zu sein“, erklärt der gebürtige Nordire. Er glaubt, dass die vielen Einbürgerungen daher stammen, dass „die Leute Angst gehabt haben, aus Deutschland rauszufliegen“. Malcolmson selber hat sich von den bürokratischen Änderungen, die mit seinem Aufenthaltsstatus einhergingen, nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Solange ich meine Rente aus Großbritannien bekomme, ist mir alles wurscht“, sagt er.
Da er schon seit den 1970er-Jahren in Deutschland wohnt, glaubt er nicht, dass man ihn so einfach ausgrenzen könne. Dass man bis Ende 2020 eine doppelte Staatsbürgerschaft beantragen konnte, wusste Malcomson nicht. Mit dem Ablauf der Übergangsfrist endete jedoch die Möglichkeit: Nun müssen Briten, die sich einbürgern lassen wollen, tatsächlich den britischen für einen deutschen Pass eintauschen.
Auch die Wirtschaft wurde vom Brexit zum Umstellen gezwungen. Für das Gersthofer Logistikunternehmen Andreas Schmid ist es mittlerweile viel aufwendiger, Waren nach Großbritannien zu transportieren. Pressesprecherin Franziska Herdin erklärt: „Jede einzelne Sendung in das Vereinigte Königreich muss manuell geprüft und nachbearbeitet werden.“Sie sagt aber auch, dass das Unternehmen aktuell von einer intensiven Vorbereitung profitiert.
Dass man sich rechtzeitig auf die Gegebenheiten eingestellt hat, macht sich finanziell bemerkbar: „Durch die neuen Anforderungen
So viele Briten haben sich im Landkreis einbürgern lassen
große Teile des Frachtvolumens nicht mehr einfach im Standard abgewickelt werden. Durch unsere maßgeschneiderten Lösungen konnten wir zusätzliche Kunden für uns gewinnen, da andere Dienstleister nicht die notwendige Flexibilität an den Tag legten oder gar ganz ihre England-Verkehre eingestellt haben.“
Den Fassadenbau-Spezialisten von Seele, ebenfalls aus Gersthofen, macht derweil die Pandemie deutlich mehr zu schaffen als der Brexit. Das Unternehmen, das etwa für die 17 Meter hohe Glasfassade des Frankfurter Messeturms und zahlreiche Bauprojekte des Technologie-Giganten Apple verantwortlich ist, hat einen Standort in London.
Geschäftsführer Andreas Hafner, zuständig für den britischen Teil des Unternehmens, sagt: „Außer der verlängerten Zollabwicklung hat der Brexit bisher keine spürbaren beziehungsweise messbaren Auskönnen
wirkungen für uns. Da sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie wesentlich gravierender, das überlagert alles andere.“Deutsche SeeleAngestellte in Großbritannien sind vom Brexit kaum betroffen: „Unsere deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in London haben alle eine Aufenthaltsgenehmigung. Für die einreisenden Bauleiter und Monteure ist die Administration aufwendiger geworden, aber nichts Dramatisches.“
Auch der Leuchtmittelhersteller Osram hat nur wenige Auswirkungen des Brexits zu spüren bekommen. Das Schwabmünchner Werk sei sogar eigentlich gar nicht betroffen, erklärt Pressesprecher Jens Hack. Die wenigen Sachen, die sich durch den Austritt Großbritanniens aus der EU geändert haben, betreffen den Zoll und Steuern. Auf den Wechsel hatte sich das Unternehmen durch Abklärung der Lieferketten und der Vertriebswege vorbereitet.
Laut einer Studie des Bildungsberaters Weltweiser war Großbritannien 2018 auf Platz eins der beliebtesten Zielländer für einen Schüleraustausch in Europa. Mit dem Deutsch-Britischen Schüleraustauschdienst (DBS) reisen jedes Jahr Schwabmünchner Schüler ins südenglische Dover. Hat der Brexit etwas an der Austauschfreude geändert? „Nein, nicht bei kurzfristigen Aufenthalten von zwei bis vier Wochen“, erklärt Roy Poch vom DBS, der die Schüleraustausche begleitet. Die Nachfrage sei immer noch sehr hoch, für die Fahrt im August ist bereits die Hälfte der Plätze besetzt. Anders ist es, wenn Schüler für ein ganzes Schuljahr nach Großbritannien gehen möchten. „Das ist eigentlich nicht mehr möglich“, sagt er, zu hoch seien die bürokratischen Hürden. Poch erhält viele Anfragen von Eltern, die der Brexit verunsichert. Neben den Unterlagen und der Krankenversicherung gehe es um den Warenverkehr, denn viele Eltern wollen ihren Kindern Gastgeschenke für die Austauschfamilien mitgeben. Poch sagt, dass eine Flasche Wein als Mitbringsel im Zoll kein Problem darstellt. In den kommenden Jahren werden weiterhin Schüler aus Schwabmünchen nach Großbritannien fahren können.
Auch noch im Kontakt mit der Insel steht der Täfertinger Malcolmson, denn seine Schwester wohnt in Nordirland. Für den Rentner änderte der Brexit zwar nicht viel, einen Moment gab es zuletzt aber doch, in dem er die Auswirkungen zu spüren bekam. In Augsburg gibt es einen pakistanischen Lebensmittelladen, der typisches britisches Essen anbietet. Malcolmson geht dort gerne hin. Anfang des Jahres war die Ecke mit den britischen Lebensmitteln aber leer: „Die Verkäuferin meinte, dass die Lieferung nicht mehr ankommt.“Also bat er seine Schwester, ihm die Sachen zu schicken. Das Paket brauchte einige Wochen, bis es in Täfertingen ankam.