Augsburger Allgemeine (Land West)

Heinrich Mann: Der Untertan (51)

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EDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

r hatte Tränen in den Augen, indes Magda wieder einmal errötete. „Und wenn es auch nur ein bescheiden­es Haus ist, die Herzen sind treu.“Er ließ den Gast hochleben, der seinerseit­s versichert­e, er sei immer für Bescheiden­heit gewesen, „besonders in Familien, wo junge Mädchen sind“.

Frau Heßling griff ein. „Nicht wahr? Woher soll denn sonst ein junger Mann den Mut nehmen? Meine Töchter schneidern alles selbst.“Dies war für Herrn Kienast das Stichwort, sich über Magdas Bluse zu beugen behufs eingehende­r Würdigung.

Zum Nachtisch schälte sie ihm eine Apfelsine und nippte ihm zu Ehren vom Tokaier. Wie man dann ins Wohnzimmer ging, blieb Diederich, die Arme um seine beiden Schwestern geschlunge­n, in der Tür stehen. „Ja, ja, Herr Kienast“, sagte er mit tiefer Stimme. „Das ist der Familienfr­iede, den sehen Sie sich nur an, Herr Kienast!“Magda schmiegte sich, ganz Hingebung, an

seine Schulter. Da Emmi von ihm fortstrebt­e, bekam sie rückwärts einen Stoß. „So geht es immer bei uns zu“, fuhr Diederich fort. „Ich arbeite den ganzen Tag für die Meinen, und der Abend vereint uns dann hier beim Lampenschi­mmer. Um die Leute da draußen und den Klüngel unserer sogenannte­n Gesellscha­ft bekümmern wir uns so wenig wie möglich, wir haben an uns selbst genug.“

Hier gelang es Emmi, sich loszumache­n; man hörte sie draußen eine Tür zuschlagen. Ein um so zärtlicher­es Bild boten Diederich und Magda, wie sie sich am mild beglänzten Tisch niederließ­en. Herr Kienast sah nachdenkli­ch den Punsch kommen, den Frau Heßling in mächtiger Bowle still lächelnd hereintrug. Indes Magda dem Gast das Glas füllte, setzte Diederich auseinande­r, daß er dank dieser Beschränku­ng auf die stille Häuslichke­it imstande sein werde, seine Schwestern einmal gut zu verheirate­n. „Denn der Aufschwung des Geschäftes kommt den Mädchen zugut, die Fabrik gehört ihnen mit, ganz abgesehen von der baren Mitgift; na, und wenn dann einer meiner künftigen Schwäger auch noch sein Kapital in den Betrieb stecken will.“

Aber Magda, die Herrn Kienasts Miene besorgt werden sah, lenkte ab. Sie fragte ihn nach seiner eigenen Familie und ob er denn ganz allein sei. Da bekam er gerührte Augen und rückte näher. Diederich saß dabei, trank und drehte die Daumen. Mehrmals versuchte er noch teilzunehm­en an dem Gespräch der beiden, die sich ganz allein zu fühlen schienen. „Na, dann haben Sie also glücklich Ihren Einjährige­n gemacht“, sagte er gönnerhaft und wunderte sich dabei über die Zeichen, die Frau Heßling hinter dem Rücken der andern ihm gab. Erst als sie sich aus der Tür schlich, begriff er, nahm sein Punschglas und ging in das dunkle Nebenzimme­r zum Klavier. Er tastete ein wenig darauf umher, geriet unversehen­s in die Burschenli­eder und sang dröhnend mit: „Sie wissen den Teufel, was Freiheit heißt.“Als er fertig war, horchte er hinüber; es war drinnen aber so still, als sei man eingeschla­fen; und obwohl er sich gern wieder etwas aus der Bowle geschöpft hätte, stimmte er doch aus Pflichtgef­ühl von neuem an: „Im tiefen Keller sitz ich hier.“Da, mitten im Vers, fiel ein Stuhl um, und ein lauter Schall folgte, dessen Herkunft nicht zu verkennen war. Mit einem Sprung war Diederich im Wohnzimmer. „Nanu“, sagte er, kräftig und bieder, „Sie scheinen ja ernste Absichten zu haben.“Das Paar löste sich voneinande­r. „Ich sage nicht nein“, erklärte Herr Kienast. Diederich war plötzlich heftig bewegt. Aug in Auge schüttelte er Kienast die Hand, und mit der andern zog er Magda herbei. „Das ist aber eine Überraschu­ng! Herr Kienast, machen Sie mein Schwesterc­hen glücklich. An mir sollt ihr allzeit einen guten Bruder haben, so wie ich es bisher gewesen bin, das darf ich wohl sagen.“

Und die Augen wischend, rief er hinaus: „Mutter! Es ist was passiert.“Frau Heßling stand gleich hinter der Tür, nur konnte sie, vor übergroßer Bewegung, nicht sofort ihre Beine gebrauchen. Auf Diederich gestützt, wankte sie herein, fiel Herrn Kienast um den Hals und löste sich dort in Tränen auf. Diederich klopfte inzwischen an Emmis Zimmer, das verschloss­en war. „Emmi, komm heraus, es ist was los!“Sie riß endlich die Tür auf, zornrot im Gesicht. „Wozu störst du mich im Schlaf. Ich kann mir schon denken, was los ist. Macht eure Unanständi­gkeiten allein!“Und sie würde wieder zugeschlag­en haben, hätte nicht Diederich den Fuß in den Spalt gesetzt. Streng bedeutete er ihr, für ihr gemütloses Verhalten verdiene sie, daß sie selbst nie mehr einen Mann bekomme. Er erlaubte ihr nicht einmal, sich anzuziehen, sondern zerrte sie mit, wie sie war, in ihrer Matinee, mit aufgelöste­n Haaren. Im Flur entwand sie sich ihm. „Du machst uns lächerlich“, zischte sie – und noch vor ihm erschien sie bei den Verlobten, den Kopf sehr hoch, mit spöttisch musterndem Blick. „Mußte das so spät in der Nacht sein?“fragte sie. „Nun, dem Glückliche­n schlägt keine Stunde.“Kienast sah sie an: sie war größer als Magda, ihr Gesicht, das jetzt Farbe hatte, sah voller aus in dem offenen Haar, das lang und stark war. Kienast behielt ihre Hand länger als nötig; sie entzog sie ihm, da wandte er sich von ihr zu Magda, mit sichtliche­m Zweifel. Emmi ließ auf ihre Schwester ein Lächeln des Triumphes fallen, machte kehrt und verschwand, hoch aufgericht­et – indes Magda angstvoll nach Kienasts Arm griff. Aber Diederich kam, in der Hand ein gefülltes Punschglas, und verlangte, mit seinem neuen Schwager Bruderscha­ft zu trinken.

Am Morgen holte er ihn aus dem Hotel zum Frühschopp­en ab. „Bis Mittag bezähme gefälligst deine Sehnsucht nach dem Weiblichen.

Jetzt müssen wir mal ein Wort unter Männern reden.“In Klappschs Bierstube setzte er ihm die Lage auseinande­r: Fünfunddre­ißigtausen­d bar am Tage der Hochzeit – die Belege waren jeden Augenblick zu sehen – und, gemeinsam mit Emmi, ein Viertel der Fabrik. „Also nur ein Achtel“, stellte Kienast fest; worauf Diederich: „Soll ich mich vielleicht umsonst für euch abrackern?“Ein unzufriede­nes Schweigen entstand.

Diederich stellte die Stimmung wieder her. „Prost Friedrich!“„Prost Diederich!“sagte Kienast. Dann schien Diederich etwas einzufalle­n. „Du hast es ja in der Hand, deinen Anteil am Geschäft zu erhöhen, wenn du Geld einlegst. Wie sieht es denn mit deinen Ersparniss­en aus? Bei deinem großartige­n Gehalt!“Kienast erklärte, im Prinzip sage er nicht nein. Aber noch laufe sein Vertrag mit Büschli & Cie. Auch habe er in diesem Jahr eine beträchtli­che Gehaltserh­öhung zu erwarten, da wäre es ein Verbrechen gegen sich selbst, jetzt zu kündigen. „Und wenn ich euch mein Geld gebe, muß ich selbst ins Geschäft eintreten. Bei allem Vertrauen, das ich dir entgegenbr­inge, lieber Diederich.“Diederich sah es ein. Kienast schlug seinerseit­s etwas vor. „Wenn du einfach die Mitgift auf fünfzigtau­send festsetzte­st!

»52 Fortsetzun­g folgt

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