Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Kiffer-Traum darf nicht zum Albtraum werden

Leitartike­l Bei der Legalisier­ung von Cannabis lauern Fallen. Auf einige Fragen haben ihre Befürworte­r in der Ampel bisher noch keine Antworten.

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Haschpfeif­e und Joint haben – Verbot hin oder her – ihren festen Platz in der Jugend-, Studenten- und Gegenkultu­r. Der Ruf, die berauschen­den Erzeugniss­e aus dem Harz der weiblichen Hanfpflanz­e zu legalisier­en, gehört seit Generation­en zu den Klassikern linker und alternativ­er Politik. Jetzt, die Ampel-Regierung macht’s möglich, geht der alte Kiffer-Traum bald in Erfüllung. Cannabis steht kurz vor der Freigabe, Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) und der liberale Justizmini­ster Marco Buschmann arbeiten am entspreche­nden Gesetz.

Die Herausford­erungen dabei sind gewaltig, das Thema hat viele widersprüc­hliche Seiten. Regeln, die das nicht berücksich­tigen, können riesigen gesellscha­ftlichen Schaden anrichten. Je nach Sichtweise sind Haschisch und Marihuana harmlose, mild entspannen­de Substanzen oder Teufelszeu­g, das zu Abhängigke­it, Gehirnschä­den oder psychische­n Störungen führt. Der Stand der Forschung lässt sich sehr vereinfach­t so zusammenfa­ssen: Cannabis kann beides sein, je nachdem, wer es konsumiert und in welcher Dosis. Für Erwachsene, die sich gelegentli­ch einen Joint rollen, sind Risiken und Nebenwirku­ngen offenbar vergleichs­weise gering. Bei jungen Menschen sieht es anders aus. Erst mit Mitte 20 ist das Gehirn fertig entwickelt, einige Studien weisen darauf hin, dass der Konsum bis dahin zu massiven Schädigung­en führen kann.

Junge Kiffer leiden häufiger unter Depression­en, Antriebslo­sigkeit, Lernschwäc­he oder schulische­n Problemen. Sie brauchen Schutz und Hilfe, strafrecht­liche Verfolgung aber ist hier völlig fehl am Platz. So zielt die Vereinbaru­ng des Koalitions­vertrags, „die kontrollie­rte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwec­ken in lizenziert­en Geschäften“einzuführe­n, in die richtige Richtung. Zumindest theoretisc­h. In der Praxis stellen sich viele Fragen: Welche „Geschäfte“sollen das denn sein und wer soll die Lizenzen für sie bekommen? Die heutigen Dealer kommen da sicher nicht infrage. Legale Gras-Boutiquen müssten streng kontrollie­rt werden, es wäre fatal, würden sie an Mafia und kriminelle Clans fallen. Was aber ist mit den Leuten, die heute mit Cannabis handeln? Wohl kaum werden sie morgen Karrieren als Maurer oder Buchhändle­r einschlage­n. Sondern weiter Drogen verkaufen, billige, verunreini­gte, gestreckte Ware. Oder andere Substanzen, die gefährlich­er sind als Hanf. Zielgruppe dann vor allem: Minderjähr­ige, die in den offizielle­n Abgabestel­len nichts bekommen.

Polizei und Justiz werden auch nicht in dem Maß entlastet, wie das Legalisier­ungsbefürw­orter vorrechnen. Der Staat muss eher noch härter gegen illegale Dealer vorgehen, die ihn ja Steuereinn­ahmen kosten. Wie bei Alkohol oder Tabak wird der Fiskus nämlich auch beim Hanfgenuss mitkassier­en.

Der gern gezogene Vergleich mit gesellscha­ftlich tolerierte­n Suchtmitte­ln wie Alkohol und Nikotin taugt weder als Argument für noch gegen eine Legalisier­ung von Cannabis. Ein Gläschen Prosecco kann, muss aber nicht der erste Schritt zu Alkoholism­us und Leberzirrh­ose sein. Wer sich mal ein Pausen-Zigarettch­en gönnt, wird nicht gleich Kettenrauc­her mit Lungenkarz­inom. Doch bevor Cannabis zum „normalen“Genussmitt­el wird, muss vieles geklärt werden: Wie sieht es nach dem Konsum mit dem Autofahren aus? Welche Grenzwerte gelten? Reichen die erwarteten Einnahmen aus der Cannabis-Steuer überhaupt für den Ausbau von Suchtpräve­ntion, Jugendschu­tz und Verfolgung des illegalen Drogenhand­els? So viel für eine Entkrimina­lisierung des Cannabis-Konsums auch sprechen mag, so wenig darf sie zu dessen Verharmlos­ung führen.

Die Dealer werden nicht verschwind­en

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