Augsburger Allgemeine (Land West)
Schluss mit Lummerland beim FC Augsburg
Fußball Der FCA galt bis vor einer Woche als der kleine, sympathische Verein, der sich ohne große Skandale nun schon über zehn Jahre in der Bundesliga hält. Dieses Image hat in diesen Tagen großen Schaden genommen.
Augsburg Es ist vor den Heimspielen des FC Augsburg Tradition, dass der Augsburger Spielführer am Anstoßpunkt seinem gegnerischen Kollegen eine Original-Marionette aus der Augsburger Puppenkiste überreicht. In dieser Saison war es wieder einmal Lukas der Lokomotivführer. Zude, wird nach jedem FCA-Tor als Hymne „Eine Insel mit zwei Bergen“eingespielt. Es war sicher ein innovativer Schachzug der kreativen Marketing-Mitarbeiter des FCA, 2009 die Puppenkiste im so genannten Branding prominent einzubinden. Unter Branding versteht man den gezielten Aufbau einer Marke, die vom Kunden mit bestimmten Gefühlen und Botschaften assoziiert wird – und lange im Gedächtnis bleibt.
Und da passte das LummerlandImage des weltweit bekannten Marionettentheaters, das in der gemütlichen Augsburger Altstadt direkt neben dem Roten Tor seine Heimat hat, ideal zum FCA. Eine kleine heile Welt, deren sympathische Bewohner mit Kameradschaft, Ehrlichkeit, Zusammenhalt und viel Mut allerhand Abenteuer bestehen. So wie der FCA eben, der seit über zehn Jahren im Konzert der großen Vereine in der Bundesliga mitspielt. Dort präsentierte sich der Klub, wenigstens nach außen hin, als verschworene Einheit ohne große Skandale. Bis zum Freitag vor einer Woche.
Innerhalb von Stunden brach da die Fassade zusammen: Mit dem Rücktritt von Präsident Klaus Hofmann, 54, der am Tag vor dem Saisonausklang zu Hause gegen die SpVgg Greuther Fürth (2:1) offiziell gemacht wurde. Dem medial wohl perfekt inszenierten Abgang von Trainer Markus Weinzierl, 47, in einem Fernseh-Interview direkt nach dem Schlusspfiff. Und dann auch noch mit dem Wechsel von FCARekordspieler Daniel Baier, 38 – aus dem Augsburger Scouting in die Talentfindungs-Abteilung des Ligakonkurrenten VfL Wolfsburg.
Der ehemals starke Mann des FCA, Expräsident und Investor Klaus Hofmann, von einem Entzündungsherd im Körper seit Monaten geschwächt, hatte den schon länger schwelenden Kampf um die Macht im Verein mit den beiden Geschäftsführern Michael Ströll (Finanzen) und Stefan Reuter (Sport) verloren. Nach der Niederlage ihres Unterstützers Hofmann hatten auch Weinzierl und Baier Konsequenzen gezogen. Über die Details des Personalbebens gibt es verschiedene Fassungen. Manche sprechen sogar von Intrigen und Erpressung, die die beiden Geschäftsführer eingesetzt haben sollen. Wie es wirklich ablief, wissen am Ende nur die handelnden Personen. Die schweigen aber seit dem Wochenende – bis auf ein Dementi zu den Schmuddeldetails. In der Gerüchteküche brodelt es trotzdem, wenn auch nicht mehr auf höchster Flamme.
Doch liegt der FCA nur wenige Tage nach dem Klassenerhalt in Trümmern. Braucht er in die zwölfte Bundesligasaison in Folge, die am 5. August startet, gar nicht erst mehr antreten? Ist die bemerkenswerte Erfolgsstory, die mit dem Einstieg von Walther Seinsch im Jahr 2000 begann, beendet?
Größere und kleinere Skandale und Skandälchen gab es beim FCA immer schon. Waren Enttäuschung und Ärger über Jahrzehnte doch treue Begleiter der FCA-Fans. Vor knapp 40 Jahren, 1973 zum Beispiel, war die Euphorie riesig, als Helmut Haller, der berühmteste Fußballer der Stadt, aus Italien zurückkehrte. Die FCA-Fans stürmten das Rosenaustadion („Dieser alte Helmut Haller ist der größte Kassenknaller“, titelte die Bild). Der Bundesliga-Aufstieg wurde in der Saison 73/74 nur knapp verpasst.
Auf der „Insel mit zwei Bergen“war damit der erste Gipfel also fast bezwungen. Danach ging es aber schon wieder bergab. Auch weil das Geld teilweise mit vollen Händen ausgegeben wurde. So wurde 1976 Max Merkel engagiert. Der damalige Startrainer aus München kostete viel Geld, passte aber nicht so richtig in die Fußballprovinz. Es war ein stetiger Abstieg, nur selten unterbrochen mit Anstiegen. Tiefpunkt war dann 2000 die Pleite des damaligen Hauptsponsors Infomatec, deren Gründer Alexander Häfele und Gerhard Harlos später sogar wegen Betrugs verurteilt wurden.
Anstatt sich Richtung zweite Liga aufzumachen, fand man sich erstmals in der Vereinsgeschichte in der viertklassigen Bayernliga wieder. Ohne Geld, ohne Mannschaft.
Die Talsohle war erreicht. Der richtige Zeitpunkt zum Einstieg, befand Walther Seinsch. Der Selfmade-Millionär und Fußballfan, der sein Geld mit den Takko- und Kik
Modemärkten verdient hatte, war 1998 mit 57 Jahren in den Ruhestand gegangen und suchte im Fußball eine Beschäftigung. Bei Schalke 04 und dem SSV Reutlingen wollten sie sein Geld, aber nicht seine Ideen.
Der FC Augsburg aber griff zu. Wie ein Ertrinkender, der verzweifelt einen Rettungsring suchte. Die These von Seinsch, ein Verein könne nur mit einem modernen Stadion im Profifußball überleben, hörte sich in Augsburg erst mal besonders verrückt an. Verliefen sich doch in der Bayernliga zu Beginn seiner Amtszeit im Rosenaustadion nur ein paar hundert Zuschauer. Doch Seinsch behielt recht. Die Arena wurde 2009 eröffnet, sein Geschäftsmodell funktionierte.
Auf dem Weg zu diesem Ziel ging der Unternehmer rigoros vor und hinterließ manchen ratlos. Er konnte stundenlang von der romantischen Seite des Fußballs schwärmen, vom Zusammenhalt der Fans, von der Solidarität mit dem FCA. Einen Moment später aber wieder in den kühlen, emotionslosen Geschäftsmann-Modus umschalten. Das Motto seiner Personalpolitik: „Acht von zehn Personalentscheidungen sind falsch.“Eine Reihe von Trainern und Managern hat er dann auch vor die Tür gesetzt. „Rumms, da waren sie weg“, beschrieb der im November 2018 verstorbene FCAAufsichtsratschef Peter Bircks später einmal das Vorgehen. Jan Schindelmeiser, Frank Ählig, Manfred Paula oder auch Jürgen Rollmann hatten kaum auf dem Managerstuhl Platz genommen, da waren sie schon wieder entlassen. Trainer wie Ernst Middendorp, Armin Veh, Ralf Loose, Holger Fach hatten nur ein Jahr Haltbarkeitszeit. Auch Rainer Hörgl, der den FCA 2006 nach 23 Jahren in die zweite Bundesliga zurückgeführt hatte, erlebte das Ende seines Vertrags nicht als Trainer. Doch fast immer gelang es Seinsch, die nicht zu vermeidenden Streitereien hinter verschlossenen Türen zu halten. Wie beim Abgang von Manager Andreas Rettig. Und bei Aufstiegs-Trainer Jos Luhukay – nach dem mit dem Klassenerhalt gekrönten ersten Jahr Bundesliga in der Vereinsgeschichte im Jahr 2012. Es dauerte, bis Seinsch mit Stefan Reuter den passenden Manager zu Luhukay-Nachfolger Markus Weinzierl gefunden hatte. Aber schon damals bekam das idyllische Bild vom FCA Risse.
Denn der FCA war ein zweigeteiltes Konstrukt. Auf der einen Seite ein fannaher Verein, auf der anderen Seite ein streng geführtes Unternehmen. Der Geschäftsmann Seinsch hatte den Profibereich 2005/2006 in die FC Augsburg 1907 GmbH&Co. KGaA ausgegliedert. Die Vereinsmitglieder stimmten damals mit überwältigender Mehrheit zu. Denn über sein Geld wollte Seinsch schon selbst entscheiden. Die Posten in den Vereins- und KGaA-Gremien besetzte er mit treuen Gefolgsleuten. Seinsch hatte viel Geld und noch viel mehr Zeit investiert. Er wusste über alle Vorgänge im Verein Bescheid, war gerade zu Beginn teils öfters in der Geschäftsstelle als seine Manager. Und er konnte sich immer auf seinen Vertrauten Peter Bircks verlassen. „Er war einer meiner besten Freunde. Beim Fußballerischen hat er sich nicht eingemischt, aber beim Menschlichen war er der Klebstoff zwischen allen Parteien – wie Manager, Trainer und so weiter“, erklärte Seinsch in einem Interview mit dieser Redaktion im November 2021.
So führte Seinsch den FCA. So lernte er Klaus Hofmann ein, den er ab 2012 als seinen Nachfolger aufbaute. Damals war Seinsch schon länger an Depressionen erkrankt. Ende 2014 übernahm dann der gebürtige Buchloer Hofmann die Ämter, später auch die Anteile von Seinsch. Lange Zeit schienen auch die drei Geschäftsführer Hofmann, Ströll und Reuter prächtig zu harmonieren. Mit Trainer Markus Weinzierl wurde der FCA in der Saison 14/15 Fünfter und qualifizierte sich sogar für die Europa League. Die endete in der folgenden Saison mit dem Duell gegen den FC
Duell mit Liverpool war der sportliche Gipfelsturm
Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp in ungeahnten sportlichen Höhen. Bekanntlich unterlag Augsburg dann den Engländern. Markus Weinzierl erzwang wenige Monate später seinen Wechsel zu Schalke 04. Danach begann es hinter der Fassade langsam zu brodeln. SportGeschäftsführer Stefan Reuter hatte bei der Auswahl der folgenden Trainer kein glückliches Händchen mehr. Dirk Schuster, Manuel Baum, Martin Schmidt und Heiko Herrlich konnten an den Weinzierlschen Erfolg nicht anknüpfen.
Hofmann wurde angesichts der stagnierenden sportlichen Entwicklung, die sich Reuter als Hauptverantwortlicher zuschreiben lassen muss, immer unzufriedener und gereizter. Seinen Frust ließ er vor allem intern immer mehr spüren. Und so wandten sich auch die Vertreter in den verschiedenen Gremien immer mehr ab. Auch weil Ströll und Reuter gute Lobbyarbeit in eigener Sache leisteten.
Hofmann hatte gegenüber Seinsch auch einen entscheidenden Nachteil: Während der Ruheständler weite Teile seiner Amtszeit fast immer vor Ort war, muss Hofmann noch sein Brandschutz-Unternehmen Minimax-Viking leiten. In Augsburg war er darum eher selten und nach dem Tod seines Vertrauten Peter Bircks im November 2018 entglitt ihm immer mehr die Kontrolle über das FCA-Konstrukt. Als dann das von Hofmann forcierte Comeback von Weinzierl trotz des zweimaligen Klassenerhaltes scheiterte und sein Versuch, Extrainer Armin Veh in der Geschäftsführung zu installieren, misslang, kam es vor einer Woche zum öffentlichen Zerwürfnis. Es war Schluss mit lustig in der Augsburger Puppenkiste. Der Vorhang zerriss, die FCA-Fans blickten erstaunt, wohl auch schockiert, auf das in diesem Moment zerrüttete Innenleben des Vereins. Folgt jetzt der ungebremste Sturz vom zweiten Gipfel des Lummerlandes, also der Abstieg aus der Bundesliga?
Das Risiko ist groß. Da reicht schon ein Blick auf die Aufsteiger Schalke 04 und Werder Bremen. Ob dazu noch der HSV kommt oder Hertha bleibt, spielt keine große Rolle. Es wird eine Herkulesaufgabe, wieder den direkten Klassenerhalt zu schaffen. Jetzt kann aber auch das Duo Michael Ströll und Stefan Reuter in Ruhe, wenn auch ohne irgendein Korrektiv, arbeiten. Sie haben nun die Möglichkeit, ihre Kritiker mit perfekter Trainerwahl und Kaderzusammenstellung verstummen zu lassen. Solange sie mit dem selbst erwirtschafteten Geld auskommen, brauchen sie auch keine Rücksicht auf die Investorengruppe um Klaus Hofmann zu nehmen.
Langsam legt sich der aufgewirbelte Staub. Markus Weinzierl hat sich am Montag nach einem Laktattest von der Mannschaft verabschiedet. Zuvor hatten sich er und Reuter beim Saisonabschluss auch noch zu einem Gespräch durchringen können. Trainerstab und Spieler sind im Urlaub. Die auslaufenden Verträge enden am 30. Juni. Die Berufung eines neuen Präsidenten des Vereins durch den Aufsichtsrat ist so schnell nicht zu erwarten, der Verein ist auch ohne Klaus Hofmann voll handlungsfähig.
Reuter, Ströll und der Leiter der Lizenzspielerabteilung, Christoph Janker, suchen jetzt mit Nachdruck einen neuen Trainer. Dass der noch nicht feststeht, ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass der FCA vom Weinzierl-Abgang wirklich überrascht wurde. Auf der Kandidatenliste soll neben Enrico Maaßen (Borrussia Dortmund II), Gerhard Struber (RB New York) auch Hannes Wolf (DFB-U19-Trainer) stehen. Und dann muss auch noch eine neue Marionette ausgewählt werden. Der Kasperl würde wieder einmal gut passen. Genug Theater hatte man beim FCA in diesen Tagen ja schon.
Max Merkel kostete den FCA 1976 viel Geld