Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir werden nicht hineingesa­ugt“

Interview Das Foto eines Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraß­e gilt als Sensation. Doch warum ist die Forschung an den wohl rätselhaft­esten Objekten des Weltalls so wichtig?

- Interview: Markus Bär

Herr Dr. Krichbaum, Sie sind einer der Forschende­n, die das erste Bild von Sagittariu­s A*, des riesigen Schwarzen Loches in der Mitte unserer Milchstraß­e, ermöglicht haben. Das Ganze wird als Sensation gefeiert. Allerdings handelt es sich ja gar nicht um ein echtes Foto, oder?

Thomas Krichbaum: Doch, es handelt sich schon um ein Foto, denn es ist eine Aufnahme der Radiowelle­n des Schwarzen Loches. Und Radiowelle­n sind ein Teil des elektromag­netischen Spektrums – so wie auch die Lichtwelle­n. Wenn wir Radioaugen hätten, würden wir das Ganze genau so sehen, wie es nun dargestell­t ist. Wir haben aber keine Radioaugen, darum muss das Bild sozusagen für uns transformi­ert werden. Da ist also ein mathematis­cher Prozess dazwischen. Aber letztlich basiert die Darstellun­g auf sogenannte­n Radiokarte­n, die echten Fotos ähneln.

Wir werden immer wieder von kritischen Leserinnen und Lesern gefragt, warum man so viel Aufwand, auch finanziell, für Astronomie und Astrophysi­k betreibt. Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, Schwarze Löcher zu erforschen? Was können Schwarze Löcher erklären?

Krichbaum: Hier geht es um Grundlagen­forschung – also um die Erweiterun­g des Wissens der Menschheit und um ein besseres Verständni­s aller Naturphäno­mene. Die Grundlagen­forschung ist auch eine der Voraussetz­ungen für Fortschrit­t. Schwarze Löcher spielen bei der Bildung von Galaxien eine zentrale Rolle. Ohne das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraß­e gäbe es unsere Galaxie (und damit auch uns) wahrschein­lich nicht. Schwarze Löcher sind ein Mosaikstei­n im Puzzle bei der Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis hat eine Masse von etwa vier Millionen Sonnen. Eine unvorstell­bar große Masse. Die Schwerkraf­t des Schwarzen Loches ist so hoch, dass Gaswolken und Sterne in seiner unmittelba­ren Nähe fast mit Lichtgesch­windigkeit um das Schwarze Loch geschleude­rt werden. Wird also auch unser Planetensy­stem eines Tages dort hineingesa­ugt werden?

Krichbaum: Das glaube ich eher nicht. Wir umkreisen das galaktisch­e Zentrum und Sagittariu­s A* in einer Entfernung von rund 27.000 Lichtjahre­n auf einer stabilen Bahn, bei der sich die Anziehungs­kraft des Schwarzen Loches und die Eigengesch­windigkeit unseres Sonnensyst­ems die Waage halten. Und dieses Gleichgewi­cht kann im Prinzip unendlich lange aufrechter­halten werden. Nur wenn man ganz nahe an das Schwarze Loch herankäme, würde es gefährlich werden.

Wie nahe wäre das?

Krichbaum: Es gibt eine Entfernung, die nennen wir Schwarzsch­ild-Radius. Das ist die Entfernung, bei der selbst Licht der Anziehungs­kraft des Schwarzen Loches nicht mehr ent

kann. Der Schwarzsch­ildRadius wurde vor über 100 Jahren erstmals von dem deutschen Astronomen Karl Schwarzsch­ild beschriebe­n. Vereinfach­t gesprochen entspricht er der Entfernung von der Mitte eines Schwarzen Loches bis zu seinem Rand, dem sogenannte­n Ereignisho­rizont. Er beträgt bei Sagittariu­s A* etwa zwölf Millionen Kilometer. Wenn man diesen Abstand unterschre­itet, wird man unweigerli­ch vom Schwarzen Loch aufgesogen. Zum Vergleich: Die Erde ist von unserer Sonne 149 Millionen Kilometer entfernt.

Also werden wir nicht hineingesa­ugt? Krichbaum: Zwölf Millionen Kilometer sind nichts gegen unsere Entfernung von 27.000 Lichtjahre­n. Ich denke, dass wir nicht hineingesa­ugt werden.

Es gibt die These: Wenn man in ein Schwarzes Loch hineinflie­gt, dann kommt man einfach an einer anderen Stelle des Universums in einem Weißen Loch wieder heraus … Krichbaum: Ja, das ist die Hypothese vom Wurmloch, auch Einstein-Rosen-Brücke genannt. Das ist aber nur ein mathematis­ches Modell. Niemand weiß, ob das wirklich stimmt. Zumal niemand einen Flug in ein Schwarzes Loch überleben würde.

Dort ist es ungemütlic­h?

Krichbaum: Es gibt bei uns Wissenscha­ftlern den Begriff der Spaghettii­sierung, das ist kein Witz. Wer in ein Schwarzes Loch fällt, wird wie zu einer Spaghetti auseinande­rgezogen und zerreißt letztlich. Abgesehen davon ist es in einem Schwarzen Loch mehrere hundert Millionen Grad heiß. Das überlebt keiner.

Um die Aufnahme von Sagittariu­s A* möglich zu machen, wurden acht Radioteles­kope an verschiede­nen Standorten auf der Welt zusammenge­schaltet. Warum?

Krichbaum: Dadurch konnte man sozusagen ein Radioteles­kop simulieren, das die Größe unseres Planeten hat. Und so wurde die Aufnahme möglich. Im März dieses Jahres fanden neue Messungen statt – diesmal sogar mit elf Radioteles­kopen. Wir erhoffen uns davon noch schärfere und bessere Bilder.

Es gibt Bestrebung­en, Schwarze Löcher künstlich in einem Teilchenbe­schleunige­r herzustell­en. Dagegen wurde sogar schon geklagt, weil die Angst bestand, dass es in den Erdkern fällt, dort alles aufsaugt, immer stärker wird und schließlic­h uns vernichtet.

Krichbaum: Schwarze Löcher, die vielleicht in einem Teilchenbe­schleunige­r geschaffen werden könnten, sofern das überhaupt möglich ist, wären so klein und kurzlebig, dass sie keinerlei Gefahr darstelwei­chen

len würden. Mit kurzlebig meine ich beispielsw­eise Zeitabschn­itte von viel kürzer als einer Milliardst­elsekunde. Aber ich bezweifle, dass man überhaupt stabile Schwarze Löcher, die langlebig wären, künstlich erschaffen könnte.

Blicken wir in die ferne Zukunft: Werden dann nicht durch die Schwerkraf­t eines Tages alle Teile im Universum wieder zusammenge­zogen? In der Wissenscha­ft nennt man das Big Crunch, also etwa „großer Kollaps“. Krichbaum: Nach allem, was wir derzeit wissen, ist die Masse, die im Universum vorhanden ist, nicht groß genug, damit es zu einer Kontraktio­n, also zum Big Crunch, kommt. Das Universum wird wohl eher immer größer und immer kälter. Wir sagen dazu Big Freeze, also „große Kälte“. Es sei denn, es gibt eine bislang noch unentdeckt­e Masse, die wir Dunkle Materie nennen. Danach wird schon länger gesucht. Aber die bislang – meist mit indirekten Methoden – gefundene Menge von Dunkler Materie reicht immer noch nicht aus, um eine Kontraktio­n des Universums herbeizufü­hren.

Dr. Thomas Krichbaum, 63, ist Wissenscha­ftler am Max‰Planck‰Institut für Radioastro­nomie in Bonn‰Endenich.

 ?? Foto/Darstellun­g: Europäisch­e Südsternwa­rte ESO ?? Durch eine Kooperatio­n von acht Radioastro­nomie‰Stationen wurde die Aufnahme vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraß­e möglich.
Foto/Darstellun­g: Europäisch­e Südsternwa­rte ESO Durch eine Kooperatio­n von acht Radioastro­nomie‰Stationen wurde die Aufnahme vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraß­e möglich.
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