Augsburger Allgemeine (Land West)
Und schließlich triumphiert der Frieden in der Ukraine doch
Konzert Auf seiner großen Deutschlandtournee macht das Kyiv Symphony Orchestra in Gersthofen Station – mit besonderer Unterstützung.
Es ist natürlich so viel mehr als ein Konzert. Sonst hätte diese Deutschlandtournee des Kyiv Symphony Orchestra, das am Mittwochabend in der Gersthofer Stadthalle gastiert, zuvor nicht bereits in die prominentesten Häuser wie die Dresdner Semperoper oder die Hamburger Elbphilharmonie geführt, aber auch in den Bundestag. In der Ukraine herrscht Krieg – und 115 Musikerinnen und Musiker des ukrainischen Staatsorchesters aus der Hauptstadt Kiew samt Team und Familien haben hier Aufnahme gefunden, treten auf auf Bühnen hier für Hilfe dort. Und im Publikum sitzen auch Geflüchtete, rund 100 davon gibt es in Gersthofen, rund 6500 im Raum Augsburg, vor allem Frauen und Kinder…
Da beleuchten von Anfang an Farbstrahler im Saal die Holzvertäfelung im nationalen Blau und Gelb. Und zum Abschluss, nachdem in der zweiten Hälfte des knapp zweistündigen Programms Borys Lyatoschynsky
3. Sinfonie mit dem triumphalen „Der Friede wird den Krieg besiegen“endet, spielt das Orchester als Zugabe dann auch noch die ukrainische Nationalhymne – da fließen mitunter Tränen im Publikum, das sich ohnehin komplett von den Sitzen erhoben hat.
Doch leider ist es zunächst auch so viel weniger als ein Konzert. Da treten zu Beginn vor das bereits auf der Bühne versammelte Orchester nämlich statt seines italienischen Dirigenten Luigi Gaggero zunächst nacheinander gleich zwei „Gouvernors“der veranstaltenden Rotarier: Ulrich Gerhard als örtlicher Vertreter und Rainer Lipczinsky für den übergeordneten Regionalverbund, der diesen zusätzlichen Tourmonat des Orchesters ermöglicht hat, das sonst heimkehren hätten müssen dorthin, wo der Proberaum längst zum Militärlager geworden ist. Es präsentiert sich also Rotary Distrikt 1841, der sich um Aufnahme, Unterbringung und die sieben Auftritte der Kiewer (von Marktoberdorf über Andechs bis Bad Wörishofen) gekümmert hat. Ein sicher (mal wieder) ehrenvolles Engagement des Klubs.
Aber eine gesamte Redezeit von fast 20 Minuten, in der wiederholt thematisiert wird, dass die Gäste quasi ein Leben in einem „Feriendorf“organisiert bekommen hätten, dass ihnen auch immer wieder „die Kühlschränke vollgemacht“worden seien? Wo zu den Umständen in der Ukraine nicht viel mehr gesagt wird als Lipczinskys eingestreutes Andersen-Zitat „Musik spricht dort, wo Worte fehlen“? Tue Gutes und spricht darüber, sicher. Aber wie am
Rande solcher existenziellen Krisen stets, setzt sich der Helfende, der zu viel über die seine eigenen Taten spricht und viel weniger über die Untaten im Hintergrund, halt dem Verdacht der Profilierung aus …
Aber dann begann ja doch auch noch irgendwann das Konzert, das als solches betrachtet ein bisschen arg zum Potpourri des Effektvollen neigte. Den Schwerpunkt bildete freilich Ukrainisches. Zum Auftakt gab der komplette Klangkörper des Orchesters mit der Ouvertüre zu Mykola Lysenkos Oper „Taras Bulba“einen mit Pauken und Folklore dröhnenden Gassenhauer; und nach einer ersten Halbierung die Beruhigung bei Beethovens hübsch eingängig angerichteter „Romanze für Violine und Orchester Nr. 2“folgte gleich noch eine zweite Halbierung zum Prunkstück des Abends, wieder ukrainisch: Ein gutes Dutzend Streicher nur noch und Yeven Tankovychs 4. Sinfonie – ein virtuos mit Effekten zwischen laut und leise, Harmonie und Verschiebung spielendes Stück Moderne, ein akustischer Psychothriller aus dem Jahr 1971, der wie die Kunde einer ganz anderen Musikwelt in dieses Programm fiel. Packend. Wäre dies nur ein Konzert gewesen, man hätte sich viel mehr davon gewünscht.
So aber bildete charakterlich wohl eher die Erzählung von Dirigent Luigi Gaggero zur folgenden Sinfonie Lyatoschynskys das Herzstück dieses Abends. Dessen triumphales Finale des Friedens nämlich war zur Uraufführung 1951 von den SowjetVerantwortlichen kassiert und durch etwas ersetzt worden, das der Dirigent „eine akustische Militärparade“nannte. Martialisches statt pazifistisches Pathos also. Der 1968 gestorbene ukrainische Komponist selbst habe die Aufführung seines Friedenssieges nicht nicht mehr erlebt. „Aber“, so Gaggero nun, 2022 und es ist Krieg in der Ukraine, „wir heute sind sehr froh, diese Version spielen zu können“. Eine Rückeroberung. Und so triumphieren immerhin in einer zu knapp zwei Drittel gefüllten Gersthofer Stadthalle: die Rührung und die Hoffnung.