Augsburger Allgemeine (Land West)
Er ist seit zehn Jahren ein „Held“
Porträt Das Projekt „Heroes“, das sich mit Ehrenkulturen beschäftigt, wird zehn Jahre alt. Hayati Kasli ist von Anfang an dabei. Er weiß, wie wichtig die Kampagne für muslimisch-geprägte junge Männer ist.
Hayati Can Kasli – dunkelgrüner Pullover, weißes Hemd und dunkelblaue Chinohose – wirkt seriös. Seriöser als manch andere in dem Alter. Ob das am Lehramtsstudium liegt? Dass er Lehrer für Mittelschule werden will, hat sich durch die „Heroes“herauskristallisiert. So heißt das Projekt des Vereins „Die Brücke“, der Jugendhilfemaßnahmen anbietet und Präventionsprojekte an Schulen durchführt. Zielgruppe der „Heroes“sind junge Männer aus sogenannten Ehrenkulturen. Das Augsburger Projekt, das nun zehn Jahre alt wird, soll ihnen aufzeigen, wie wichtig Gleichstellung von Mann und Frau für die Gesellschaft ist. Der 25-Jährige ist von Anfang an mit dabei. Er erinnert sich, wie es begann.
„Meine Ethiklehrerin am AnnaGymnasium kam damals auf mich zu.“Kaslis Eltern stammen aus der Türkei. Er ist in Augsburg groß geworden und zweisprachig aufgewachsen. Zu jener Zeit stach er als junger Deutsch-Türke an der Schule heraus. „Meine Mitschüler waren alle deutsch. Kaum jemand dort war in der gleichen Situation wie ich und hatte sich mit einem traditionellen Männerbild und Geschlechtergerechtigkeit auseinanderzusetzen.“Bei den „Heroes“konnten sich Männer aus der jugendlich-muslimischen Gemeinschaft untereinander über Ehre austauschen. „Vor allem Weiblichkeit und Keuschheit beschäftigte uns. Da ging es um Fragen wie, wie behandelt man die eigene Schwester? Was erlaubt man und was nicht?“Inzwischen stünden andere Themen im Vordergrund, wie Homosexualität und Transsexualität. Hier bestehe noch großer Redebedarf, stellt er fest.
Der junge Augsburger mit Migrationshintergrund sagt, das „Heroes“-Projekt sei prägend für seine eigene Identitätsgeschichte gewesen. „Man lernt viel über Kommunikation und Toleranz“, meint er, während er nachdenklich seinen Ausweis im Geldbeutel hin- und herschiebt. Schließlich gehe es bei den Treffen der jungen Männer aus Ehrenkulturen ans Eingemachte. Da kochten die Emotionen auch mal über und es werde laut. „Gelernt habe ich, dass es nicht nur eine Meinung gibt, sondern verschiedene Blickwinkel.“
Debattiert werde nicht nur über Ehre, sondern auch über Gewalt und Integration. „Es geht um einen Austausch. Nicht um ein Durchsetzen der eigenen Meinung“, sagt er. Dadurch werde ein Denkprozess angestoßen, sodass man „sich einfach mal mit der eigenen Identität beschäftigt.“Das Projekt biete genau das, was Hayati Kasli sich mit 16 Jahren bereits gewünscht hatte: Einen geschützten Raum, in dem man alles sagen kann, was man denkt.
Hayati Kasli entschied sich bereits nach dem ersten Workshop für
das einjährige Ausbildungsprogramm. Noch heute pflege er mit dem Gruppenleiter Steve Malki guten Kontakt. Nach zehn Jahren kennen sich die beiden Männer recht
gut. Zum Ende der „Hero“-Ausbildung erhielt Hayati Kasli als einer der ersten das Abschluss-Zertifikat. „Da fühlt man sich großartig. Diese Anerkennung, die man bekommt.
Dafür, dass man sich mit etwas Nicht-schulischem auseinandersetzt.“
Ab diesem Zeitpunkt gab der Augsburger als frischgebackener „Hero“selbst Workshops. „Plötzlich hatte ich keine Angst mehr von Präsentationen.“Das positive Feedback spornte ihn am meisten an. Durch die sogenannte „Peer-topeer-education“sollen Jugendliche von anderen Jugendlichen lernen. Der schönste Moment in den letzten zehn Jahren war für ihn, als ein einst straffälliger Jugendlicher, mit dem er einen Workshop machte, ihn später immer noch grüßte. „Es zeigte mir, dass er meine Arbeit anerkannte. Dass ich bei ihm etwas erreicht habe.“
Es sind Erfahrungen, wie diese, die Hayati Kasli dazu bewegen nicht in die Politik, sondern in Richtung Lehrer zu gehen. Seine Eltern sind auf sein ehrenamtliches Engagement stolz. Aktuell arbeitet Kasli als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Europäische Regionalgeschichte an der Universität in Augsburg. Seit 2020 ist er mit dem Examen fertig. In das Referendariat startet er im September. Zuvor hat er noch einen Master an der Universität in München eingeschoben. Sein Thema: Lichtästhetik im Nationalsozialismus. Regionalgeschichte interessiert ihn „auch über Bayern hinaus“, sagt er.
Am wichtigsten sind für Hayati Kasli „Authentizität und gegenseitiges Zuhören.“Seine Rolle als „Hero“und Vorbild nimmt er mit in den Beruf des Lehrers. „Gerade an der Mittelschule kann man gut ansetzen.“