Augsburger Allgemeine (Land West)
Müllsammeln ist sein neues Hobby
Porträt Hannes Gaschnig hat sich erst gewundert, dann geärgert und schließlich gehandelt. Jetzt geht er an einem idyllischen Ort auf Tour und fischt Erstaunliches aus dem Wasser.
Blühende Kastanien und stilles grünes Wasser, auf dem Enten schwimmen: Der Augsburger Stadtgraben beim Jakobertor ist ein scheinbar perfektes Idyll, aber nur auf den ersten Blick. Wer genauer hinschaut, sieht Müll. Anwohner Hannes Gaschnig hat ein Auge dafür, wo sich im romantisch anmutenden Grün versteckte Abfälle von Passantinnen und Passanten ansammeln. Zuerst hat er sich über all diesen Schmutz geärgert. Dann hat er beschlossen, etwas dagegen zu tun. Der 36-Jährige machte Müllsammeln am Stadtgraben zu seinem neuen Hobby – und verfolgt damit einen Plan.
Es ist ein sonniger warmer Tag im Mai. Viele Augsburgerinnen und Augsburger gehen am Stadtgraben spazieren. Gaschnig greift stattdessen zu einer Müllzange, Handschuhen und Abfallsäcken und startet zu seiner nächsten Sammeltour. Schon nach ein paar Schritten am Kanal entlang wird er fündig. Mit seiner langen Greifzange zieht er weggeworfene Bier- und Weinflaschen aus dem Wasser. Aus dem Grün am Ufer fischt er Getränkekartons und verschiedenste Lebensmittelverpackungen aus Alu und Plastik. Der Augsburger weiß inzwischen, an welchen Stellen er suchen muss: „Das Wasser fließt langsam, da verfängt sich viel in den herunterhängenden Ästen.“
Müllsammeln ist für den 36-Jährigen eine neue Freizeitbeschäftigung. Er begann damit, als er im Februar in die Nähe des Stadtgrabens zog und im Homeoffice arbeitete. In der Mittagspause drehte er immer eine Runde am Wasser entlang. „Die Natur dort ist echt schön, aber es lag so viel Müll herum, dass es mich aufgeregt hat“, erzählt er. „Ich fragte mich, wer macht das weg?“Irgendwann kam der Punkt, an dem er es nicht mehr tatenlos mit ansehen konnte. Er bestellte sich für ein paar Euro einen Müllgreifer im Internet und zog los, um den Abfall in
Eigenregie einzusammeln. „Ich habe mir eine kleine Aufgabe daraus gemacht, mein Umfeld zu säubern und darüber Tagebuch zu führen“, erzählt der Umweltwissenschaftler, der beruflich bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) mit Sitz in München arbeitet. Dort organisiert er Bürgerdialoge für Digitalisierung und digitale Infrastrukturen.
Gaschnig ist nicht regelmäßig als
unterwegs, aber immer mal wieder, wenn es zeitlich passt. Dabei kommt einiges zusammen. Sein Rekord seien rund 200 Kilo Abfall innerhalb einer Woche gewesen. Den sammelte er am Stadtgraben allein auf der relativ kurzen Strecke zwischen Jakobertor und Gänsbühl. Was er leistet, bleibt auch an diesem Tag nicht unbemerkt. Zwei ältere Damen begegnen ihm auf ihrem Spaziergang. Sie
klatschen spontan Beifall. „Ich ärgere mich über jedes Teil, das herumliegt“, sagt die eine. Gaschnig bekommt öfters Applaus von Passanten. Den dürfte er verdient haben. Denn sein Hobby hat tückische Seiten.
Wenn er Pech hat, tappt er im Ufergrün auf weggeworfene Tüten mit Hundekot. Für ihn seien es „Tretminen“, sagt er. Ärgerlich findet er, wenn Grünanlagen am StadtMüllsammler bach gemäht werden, ohne dass die zuständigen Mitarbeiter vorher herumliegende Abfälle einsammeln. „Der Müll ist dann gehäckselt, die Einzelteile wieder herauszuziehen kostet mich Stunden.“Erstaunlich ist auch, dass neben den Sitzbänken am Wasser besonders viele Reste herumliegen, etwa Kronkorken und Kippen. Dabei könnte man sie gleich daneben in Abfallkörben entsorgen.
Der Hobby-Müllsammler macht sich auf seinen Touren viele Gedanken, wie man etwas verbessern könnte. Gerade am Stadtgraben fände er Abfallbehälter im Boden mit Deckel sinnvoll. Denn aus den Drahtkörben weht es leichte Verpackungen oft ins Wasser, wo man sie nur mühsam wieder herausfischen kann. Auch Krähen, die in den offenen Körben nach Futter suchen und den Abfall verstreuen, tragen nach seinen Beobachtungen zu dem Problem bei. Gut fände der Augsburger auch städtische „Waste-Watcher“nach dem Vorbild der Hamburger Stadtreinigung, die Passanten speziell für umweltschädliche weggeworfene Zigarettenkippen sensibilisieren und zur Kasse bitten.
Manchmal ist es einfach nur kurios, was Hannes Gaschnig alles im Kanal entdeckt. An diesem Tag fischt er eine elektrische Küchenmaschine aus dem Wasser. Zu seinen ungewöhnlichsten Funden zählt er einen Laptop, eine Wasserpfeife, mehrere Christbäume mit Lametta und ein riesiges Hecht-Gerippe. Gaschnigs Wunsch wäre, sich privat mit anderen Augsburgern zu vernetzen und gemeinsam Müll zu sammeln – ohne daraus eine offizielle Initiative oder einen Verein zu machen (E-Mail: hannes.gaschnig@gmail.com). Seine eigenen Erfahrungen mit dieser ungewöhnlichen Freizeitbeschäftigung seien positiv. „Es ist eine gemütliche Aktion, und man hat sofort ein gutes Ergebnis“, sagt er, „ich fühle mich nach solchen Aufräumaktionen sehr glücklich.“