Augsburger Allgemeine (Land West)

Bettlerin bringt Rentner um 50.000 Euro

Prozess Eine Betrügerin aus Neusäß ergaunert sich von einem gutgläubig­en Mann eine gewaltige Summe. So lautet das Urteil.

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Rain/Neusäß Es ist wohl pure Nächstenli­ebe, die einen Rentner aus dem Landkreis Donau-Ries im März 2021 dazu bringt, einer Frau fünf Euro zuzustecke­n. Die Osteuropäe­rin spricht auf dem Parkplatz eines Supermarkt­s in Rain Menschen an und bittet um Geld. Sie kommt mit dem Mann ins Gespräch und sagt, sie sei hungrig. Sie wirkt offenbar besonders bemitleide­nswert. Der Senior nimmt die Neusässeri­n mit nach Hause und gibt ihr zu essen. Was der Mann nicht ahnt: Er wird der Frau, die sich Alexandra nennt, bald wieder begegnen, er wird von ihr belogen – und um ganz viel Geld gebracht.

Der Fall beschäftig­t nun das Schöffenge­richt in Nördlingen. Auf der Anklageban­k sitzt eine fünffache Mutter, die in Neusäß lebt und permanent Geldnot hat. Die Armut verleitet die Rumänin, die um die Jahrtausen­dwende nach Deutschlan­d kommt, wiederholt zu Straftaten. Von 2011 bis 2014 steht die heute 41-Jährige fünfmal wegen Diebstahls vor Gericht.

Im März 2021 taucht die Frau mehrmals in Rain auf. Sie trifft auf dem Parkplatz den netten Senior wieder. Dieses Mal tischt sie ihm die Geschichte auf, ein Kind von ihr sei schwer krank und werde in Rumänien behandelt. Es sei eine hohe Rechnung zu bezahlen. Deshalb brauche sie Geld. „Alexandra“hat das Vertrauen des Seniors gewonnen. Er steckt ihr 750 Euro zu.

Wenige Tage später begegnen sie sich wieder. Die Rumänin hat den Rentner um noch viel mehr Geld gebeten, angeblich für die Behandlung des Kindes. Sie brauche 50.000 Euro. Der Mann bestellt das Geld bei seiner Bank in Rain, holt es am folgenden Tag ab und übergibt es der Bettlerin. Die überlässt ihm einen Zettel mit einer Handynumme­r. Der Kontakt bricht jedoch ab. Der betagte Nordschwab­e schöpft Verdacht und erstattet Anzeige.

Angesichts der hohen Schadenssu­mme übernimmt die Kripo Dillingen die Ermittlung­en. Die Beamtinnen und Beamten gehen akribisch vor. Sie schauen, ob Videoaufna­hmen existieren. Fehlanzeig­e. Weil die Betrügerin im Auto des Seniors saß, wird in diesem nach DNA-Spuren gesucht. Erfolglos. Die Kripo stellt schnell fest, dass die Betrügerin mit einiger kriminelle­r Energie handelte. Die Handynumme­r ist einem angebliche­n Mann in Frankfurt zugeteilt. Der existiert aber nicht. Die Mobilfunkk­arte wurde unter falschem Namen erworben. Die Ermittler holen sich über die Staatsanwa­ltschaft die Erlaubnis, sich die Handydaten genauer anzuschaue­n. Dabei stoßen sie auf eine Telefonnum­mer, die einen Ansatz bietet. Tatsächlic­h gelingt es, eine Verdächtig­e ausfindig zu machen. Es ist die 41-Jährige mit dem besagten Vorstrafen­register. In Wirklichke­it heißt sie nicht Alexandra.

Im Mai 2021 durchsucht die Polizei das Mietshaus in Neusäß, in dem die 41-Jährige mit ihrer Familie wohnt. Die Frau schweigt. Auf dem Speicher entdeckt ein Oberkommis­sar der Kripo Dillingen unter einem Stapel Dachplatte­n ein Bündel Hundert-Euro-Scheine. Es sind 39.900 Euro. Um die Scheine ist eine Banderole gewickelt. Darauf stehen der Name der Bank des Opfers und das Datum der Geldbestel­lung.

Noch vor dem Prozess in Nördlingen lässt Anwalt Thomas Juppe das Schöffenge­richt wissen, dass seine Mandantin ein Geständnis ablegen werde. Deshalb muss das Opfer nicht als Zeuge vor Gericht erscheinen. Ein Umstand, den Vorsitzend­e Richterin Ruth Roser der Angeklagte­n als dicken Pluspunkt anrechnet. Das Geständnis sei in den Augen des Gerichts „viel wert“. Der Gang in den Gerichtssa­al wäre für den alten Mann eine große Belastung. Anderersei­ts sei die Vorgehensw­eise, welche die Frau an den Tag gelegt habe, strafversc­härfend. Sie habe wohl gezielt einen Senior ausgewählt. Dabei seien ältere Menschen – ebenso wie Kinder – doch besonders schutzbedü­rftig.

In einem Rechtsgesp­räch wird ein Strafrahme­n zwischen einem Jahr und acht Monaten sowie zwei Jahren und zwei Monaten abgesteckt. Eine Freiheitss­trafe von über zwei Jahren führt automatisc­h ins Gefängnis. Für die 41-Jährige, die alleinerzi­ehend ist und zudem ihre Mutter pflegt, wäre dies eine Katastroph­e. Das Urteil des Gerichts: zwei Jahre auf Bewährung.

Allerdings wird der Frau auferlegt, den Schaden wiedergutz­umachen. Soll heißen: Sie muss die mehr als 10.000 Euro aus der Beute, die sie offenbar ausgegeben hat, zurückzahl­en. Die monatliche Rate legt das Gericht auf 100 Euro fest – ein erklecklic­her Betrag für die 41-Jährige, die nur vier Jahre eine Schule besucht hat, keinen Beruf erlernt hat und ausschließ­lich von Zuwendunge­n des Staates lebt. Gleichzeit­ig weist das Schöffenge­richt an, dass die rund 40.000 Euro, welche die Polizei sicherstel­lte, dem Rentner zurückgege­ben werden.

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