Augsburger Allgemeine (Land West)

Wo Radler Pedalritte­r sind

120 Adelssitze: Auf Wasserburg­en‰Tour im Rheinland

- VON BERND F. MEIER

„Die Loire kann einpacken im Vergleich zur Erft. Bei uns gibt es mehr Schlösser und Wasserburg­en als dort in Frankreich.“Severin Graf von Hoensbroec­h zeigt sich überzeugt. Der 51-jährige Adlige auf Schloss Türnich ist einer der Herren der über 120 Adelssitze im Rheinland, im Städtedrei­eck Köln, Bonn und Aachen. Mit dieser stattliche­n Anzahl gilt die Region als wasserburg­enreichste Landschaft Europas.

Wer das ganze Programm erleben möchte, steigt am besten aufs Rad und beantragt eine Woche Urlaub. 400 Kilometer ist die Wasserburg­en-Route lang. Eingeteilt ist der Rundweg in acht Etappen. Ein wenig Kondition sollte man mitbringen: Zwischen Stolberg, Heimbach und Rheinbach führt die Strecke bergauf in die Eifel.

Wer es bequemer mag, kann auch am Wochenende ohne Urlaubsant­rag zum Pedalritte­r werden. Der Abschnitt von Bedburg, wo Schloss Bedburg steht und Schloss Paffendorf mit Forstlehrg­arten und Brasserie nicht weit ist, über Bergheim bis Euskirchen, vor dessen Stadttoren auf Burg Flamershei­m genächtigt werden kann, ist rund 50 Kilometer lang und an einem Tag zu schaffen.

Und die Konzentrat­ion alter Gemäuer ist hoch: Die ebene Etappe führt zu mehr als einem Dutzend Wasserschl­össer und Burgen, die an Erft und Erft-Flutkanal dicht beieinande­r liegen. Ist die eine erreicht, ist die andere fast schon wieder in Sichtweite.

Die Landschaft, gerade mal 20 Kilometer westlich von Köln, ist geprägt von Kuhweiden, Maisfelder­n, Waldstücke­n, Streuobstw­iesen und sumpfigen Bruchwälde­rn. Wir erreichen Schloss Gymnich, erster Stopp, verschloss­en hinter Mauern und Zäunen. „Schloss Gymnich ist eine Stätte mit großer Vergangenh­eit“, sagt Gerd Overlack. Der 79-jährige ehemalige Industriev­ersicherun­gsmakler ersteigert­e Schloss Gymnich 2012 für etwas über drei Millionen Euro von der Kelly Family. Die irischen Folksänger hatten Gymnich ab 1998 bewohnt, sich aber später zerstritte­n und das Anwesen unter den Hammer gegeben. Ursprüngli­ch im 14. Jahrhunder­t als Burg erbaut, wurde Gymnich mehrfach zerstört

und wieder errichtet. Zwischen 1971 und 1990 wurde dem Schloss eine Sonderroll­e zuteil: als Gästehaus der Bundesregi­erung. Chroniken registrier­en 262 Staatsgäst­e – von Indira Gandhi über den US-Präsidente­n Ronald Reagan, Queen Elizabeth II. aus Großbritan­nien, den russischen Präsidente­n Leonid Breschnew bis hin zum DDR-Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker im September 1987, es war dessen einziger Besuch der Bundesrepu­blik. 1989 schließlic­h kam es zum Geheimtref­fen zwischen Bundeskanz­ler Helmut Kohl und dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Miklós Németh. In dessen Folge öffnete sich die ungarisch-österreich­ische Grenze für DDR-Flüchtling­e. Für Radtourist­en ist das Schloss indes noch verschloss­en. Doch nach jahrelange­r Restaurier­ung möchte Schlossher­r Overlack das rot getünchte Anwesen wieder für Besucher öffnen. Entweder als Boutique-Hotel oder als Außenstell­e des Bonner Hauses der Geschichte sollen Urlauber auf der Wasserburg­enRoute Gymnich ansteuern können.

Baufälligk­eit und Blütenprac­ht

Wir radeln weiter Richtung Schloss Türnich, eine von einem Teich umgebene Anlage die jedoch baufällig ist. Das Gebäude wird durch schwere Anker und viele hölzerne Stützen vor dem Verfall bewahrt. Der Braunkohle­tagebau Frechen machte in den 1950erJahr­en eine Grundwasse­rabsenkung um 230 Meter notwendig. Was nicht spurlos am Barockschl­össchen vorbeiging, denn 20 Jahre später traten schwere Bauschäden auf. Das Schloss musste geräumt werden. Seitdem wird gesichert,

restaurier­t, investiert und es wurde um die Entschädig­ung prozessier­t – bis zum Bundesgeri­chtshof. Trotzdem lädt Türnich zum Verweilen: Es gibt ein HofCafé, es werden Führungen in die kunsthisto­risch bedeutende Schlosskap­elle und den französisc­hen Barockgart­en angeboten. Dieser ist Teil eines im 19. Jahrhunder­t gestaltete­n, 15 Hektar großen Waldparks. Dort bietet die 300 Meter lange Allee mit 111 Linden ein beeindruck­endes Bild.

Schlossher­r Severin Graf von Hoensbroec­h, der in einem neuen Haus im Schlosspar­k wohnt, hat noch einen Tipp: „Kommen Sie im Mai zu uns, dann entfalten die ElisabethR­osen in unserem Wirtschaft­shof ihre volle Pracht.“Wasser spielt auch die Hauptrolle im benachbart­en Erft Museum – Kilometer 51 unserer Tour. „Alles ist im Fluss und nichts bleibt.“Diese Weisheit des griechisch­en Philosophe­n Heraklit (520 bis 460 v. Chr.) steht als Motto über der im Herbst 2023 eröffneten Ausstellun­g zur Flutkatast­rophe im Jahr 2021. „In der Nacht zum 16. Juli rollte die Flutwelle der Erft bei uns im Museum an.“So erinnert sich Daniel Mazander. Der 38-jährige Diplom-Agraringen­ieur führt gelegentli­ch Besucher durch die Ausstellun­g zur Flutkatast­rophe. Sandsäcke leiten die Besucherin­nen und Besucher zu den Exponaten wie etwa zur Ansicht einer Messstatio­n im benachbart­en Ort Bliesheim. „2,46 Kubikmeter Wasser pro Sekunde sind normal, bei der Flutkatast­rophe verzeichne­te der Pegel 520 Kubikmeter in der Sekunde“, sagt Mazander. Doch normalerwe­ise strömt die Erft sanft dahin. Die Adligen nutzten das Fluss-System zum Bau von Wassergräb­en an ihren Schlössern und Burgen, so fühlten sie sich vor feindliche­n Angreifern geschützt.

Feinschmec­ker und Motorsport­fans

Auch Schloss Loersfeld in Kerpen ist von einem Graben umgeben. Von der Wasserburg­en-Route zweigen die Radurlaube­r ab, um im Gourmet-Restaurant fein zu speisen. Seit Jahren wird die Küche von Loersfeld mit einem Michelin-Stern geadelt. Neben Feinschmec­kern rollen Motorsport­fans auf den Schlosshof: Loersfeld beherbergt eine Sammlung von Fotos, Dokumenten und Helmen zum Andenken an den legendären Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips, der den Kartsport in Deutschlan­d populär machte. Der Adlige von Burg Hemmersbac­h startete ab 1957 für Ferrari in der Formel 1, verunglück­te 1961 beim Rennen in Monza tödlich und wurde posthum zum Vizeweltme­ister erklärt. „Auf Nachfrage öffnen wir die wertvolle Bibliothek der Adelsfamil­ie von Trips“, so Thomas Bellefonta­ine, der 58-jährige Hausherr auf Schloss Loersfeld. Über 900 Bände umfasst die Sammlung der Landadelig­en. Einst soll sie umfassende­r gewesen sein als die Bibliothek des Kölner Erzbischof­es, nun ist sie auf Schloss Loersfeld für die Nachwelt gesichert. Teil der Burganlage ist ein herrschaft­licher Landschaft­spark, den man erkunden sollte – bevor man sich in Richtung der nächsten Burg wieder auf den Sattel schwingt.

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Foto: Bernd Meier, tmn Burg Flamershei­m aus dem 13. Jahrhunder­t empfängt auch Übernach‰ tungsgäste.

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