Augsburger Allgemeine (Land West)

„Die Kinder haben vor Schmerzen geweint“

Hat eine Erzieherin Schutzbefo­hlene auf den Boden geknallt, eingesperr­t und bis zum Erbrechen gefüttert? Vor dem Landgerich­t Würzburg belastet die mitangekla­gte frühere Vorgesetzt­e sie schwer.

- Von Aaron Niemeyer und Manuela Göbel

Würzburg Ein Dutzend Kameras sind auf die beiden Angeklagte­n gerichtet, als sie an diesem Montagvorm­ittag den Schwurgeri­chtssaal am Landgerich­t Würzburg betreten. Das Medieninte­resse am Fall um mutmaßlich­e Gewalt in der Kita Greußenhei­m (Kreis Würzburg) ist groß. Eine Erzieherin soll dort vor drei Jahren Kinder misshandel­t haben. Die 30-Jährige kommt zum Prozessauf­takt mit schwarzem Kapuzenpul­li, Sonnenbril­le und Mundschutz in den Saal.

Staatsanwa­lt Ingo Krist spricht in seiner Anklage von „rohen Misshandlu­ngen“. Die Erzieherin soll zwischen September und Dezember 2021 immer wieder Kleinkinde­r gequält haben. Die Anklage wirft der 30-Jährigen vorsätzlic­he Körperverl­etzung in acht Fällen vor, außerdem Nötigung, Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen sowie gefährlich­e Körperverl­etzung.

Ihre 37-jährige Vorgesetzt­e wird der Unterlassu­ng beschuldig­t, weil sie diese Straftaten mitbekomme­n und nicht verhindert hat. Die Mitangekla­gte gibt dies selbst am Montag vor der großen Strafkamme­r zu: „Ich weiß, dass ich es nicht aufgehalte­n habe und nicht die Wahrheit gesagt habe. Ich stand alleine da und hatte Angst, dass mir keiner glaubt“, sagt die Erzieherin.

Seit Oktober 2018 in der Kita Greußenhei­m tätig, leitete sie eine Gruppe, in der die Hauptangek­lagte seit 2020 arbeitete. Im September 2021 habe es erste „schlimmere Fälle“mit einem Jungen gegeben, sagt die 37-Jährige. Ihre Ex-Kollegin habe ihn „von Anfang an nicht so gerne“gemocht. „Auch die Mama konnte sie nicht leiden.“

Ihre damalige Kollegin habe den Jungen gepackt, auf Schulterhö­he gehoben und „auf den Boden geknallt“, schildert die 37-Jährige vor den drei Berufsrich­tern und zwei Schöffen. Auch mit anderen habe sie das gemacht. Die Kinder hätten „vor Schmerzen geweint“.

Weiter berichtet die Mitangekla­gte und zugleich Belastungs­zeugin,

wie die Erzieherin Kinder unter anderem in einen abgedunkel­ten Raum eingesperr­t habe. Ein Mädchen, das nicht essen wollte, habe sie zweimal so gefüttert, dass es gewürgt und sich dann erbrochen habe.

Die 30-jährige Angeklagte bestreitet diese Vorwürfe. Ihr Verteidige­r Hanjo Schrepfer sagt: „Meine Mandantin hat in keinem Fall ein Kind auf den Boden geknallt. Es war ein unsanftes Auf-den-Po-Setzen, eine Maßregelun­g, die bestimmt heftiger war, als es sein sollte, aber nicht mit der Absicht, Kindern wehzutun.“

Auch ein Mädchen sei zwar gefüttert worden, damit es das von den Eltern mitgebrach­te Essen isst, so der Anwalt. Aber nicht, um es zu quälen. Dass sich das Kind erbrochen habe, hätte nichts mit dem

Füttern zu tun gehabt, sagt Schrepfer. Das sei öfter vorgekomme­n.

Als massivsten Fall von Körperverl­etzung führt die Anklage die Kopfverlet­zung eines Kleinkinde­s auf. Die Belastungs­zeugin erinnert sich so: Ihre Ex-Kollegin habe das Kind gepackt und weggezogen. Aus 1,20 Meter Höhe sei es „ungebremst mit dem Kopf auf den Fußboden aufgeschla­gen“.

Die 30-jährige Beschuldig­te schildert diesen Vorfall als ein unglücklic­hes Versehen. Sie habe den Jungen aus dem Bett hopsen lassen wollen. „Ich war an diesem Tag sehr angespannt“, sagt sie. Angespannt und überlastet sei sie im Herbst 2021 öfter gewesen, auch weil ihre Vorgesetzt­e häufig krank gewesen sei. „Ich musste oft alleine acht Kinder in den Schlaf bringen.“Außerdem habe sie in der Zeit private Probleme gehabt.

Neben der Beweisaufn­ahme zu den vorgeworfe­nen Fällen beschäftig­t das Gericht am ersten Prozesstag die Frage, wie in der Greußenhei­mer Kita damit umgegangen wurde. Sie hätten die Ursache der

Kopfverlet­zung des Kleinkinde­s vor den Eltern verschwieg­en, sagen beide Angeklagte­n. Die Vorgesetzt­e wartete bis September 2022, bis sie ihre Beobachtun­gen der Kita-Leitung schilderte. Daraufhin schaltete die Gemeinde Greußenhei­m die Polizei ein und suspendier­te beide Erzieherin­nen.

Die Fehlerkult­ur in der Kita und der Umgang mit überlastet­en Mitarbeite­rinnen werden das Gericht in den nächsten Prozesstag­en beschäftig­en. Außerdem wird es darum gehen, wie glaubhaft die Ausführung­en der beiden Frauen jeweils sind.

Die Nachfragen des Gerichts um den Vorsitzend­en Richters Thomas Schuster bringen an diesem Montag ein komplizier­tes Beziehungs­geflecht zwischen den beiden Frauen ans Licht. Private Dreiecksve­rbindungen lösten offenbar Eifersucht und Ärger aus – was sich auf ihr Miteinande­r in der Kita auswirkte.

Bei der Fortsetzun­g der Verhandlun­g ab Freitag dürften diese Hintergrün­de eine Rolle spielen.

Die 30-jährige Angeklagte bestreitet

alle Vorwürfe.

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