Augsburger Allgemeine (Land West)
Geprägt von einer Kindheit in Armut
Sie sind im Landkreis Augsburg mit vielen Vorurteilen aufgewachsen. Betroffene erzählen zum Tag der Sinti und Roma von ihrem Leben in der Region.
Motorradfahrer wird bei Unfall verletzt
Ein 57-jähriger Motorradfahrer hat sich bei einem Unfall am Sonntagnachmittag verletzt. Das berichtet die Polizei aus Treuchtlingen. Der Mann war mit seinem Motorrad auf der Kreisstraße 9 von Pappenheim in Richtung Langenaltheim unterwegs. In einer Rechtskurve kam der Mann von der Fahrbahn ab und fuhr über die linke Fahrbahnseite in eine Wiese. Dort kam er zum Stehen, allerdings kippte das Motorrad zur Seite. Dadurch verletzte sich der Mann am Knie. Am Fahrzeug entstand ein Schaden von 1000 Euro. (kinp)
Eine Gemeinderatssitzung findet am Donnerstag, 11. April, ab 20 Uhr im Pfarrheim St. Martin in Horgau statt. Auf der Tagesordnung stehen die Ergebnisse der Brückenprüfung 2024 und Bauanträge. (AZ)
Landkreis Augsburg Erst kürzlich rutschte einer Gersthoferin beim Einkauf ein Wort in der Sprache heraus, mit der sie aufgewachsen ist. Beim Einkaufen bat sie statt um einer Tüte um eine „Tite“und fühlte sich dann von einem Wortwechsel der Verkäuferin mit dem Mann hinter sich angegriffen. Als sie die Verkäuferin daraufhin ansprach, sei die rot geworden und schwieg. Für die Gersthoferin, Mitte 50 und eine Sintiza, nur ein Erlebnis – es zeigt, mit wie vielen Vorurteilen sie und ihre Familien und Verwandten heute noch umgehen müssen.
Marcella Reinhardt, Vorsitzende vom Regionalverband Deutscher Sinti und Roma in Schwaben, hat unzählige Beispiele dafür, dass es nicht bei Vorurteilen bleibt. „Nachbarn verständigten einmal das Jugendamt, weil angeblich ein Kind im Haus von den Eltern geschlagen würde. Wir als Verband konnten klar belegen, dass die Eltern des Kindes gar nichts falsch gemacht hatten. Sie sind Sinti und wurden deswegen verleumdet.“Die Vorurteile gegen Sinti, sie sind Teil des sogenannten Antiziganismus.
Der Begriff kommt aus Zeit, als Sinti und Roma gemeinhin als „Zigeuner“bezeichnet wurden. Dieses „Z-Wort“lehnen sie inzwischen strikt ab. Von ihren Vorfahren haben sie von deren unvorstellbaren Leid im Dritten Reich erfahren. Zwei Tanten von Marcella Reinhardt waren als Kinder zwangssterilisiert worden. Zahlreiche Familienmitglieder wurden verschleppt, missbraucht, vergast. Mit dieser Geschichte seien sie verbunden, sagt eine Frau aus Gersthofen. Man sehe sich nicht als Opfer und andere als Täter; aber die Angst, die die
Vorfahren erfahren haben, tragen sie alle mit sich. Deswegen verrät sie ihren Namen in der Zeitung auch nicht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten viele Sinti und Roma in die Region zurück und suchten zum Beispiel in einem ehemaligen
Zwangsarbeiterlager in Oberhausen nach Verwandten. Die Familien hausten dort in Baracken und Wohnwagen. „Am Fischerholz kannte ganz Deutschland“, sagen die zwei Frauen im Interview. Beide haben dort ihre ersten Lebensjahre verbracht. Das Lied „Lustig ist das
Zigeunerleben“hätte mit der Realität nichts zu tun gehabt.
Zum Waschen gingen sie ins Familienbad. In der Schule erfuhren sie, was die Leute in der Gegend über sie erzählten: Die Menschen vom Fischerholz seien alle nackt, dreckig und würden stehlen. „Klar waren wir am Anfang alle dreckig, es gab weder Strom noch fließend Wasser und alle waren bitterarm“, erinnert sich Ringo Reinhardt. Beim ihm führt allein der Name schon zu Vorurteilen. „Django Reinhardt ist weltweit als GipsyJazzmusiker bekannt – da werde ich oft gefragt, ob ich mit ihm verwandt bin.“
Ringo Reinhardt blickt im Gespräch noch weiter zurück: Vor dem Krieg hätten seine Vorfahren nicht arbeiten dürfen, während des Krieges seien sie gefoltert und ermordet worden. „Bis heute halten uns viele für schlechte Menschen.“Deswegen fühle man sich sehr schnell angegriffen. „Wir wollen keine Opfer sein, aber wir sind es halt oft“, sagt die Gersthoferin. Kinder würden in der Schule drangsaliert und als „Z“beschimpft, Jugendliche ohne Grund von der Polizei beobachtet. Mehrmals hatte sie einen Metzger im Landkreis gebeten, das „Z“-Schnitzel von seiner Tafel zu entfernen. Sie hatte ihm erklärt, dass das für Sinti eine Beleidigung ist. Das habe er ignoriert.
Alle drei Gesprächspartner sehen sich als Deutsche. Sinti, vor rund 700 Jahren aus Indien in Deutschland eingewandert, haben eine eigene Sprache, werden katholisch erzogen, ihre Hymne ist die deutsche. Anders als Roma haben sie keine eigene Fahne oder Hymne. Trotzdem wurde Marcella Reinhardt in den sozialen Medien schon gedroht. Sie solle zurückkehren, wo sie hergekommen sei. „Ich bin Deutsche, wo soll ich denn hin?“, fragt sie. Am Tag der Sinti und Roma, 8. April, wurde im Landtag der Opfer gedacht. Erst 1982 hatte Deutschland den Völkermord in der NS-Zeit anerkannt. Jetzt lebe man wieder in einer gefährlichen Zeit, sagt Reinhardt. „Gewarnt wird derzeit wieder vor Rassismus und Antisemitismus. Der Antiziganismus gehört dazu. Und dabei sollten unsere Kinder doch auch eines Tages stolz sein dürfen, Sinti zu sein.“