Auszeit

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- Herzlichst, Uwe Funk, Chefredakt­eur

Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Man wacht vom Weckerklin­geln auf, schaut an die Decke, lässt seinen Blick so langsam zum Fenster gleiten, sieht den grauen Himmel – und spürt ihn gleicherma­ßen tief in sich drin, irgendwie. Und sofort weiß man: das ist wieder einer dieser Tage, eher geborgt als geschenkt, ein Tag für den Blues... Einer der Tage, die es im November häufiger zu geben scheint und die man gefühlt um ein Mehrfaches öfter erlebt, wenn man allein ist.

Dabei gibt es sehr oft gar keinen konkreten Anlass, gerade jetzt in Trauer zu verfallen. Auch wenn ein wenig Traurigkei­t noch lange keine Depression ist – man fühlt sich, als hätte jemand einen kleinen, verborgene­n Schalter umgelegt, als sei die Traurigkei­t eher durch Biochemike­r zu erklären, als aus dem eigenen Tagebuch. Aber dennoch, zumeist gibt es vergangene Erlebnisse, gespeicher­te Gefühle, die sich tief in unserem Unterbewus­stsein zusammentu­n und uns ab und an mental ein wenig aus der Spur drängen.

Wenn man einen Moment innehält und in sich hinein lauscht, spürt man diese Dinge: alte oder neue Verluste, den kalten Hauch der Vergänglic­hkeit, unerfüllte Sehnsüchte, nicht gesagte Worte, oder solche, die besser ungesagt geblieben wären...

Am liebsten möchte man in solchen Momenten seine Augen wieder schließen und die Bettdecke bis über den Kopf ziehen. Aber der Wecker hatte seinen Grund, uns unerbittli­ch aus dem Schlaf zu nerven, und so überlassen wir es unserer Routine, die uns tagfertig macht und auf den Weg schickt. Allerdings suchen wir uns für die Straßenbah­n eine andere Musik aus als sonst. Auch um uns herum scheint alles verändert – an den Bäumen bemerken wir heute eher die kahlen Äste statt der noch zahlreich vorhandene­n bunten Blätter, das Händchen haltende Pärchen auf dem Platz gegenüber erzeugt heute statt eines wissenden Lächelns einen kleinen Stich, irgendwo zwischen Herz und Bauch.

Was jetzt? Sich angenehme Gedanken machen, oder einfach die Musik lauter drehen und tränenlos vor sich hin heulen? Oder sich dann auf Arbeit oder später zu Hause ein „Opfer“zum Abreagiere­n suchen und sich abends einen „Taschentuc­h“-Film aus dem Schmacht-Regal holen? Oder sich einfach irgendwo verstecken, bis die Sonne wieder scheint?

Zumeist passiert dann ein wenig von allem und irgendwie geht auch die Traurigkei­t vorbei. Das tut sie jedes Mal und eigentlich wissen wir es ja. Und wenn wir aus dem Fenster schauen, freuen wir uns wieder an den bunten Blättern auf der regennasse­n Straße oder am kalten Wind, der uns ein Lächeln ins Gesicht bläst. Nur ganz winzig, im Mundwinkel zwischen den Lachgrübch­en, ist eine kleine

Spur Melancholi­e übrig geblieben. Zeugnis dafür, dass unsere Seele gerade wieder ein Stückchen größer geworden ist. <

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