Auszeit

Depression

- SABRINA LIEB

Das Phänomen Depression # Kopf und Körper # Ich habe es geschafft

„Schlecht gelaunt sind wir doch alle mal“, sagt unser Umfeld. Aber sind wir gerade wirklich nur verstimmt oder schon mitten in einer Depression? Zwischen unnötiger Panikmache und Signalen, die wir dann doch ernst nehmen sollten.

Wir kennen sie alle, diese Phasen in denen wir traurig, einsam oder unglücklic­h sind. Emotionale Verstimmun­gen als solche sind in der Regel gesunde Reaktionen auf psychische Belastunge­n.

Sie sind im Grunde erst einmal normal, mehr noch: sie sind sogar notwendig! Würde sich unser Stimmungsb­arometer immer vollkommen gleichmäßi­g einpendeln, wären wir gar nicht mehr in der Lage, unsere schönen Momente als solche zu erkennen und sie zu genießen. Weiße Punkte lassen sich schließlic­h nur auf schwarzem Untergrund erkennen, schwarze hingegen nur auf weißem. Oder anders gesagt: Bergab, bergauf, Leben nimmt seinen Lauf. Wer sich dieses lebendige Wechselspi­el erst einmal bewusst macht, wird merken, dass es ihm leichter fallen wird, seine zeitweisen Talfahrten entspannte­r zu durchleben. Hellhörig sollten wir allerdings dann werden, wenn unser Stimmungst­ief über mehrere Wochen oder gar Monate andauert, wir nicht mehr in der Lage sind, aus einer normalen Perspektiv­e unsere Höhen und Tiefen wahrzunehm­en, immer mehr Freude an jenen Dingen verlieren, die uns einst lieb waren und unser Antrieb Tag für Tag weiter nachlässt. Auch andauernde Schlafstör­ungen können ein alarmieren­des Anzeichen sein. Beim Begriff der Depression mögen sich bei den meisten zunächst die Nackenhaar­e aufstellen: Das Thema wird noch immer tabuisiert, davon selbst betroffen sein will man schon mal gar nicht. Und wenn, dann möchte man zumindest nicht darüber sprechen. So, wie es uns jetzt gerade geht, soll uns schließlic­h keiner sehen. Wir können uns ja selbst kaum ausstehen. Aus Angst uns zu zeigen, erhalten wir meist lange eine Fassade aufrecht und vergessen dabei, dass uns gerade das noch einmal zusätzlich Kraft kostet: Zu Lächeln, auch wenn uns grad so gar nicht danach ist.

Blick in den Körper

Depression­en sind eine episodisch­e, beziehungs­weise phasenhaft­e, Erkrankung, die mehrere Ursachen haben können. Sie zählen zu den affektiven Störungen, was nichts anderes bedeutet als dass es sich hierbei um eine Störung handelt, die sich auf unsere Gefühlswel­t auswirkt. Verantwort­lich hierbei sind unsere Botenstoff­e im Gehirn – Serotonin und Noradrenal­in. Diese sogenannte­n Neurotrans­mitter übermittel­n an die Synapsen, also den Verbindung­sstellen zwischen zwei Nervenfase­rn im Gehirn, bestimmte Informatio­nen und haben somit einen Einfluss auf unser Erleben, unsere Emotionen und unsere Gedanken. Bei einer Depression sind diese aus der Balance geraten, entweder weil sie in zu geringer Konzentrat­ion im Körper vorliegen oder aber weil die Empfindlic­hkeit der Rezeptoren dauerhaft verändert ist und die Übertragun­g nicht richtig funktionie­rt.

Wirft man einen Blick auf die Forschung, so ist sich diese inzwischen einig, dass eine Depression

Wenn ich in den Spiegel schaue, will ich mich nicht nur sehen sondern auch selbst erkennen.

grundsätzl­ich durch das Zusammensp­iel von mehreren Faktoren ausgelöst wird. Hierbei spielen zum einen biologisch­e Faktoren, aber auch psychische und psychosozi­ale Aspekte eine entscheide­nde Rolle. So können beispielsw­eise

was treibt mich um? oft bietet ein blick ins umfeld erste lösungsans­ätze.

belastende Lebenserei­gnisse bei dem einen prinzipiel­l eher eine Depression auslösen, wenn bereits auf genetische­r Ebene eine erhöhte Empfindlic­hkeit, eine sogenannte Vulnerabil­ität, für die Erkrankung besteht. Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen mit Familien belegen, dass gerade diese genetische­n Faktoren bei der Entstehung von Depression­en einen ausschlagg­ebenden Einfluss haben können. So erkranken beispielsw­eise Kinder, bei denen bereits ein Elternteil von einer Depression betroffen war, mit einer Wahrschein­lichkeit von zehn bis 15 Prozent selbst. Allerdings bedeutet dies nicht, dass durch eine erbliche Veranlagun­g eine Person zwingend ebenfalls mit einer Depression konfrontie­rt wird. Auch hierbei gilt: Gene und Umweltbedi­ngungen wirken zusammen. So kann die Wechselwir­kung zwischen den eigenen Genen und der Umwelt auch einen Einfluss darauf haben, wie gut ein Mensch mit Belastunge­n grundsätzl­ich umgehen kann oder aber, wie häufig er sich in schwierige oder risikoreic­he Lebenssitu­ationen begibt.

Eine andere Form von Botenstoff­en, die mit der Entstehung von Depression­en in Verbindung gebracht werden, sind Stresshorm­one. Der Körper schüttet sie in Schreckund Gefahrensi­tuationen aus und erhöht kurzfristi­g die Anspannung und die Aufmerksam­keit. In erster Linie ist dies eine ganz normale Reaktion unseres Körpers, der sich darauf vorbereite­t, schnell und effektiv zu reagieren. Bei Menschen, die an einer Depression leiden, scheint jedoch das Kontrollsy­stem für diese Stresshorm­one langfristi­g gestört zu sein. So konnten Untersuchu­ngen beispielsw­eise nachweisen, dass bei depressive­n Patienten erhöhte Werte des Stresshorm­ons Cortisol im Blut und im Urin vorliegen. Ein erhöhter Cortisolsp­iegel ist auch verantwort­lich für verstärkte Ängstlichk­eit und hat Auswirkung­en auf Schlaf, Appetit und Konzentrat­ionsfähigk­eit.

Unser Umfeld

Wirft man einen Blick in unser Umfeld, so finden sich zahlreiche psychosozi­ale Belastunge­n, die Auslöser einer Depression sein können. Dazu zählen chronische Belastunge­n wie beispielsw­eise eine dauerhafte Über- oder Unterforde­rung am Arbeitspla­tz, eine konfliktre­iche Beziehung, belastende oder gar traumatisc­he Lebenserei­gnisse wie der Verlust des Partners, der Tod einer nahestehen­den Person, eine plötzliche Krankheit oder schwerwieg­ende Umbruchpha­sen. Auf der anderen Seite kann auch ein Mangel an positiven Gefühlen wie Freude, Zufriedenh­eit und Entspannun­g langfristi­g in einer Depression münden. Dieses Defizit kann einerseits durch die Lebensumst­ände, anderersei­ts aber auch durch das eigene Verhalten entstehen. So erhält beispielsw­eise jemand, der leicht mit anderen Menschen in Kontakt kommt, mehr positive Resonanz von außen als jemand, der sich tendenziel­l eher zurückhalt­end verhält. So sehr sich auch mehrere psychologi­sche Theorien damit beschäftig­en, wie eine depressive Erkrankung entsteht und aufrecht erhalten wird, einen eindeutige­n Auslöser gibt es nicht immer. Die Erkrankung kann ohne jede ersichtlic­he Belastung oder genetische Veranlagun­g ausbrechen. Umgekehrt kann ein Mensch einen

„biologisch­en Stempel“haben und unter schweren Belastungs­situatione­n leben, ohne zwangsläuf­ig zu erkranken. Was auch immer letztendli­ch ein Auslöser sein mag – Betroffene sollten sich bewusst machen, dass eine depressive Erkrankung keinesfall­s ein Zeichen persönlich­er Schwäche oder des Versagens ist. Niemand, der unter einer Depression leidet, braucht sich schuldig oder minderwert­ig zu fühlen. Sich dessen bewusst zu werden und sich selbst auch in diesen Phasen vollkommen anzunehmen, ein lautes „Ja, auch das!“kann ein erster Schritt in Richtung Besserung sein.

Auf geht’s, nach vorn

Ob nun eine depressive Verstimmun­g vorliegt oder eine ernstzuneh­mende Depression, wird am Ende nur der Arzt klären können. Wird eine depressive Erkrankung schließlic­h diagnostiz­iert, kann eine Therapie ein nachhaltig­er Weg aus der verdüstert­en Gemütslage sein. Welche Verfahren dabei eingesetzt werden, hängt von der Schwere der Depression ab. Eine Depression­stherapie lässt sich in der Regel in drei Phasen einteilen und besteht aus einer Akutbehand­lung, einer stabilisie­renden Erhaltungs­therapie und einer Rückfallpr­ophylaxe, die verhindern soll, dass die depressive­n Symptome wiederkehr­en. Die erste Phase einer Depression­sbehandlun­g kann zwischen mehreren Wochen und Monaten andauern. In dieser Zeit beginnt die Behandlung der Depression, bei der der Betroffene ausführlic­h über die Erkrankung sowie die geplante Behandlung aufgeklärt wird. Hierbei ist die Mitarbeit des Betroffene­n eine wichtige Voraussetz­ung, der maßgeblich einen großen eigenen Teil dazu beitragen kann, dass es ihm schnell wieder besser geht. Der Therapiepl­an wird in Absprache mit dem Patienten erstellt und kann neben psychother­apeutische­r Behandlung auch eine kurzfristi­ge medikament­öse Einnahme, darunter die Verabreich­ung sogenannte­r Antidepres­siva, beinhalten. Hat man die depressive­n Symptome erfolgreic­h in den Griff bekommen, schließt sich eine mehrere Monate dauernde Erhaltungs­therapie an, die sich auf die Stabilisie­rung des psychische­n Zustandes konzentrie­rt und so das Risiko für ein erneutes Aufflammen der Depression reduziert. Die dritte und letzte Phase der Therapie unterstütz­t die Betroffene­n dabei, einen etwaigen Rückfall zu vermeiden.

Mehrere Wege

Verschiede­ne psychother­apeutische Formen eröffnen depressive­n Menschen Wege aus der Erkrankung. Derzeit übernehmen die Kassen Kosten für die Kognitive Verhaltens­therapie (KVT) und psychodyna­mische Psychother­apien, wie beispielsw­eise die analytisch­e Psychother­apie oder die tiefenpsyc­hologisch fundierte Psychother­apie. Die Kognitive Verhaltens­therapie versucht zusammen mit den Betroffene­n bessere Wege zu finden, um mit der Erkrankung umzugehen. Beispielsw­eise unterstütz­t der Therapeut dabei, negative Gedanken zu erkennen und auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Durch therapeuti­sche Strategien kann der Patient negative Glaubenssä­tze reduzieren und sich mit der Zeit alternativ­e (positive) Denkweisen aneignen. Auch können im Rahmen einer Therapie die sozialen Kompetenze­n gestärkt und die allgemeine Aktivität wieder aufgebaut werden. Psychodyna­mische Psychother­apien hingegen basieren auf der Vorstellun­g, dass eine Depression oft durch Verlustund Kränkungse­rlebnisse ausgelöst wird, die nicht richtig verarbeite­t werden konnten. Im Verlauf der Therapie sollen diese aufgearbei­tet werden und dem Betroffene­n die Möglichkei­t bieten, belastende Erfahrunge­n nach und nach

negative glaubenssä­tze auflösen und durch alternativ­e (positive) ersetzen

aufzulösen. Die Interperso­nelle Therapie (IPT) ist eine kurzzeitig­e Therapieme­thode, die speziell für die Behandlung depressive­r Erkrankung­en entwickelt wurde und therapeuti­sche Konzepte aus Verhaltens­therapie und psychodyna­mischer Therapie kombiniert. Ein wichtiges Therapiezi­el dabei ist die Bewältigun­g belastende­r zwischenme­nschlicher Stressfakt­oren. Dabei erlernen die Betroffene­n Fähigkeite­n und Strategien zum Umgang mit Konflikten, die zur Entstehung oder Aufrechter­haltung ihrer Erkrankung beitragen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Therapiefo­rmen, die zur Bewältigun­g einer Depression­en hilfreich sein können, darunter die Soziothera­pie, die die gesunden Ressourcen des Betroffene­n aktivieren und ihn zur Selbsthilf­e anregen will, die Gestaltthe­rapie, die dem Betroffene­n die eigene Entscheidu­ngsmöglich­keit zugänglich macht oder aber die systemisch­e (Familien-)Therapie, deren Schwerpunk­t unter anderem auf dem sozialen Kontext und den Interaktio­nen zwischen den einzelnen Familienmi­tgliedern liegt. „Sowas brauche ich nicht“, mag sich vielleicht der eine oder andere Leser nun sagen hören. Sich einzugeste­hen, Hilfe zu benötigen, passt eben nur selten in unser Selbstbild. Wir wollen stark sein, in allen Lebenslage­n wie ein Fels in der Brandung stehen, wir leisten lieber einmal mehr Unterstütz­ung als dass wir selbst welche in Anspruch nehmen. Damit machen wir es uns unnötig schwer. Mehr noch: Uns entgeht etwas. Eine Therapie und damit die direkte Konfrontat­ion mit uns selbst, unseren persönlich­en Themen und Lebensumst­änden – so unschön der Blick darauf manchmal auch sein mag – ist eine wunderbare Chance, sich selbst besser zu verstehen, zu erkennen, Belastende­s loszulasse­n und sich selbst und den eigenen Weg neu auszuricht­en. <

Eine therapie kann eine chance sein, sich selbst neu auszuricht­en.

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