Alles Schoko
Die Annie hat gerufen
Workshop: In der Schokobackstube # Schokolade auf der Haut
Beim Backen kommt alles zusammen, was man im hektischen Alltag vermisst: sich Zeit nehmen, Ergebnisse sehen, Seelenstreicheleinheiten. Kein Wunder, dass Schokolade meine Lieblingszutat ist, denn sie löst dieselben Belohnungsgefühle in mir aus.
Es duftet im ganzen Haus. Ich lasse absichtlich alle Türen offen, weil dieser Geruch ruhig überall hinziehen darf. Er füllt jeden Winkel mit diesem Feiertagsgefühl, einer warmen Geborgenheit, die nicht nur vom Backofen ausstrahlt. Es riecht nach Schokolade, der süßen Versuchung, die ich eben noch im Wasserbad geschmolzen habe. Weil ich schon backe, seit ich einen Teigschaber halten kann, erinnert mich das Teigrühren, Naschen und das gespannte Warten vor dem Ofen immer an ganz besondere Momente, in denen ich meiner Oma oder meiner Mom in der Küche helfen durfte. Dabei lief das Küchenradio und wir teilten etwas, das ich jetzt, mehr als 20 Jahre später, noch mehr zu schätzen weiß: Zeit. Bis der
Ofen auf Temperatur gebracht, die Zutaten abgemessen, die Arbeitsfläche bemehlt war – und dann das genüssliche Rühren, das genaue Einfüllen und Ausharren in der Nähe des Backofens, um das Meisterwerk aufgehen zu sehen. Nichts konnte mich aus der Ruhe bringen, wenn ein Kuchen oder Kekse in Aussicht standen.
Das habe ich lange gepflegt. Während meines Studiums war meine Hauptbackzeit der Samstagnachmittag. Dann stand ich in der Küche und hörte die BundesligaKonferenz im Radio, weil ich es spannend finde, wenn die Reporter sich gegenseitig unterbrechen, „Tooooor!“schreien und mir das Spielgeschehen so nahe bringen, dass ich keine Sportschau brauche, um es vor mir zu sehen – und, weil ich nebenher backen kann. So war der Sonntagskuchen immer gesichert, und ich mit Fußballergebnissen auf dem Laufenden.
Zum Ende meines Studiums zog der Stress an, und mit ihm das Backen. Während der Magisterarbeitszeit konnte man mich fast jeden Abend in der Küche finden – so verlässlich, dass mein Onkel sich Sorgen um mich machte, als bei seinem Besuch mal nichts frisch Gebackenes im Haus war. Erst viel später hab ich verstanden, warum mein Ausgleich zur geistigen Arbeit nicht etwa Sport oder Schlaf waren,
sondern statt dessen lieber leckere Backwaren für mich und andere am Fließband produzierte.
Backen als Therapie
Bei all der Zeit, die ich am Computer verbrachte, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich vorankam. Auch, wenn die Seitenzahl am Ende des Tages verriet, dass ich vier Seiten geschrieben hatte – das war kein greifbarer Erfolg. Wenn ich mich aber später in die Küche stellte und aus einfachen Zutaten etwas zauberte, das duftete, toll aussah und noch besser schmeckte – das war der befriedigende Höhepunkt meines Tages. Und nicht nur ich profitierte davon, auch meine Mitleidenden, die ebenfalls ihres Daseins in der Bibliothek fristeten, konnten daran teilhaben. Die Schokomuffins, Double Chocolate Cream Cheese Cookies brauchten natürlich auch hungrige Abnehmer. Also schmuggelte ich sie in die heiligen Hallen und verteilte sie in der Mittagspause in der Mensa zum Kaffee. Ich hatte am Ende fast mehr Tragebehälter im Rucksack als Bücher. Und meine Arbeitsgruppe wusste, sie konnte sich auf mich verlassen. „Therapeutisches Backen“prägten sie damals für mich, und – oh, wie Recht sie hatten!
In einer erfolgsorientierten Welt, in der meist nur Leistung zählt, ist das meine Nische. Egal, wie frustrierend der Tag war – im Feierabend kann ich mich rausnehmen. Ich kann etwas mit den Händen machen statt mit dem Kopf, etwas erschaffen und relativ schnell ein greifbares Ergebnis sehen. Und nicht nur das ist die Befriedigung, die mir das Backen bringt; Ich kann mein Werk auch noch mit anderen teilen, bekomme vielleicht sogar noch Anerkennung dazu, Seelenstreicheleinheiten, ein „Oh, du hast dir aber Mühe gegeben! Wie hast du das noch hingekriegt?“– Worte, die man vom Chef selten hört, wenn man ein Projekt fertigstellt. Aber den Kollegen den Tag versüßen und schon allein die Vorfreude darauf, die sich schon beim Backen selbst einstellt, das ist meine Therapie. So sind es zumindest nicht nur rein egoistischen Motive, die mich zum Backofen treiben.
Schokolade, die Ultima
Genau hier kommt Schokolade ins Spiel. Ein schnelles Ergebnis sehen, wie beim Backen ist unheimlich befriedigend und belohnt einen für den Aufwand. Schokolade zu essen aktiviert das Belohnungssystem, Dopamin wird ausgeschüttet, wir sind glücklich. Das bedeutet für mich: Schokoladenkuchen, Schokokekse, Schokoschockermuffins backen und sie danach verspeisen ist das Höchste der Gefühle. Und schon der Geruch reicht, dass mein Belohnungsgedächtnis mir suggeriert: Jetzt wird alles gut.
Und deshalb mache ich Schokolade in alles. Wer denkt, dass Schokolade nicht zu etwas Herzhaftem passt, sollte mal ein Stück in Gulasch probieren. Oder meine Bacon Chocolate Chip Cookies essen.
Die haben so reißenden Absatz gefunden, dass ich sie schon sehr oft nachbacken musste. Und es steckt eine Wissenschaft dahinter, warum Speck und Schokolade so gut zusammen schmecken: sie teilen viele Aromen miteinander. Schokolade hat mehr als 1 000 Aromen, also das, was man riecht, aber nur 30, die für unser Geschmackserlebnis wichtig sind. Und ein Teil davon deckt sich mit den Aromen in Bacon! Wissenschaft, die schmeckt – diese Kombination von süß und salzig möchte ich in meiner Küche nicht mehr missen.
Leben für den Genuss
Vor allem das Backen eines richtig guten Schokokuchens verlangt, dass man sich mal ganz auf den Moment
einlässt. Schokolade im Wasserbad zu schmelzen geht nicht nebenher, wenn man gerade eigentlich etwas anderes macht. Dann steigt der Wasserdampf auf, die Schokolade gerinnt und der Ärger ist groß. Oder das Wasser ist zu heiß, fängt an zu kochen, die Schokolade wird klumpig und glänzt nicht mehr so schön. Nein, Schokolade im Wasserbad zu schmelzen hat viel mit dem Jetzt und Hier zu tun und verzeiht keine Sekunde Unaufmerksamkeit. Meditatives, stetiges Rühren, etwa wie die Schweizer ihr Käsefondue in Form eines Unendlichkeitszeichens, ist der Weg zu flüssiger, glänzender und richtig temperierter Schokolade.
Das Schmelzen geht auch nicht schnell – jeder, der das schon mal in der Mikrowelle probiert hat und danach einen verbrannten, stinkenden Klumpen rausgenommen hat, weiß, was ich meine. Es gibt so einige „Life Hacks“im Internet, die einem helfen sollen, die Sache zu vereinfachen. Die haben durchaus ihre Existenzberechtigung. Ich habe schon erfolgreich mit der GefrierbeutelWasserkocher-Methode Schokolade direkt im Spritzbeutel geschmolzen. Als ich es allerdings das erste Mal versuchte, ist der Gefrierbeutel gleich mit geschmolzen und ich durfte die halbfeste Schokolade aus dem Wasserkocher kratzen. Das Säubern hat länger gedauert als ich gebraucht hätte, um die Schokolade im Wasserbad zu machen und hat auch den gegenteiligen Effekt des beruhigenden Rührens gehabt... Fakt ist: Wer schon einmal einen Schokoguss auf einen Kuchen gemacht hat, weiß, dass das auf die Schnelle nur in eine Richtung geht – schief. Einen Namen mit Schokolade auf eine Torte schreiben erfordert eine ruhige Hand sowie viel Mühe und viel Fluchen – zumindest bei mir.
Und trotzdem machen wir es immer wieder… weil einfach fast jeder Schokokuchen liebt, keiner widerstehen kann, und weil wir nach dem Verzieren die Schoko-Fingerspitzen in den Mund stecken dürfen. Weil wir, seit wir klein sind, wissen: geschmolzene und wieder hart gewordene Schokolade kriegt man kaum noch aus der Schüssel – man muss sie am besten gleich noch warm auskratzen und die Schokoreste im Mund verschwinden lassen. Ob Schokolade wirklich wissenschaftlich nachgewiesen glücklich macht? Keine Ahnung, aber ich kann grade auch schlecht antworten, ich habe einen Teigschaber im Mund. <