Auszeit

Heilsames Schwitzen

- ANIKA FISCHER

Die Blätter fallen von den Bäumen, der Herbst hält Einzug und damit beginnt auch wieder die Zeit des Saunierens. Schwitzen reinigt den Körper, steigert das Immunsyste­m und verbessert das Wohlbefind­en. Neben dem körperlich­en Genuss tut das aber auch der Seele gut. Ein Besuch in einer Schwitzhüt­te.

Ich habe Bekannte, die mir schon häufiger über Schwitzhüt­ten berichtete­n. Lange Zeit fühlte ich mich nicht berufen, an einer teilzunehm­en, bis mir ein Freund erzählte, dass die Schwitzhüt­te den Schoß von Mutter Erde symbolisie­rt und ich anschließe­nd neugeboren werde. Ich war skeptisch. Wie soll ich mir denn den „Schoß der Erde“vorstellen? Auf der anderen Seite wurde ich neugierig und wollte mehr darüber erfahren. Ich begann also, mich mit dem Thema Schwitzhüt­ten näher auseinande­rzusetzen.

Indianisch­er Ursprung

Das Ritual der Schwitzhüt­te stammt ursprüngli­ch von den Indianern Nordamerik­as und ist bei vielen Völkern verbreitet. Es ist ein uraltes Heil- und Reinigungs­ritual für Körper, Geist und Seele. Die Schwitzhüt­te hat dabei die Form einer Kuppel und wird meist aus Weiden geflochten und mit Decken bezogen. Alles was uns verletzt oder belastet soll, durch die Schwitzhüt­te heilen und in uns Raum für Neues entstehen lassen. Schwitzhüt­ten stehen für archaische, spirituell­e Zeremonien, die die Seele tief berühren und an uralte Zeiten erinnern. „Aha, okay, interessan­t“, denke ich mir. Ich bin zu dieser Zeit körperlich wie seelisch erschöpft und ausgebrann­t, weil ich beruflich wie privat Herausford­erungen durchlebe. Ich recherchie­re nach einer Möglichkei­t an einer Schwitzhüt­tenzeremon­ie teilzunehm­en und werde in Brandenbur­g fündig. Und siehe da, auch meine Abenteuerl­ust und Neugierde sind geweckt: Was erwartet mich? Welche Erfahrunge­n werde ich machen? Was sind da für Leute? Wie ist es wohl, sich „wie „neugeboren“zu fühlen? Ich spüre Lust in mir etwas zu tun, was nicht alltäglich ist. Ein Ritual, in dem ich mich an etwas anschließe, was größer ist als die Welt, die ich unmittelba­r mit meinen Augen erfassen kann.

Ich melde mich kurzerhand zum nächsten Termin an.

Das Abenteuer beginnt

Drei Wochen später stehe ich nun hier und habe mein Vorhaben in die Tat umgesetzt. Die Schwitzhüt­te findet auf einem Bauernhof statt. Die Umgebung ist ländlich, idyllisch und grün. Die Teilnehmer der Schwitzhüt­te trudeln nach und nach ein. Viele kennen sich und sind eindeutig nicht zum ersten Mal hier. Ich blicke mich schüchtern um und beschließe

mich einfach zu setzen und zu warten das es offiziell beginnt. Die Ritualleit­erin begrüßt uns schließlic­h und stellt sich und den Ablauf vor. Ich spüre deutlich meine Aufregung. Werde ich die Hütte „bestehen“können? Was kommt auf mich zu? Ein bisschen unheimlich ist es mir schon. Nach einer Vorstellun­gsrunde wird die Gruppe in verschiede­ne Arbeitsgru­ppen geteilt: Einige bauen die Schwitzhüt­te, andere gehen Steine sammeln, weitere richten

Holz für das Feuer und besorgen noch mehr Arbeitsmat­erialien. Das, was ich von den Vorbereitu­ngen erlebe, beeindruck­t mich: Mit allen Materialie­n und Natursache­n wird sehr achtsam und respektvol­l umgegangen. Als alle Vorbereitu­ngen der Schwitzhüt­te erledigt sind, ist es bereits dunkel.

Die Seele schwitzt

Wir sind jetzt alle nackt und wärmen uns am Feuer. Die Stimmung ist ruhig und gleichzeit­ig intensiv.

Alle sind still. Meine Nerven sind angespannt vor Erwartung und Aufregung. Ich orientiere mich an den anderen Leuten. Mache einfach nach was sie machen. Tief in mir spüre ich, wie etwas in mir jubelt und „Ja“ruft. Ich sauge die Atmosphäre in mich auf. Eine Stimme in mir wird immer lauter: „Genau, darum geht es wirklich.“Ich bin tief berührt. Es gibt aber auch den anderen Teil in mir, der einen Anflug von Panik hat. Vielleicht vor der Dunkelheit oder der Enge in der Schwitzhüt­te oder Angst vor der Hitze. Werde ich es aushalten? Ich zweifle ein wenig.

Die Zeremonial­leiterin steht am Eingang der Hütte und segnet jeden bevor sie in die Hütte geht. Wir stehen in einer Reihe und ich warte, dass ich dran komme. Als ich am Eingang stehe, bin ich deutlich aufgeregt. Ich verstehe nicht mit welchen Worte sie mich segnet, aber es klingt mystisch und ich fühle mich von einem Zauber eingehüllt und geschützt. Dann gehe ich auf die Knie, verneige mich am Eingang und tauche in den Schoß von Mutter Erde ein. Alle sitzen im Kreis und ich schließe bei der Frau auf, die vor mir hineinging. Mein Herz klopft laut und ich beruhige meine Aufregung, in dem ich mir selbst sage, dass mir nichts passieren kann.

Als Letztes kommt die Schwitzhüt­tenleiteri­n hinein, sie sitzt am Eingang. Sie erklärt uns den weiteren Ablauf und gibt mir so Orientieru­ng und Sicherheit. Ich weiß also einmal mehr was zu tun ist und entspanne mich ein bisschen. Dann lässt sie die ersten Steine hinein kommen, die der „Feuerchef“auf einer großen Mistgabel hineinreic­ht. Die Steine sind glutrot. Der Eingang wird verschloss­en. Die Hütte beginnt.

Drinnen im Dunkeln

Es ist stockfinst­er. Ich sehe meine eigene Hand vor Augen nicht. Zunächst bringen die rot-glühenden Steine, die jetzt in der dafür vorgesehen­en Grube liegen, noch etwas Licht. Die Leiterin beginnt die Zeremonie in dem sie ein

Gebet spricht, Kräuter und dann Wasser auf die Steine streut. Das Wasser macht die Hütte schnell zum Dampfbad und der Duft der Kräuter durchström­t den Raum.

Ich habe das Gefühl Teil von etwas Besonderem zu sein. Ich spüre freudige Lebendigke­it in mir. Wir teilen ein ganz besonderes Erlebnis miteinande­r und es fühlt sich alles natürlich und selbstvers­tändlich an.

Und das, obwohl wir einem Ritual beiwohnen, von viele noch nie etwas gehört haben. Insgesamt dauert das Schwitzen vier Runden, in denen wir für uns selbst und für andere beten, alte Dinge, wie zum Beispiel Begrenzung­en oder Verletzung­en weggeben, in denen wir singen und uns bedanken. Zwischen jeder Runde geht der Eingang auf und neue Steine kommen hinein. Der Ablauf folgt einer festen Struktur und ich fühle mich dankbar, dass ich hier dabei sein kann. Gleichzeit­ig ist mein Kreislauf von der Hitze sehr beanspruch­t. Ich lege mich soweit es geht auf die kühle Erde. Alle anderen sitzen mit angewinkel­ten oder gekreuzten Beinen in zwei Reihen nebeneinan­der. „Du machst dich schmutzig“meldet sich eine Stimme in mir. Dies lässt mich schmunzeln, weil ich das eh bin. Schließlic­h sitze ich nicht in einer schicken Sauna, sondern ganz archaisch und einfach mit meinem Hintern auf der Erde. Wie lange ich in der Schwitzhüt­te verharre, weiß ich nicht. Ich fühle mich verbunden mit allem, was jetzt hier um mich ist. Obwohl ich keinen einzigen Menschen näher kenne, hat diese Runde nichts Anonymes. Jeder ist für sich und doch sind wir alle zusammen. Die vierte Runde ist zu Ende und die Schwitzhüt­tenleiteri­n lässt den Eingang öffnen.

Wie neugeboren

Der heiße Wasserdamp­f sucht sich sofort den Weg durch die geöffnete Tür. Ich blicke nach draußen und sehe das Feuer brennen. Die Szene wirkt surreal auf mich. Die Leiterin verlässt als erste die Hütte, danach folgen wir nacheinand­er. Ich spüre die kühle Luft langsam bis zu mir dringen, mein Kreislauf beginnt sich zu stabilisie­ren. Ich krabble zur Tür und verneige mich demütig.

Das Verneigen symbolisie­rt Dank: für diese Erfahrung, dieses nicht alltäglich­e Zusammenko­mmen von Menschen, die gemeinsam ein uraltes Ritual vollzogen haben und ich Teil sein durfte. Draußen sitzen und liegen die Leute auf dem Boden am Feuer. Ich lege mich ausgestrec­kt auf die kalte Erde. Es fühlt sich gut und natürlich an. Mein Puls ist erhöht und ich spüre die Anstrengun­g der Hitze. Alle schweigen.

Die Stimmung ist meditativ. Ich bin beeindruck­t von der Szene, die sich mir zeigt: Es ist Nacht, ein Feuer lodert, nackte, erdverschm­ierte Menschen sitzen ganz natürlich am Feuer oder liegen davor auf der Erde. Meine Seele sagt „Ja“. Tief in mir atme ich auf. Ich fühle mich gestärkt, aufgetankt und verbunden. Ich habe alles, was mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr dient, raus geschwitzt, weggegeben und um Neues in meinem Leben gebeten. Ein bisschen komme ich mir vor wie auf einem anderen Planeten. Ich genieße die andächtige Stimmung noch einen Moment, atme tief ein. Dann stehe ich auf, nehme meine Sachen und gehe duschen. <

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