Heilsames Schwitzen
Die Blätter fallen von den Bäumen, der Herbst hält Einzug und damit beginnt auch wieder die Zeit des Saunierens. Schwitzen reinigt den Körper, steigert das Immunsystem und verbessert das Wohlbefinden. Neben dem körperlichen Genuss tut das aber auch der Seele gut. Ein Besuch in einer Schwitzhütte.
Ich habe Bekannte, die mir schon häufiger über Schwitzhütten berichteten. Lange Zeit fühlte ich mich nicht berufen, an einer teilzunehmen, bis mir ein Freund erzählte, dass die Schwitzhütte den Schoß von Mutter Erde symbolisiert und ich anschließend neugeboren werde. Ich war skeptisch. Wie soll ich mir denn den „Schoß der Erde“vorstellen? Auf der anderen Seite wurde ich neugierig und wollte mehr darüber erfahren. Ich begann also, mich mit dem Thema Schwitzhütten näher auseinanderzusetzen.
Indianischer Ursprung
Das Ritual der Schwitzhütte stammt ursprünglich von den Indianern Nordamerikas und ist bei vielen Völkern verbreitet. Es ist ein uraltes Heil- und Reinigungsritual für Körper, Geist und Seele. Die Schwitzhütte hat dabei die Form einer Kuppel und wird meist aus Weiden geflochten und mit Decken bezogen. Alles was uns verletzt oder belastet soll, durch die Schwitzhütte heilen und in uns Raum für Neues entstehen lassen. Schwitzhütten stehen für archaische, spirituelle Zeremonien, die die Seele tief berühren und an uralte Zeiten erinnern. „Aha, okay, interessant“, denke ich mir. Ich bin zu dieser Zeit körperlich wie seelisch erschöpft und ausgebrannt, weil ich beruflich wie privat Herausforderungen durchlebe. Ich recherchiere nach einer Möglichkeit an einer Schwitzhüttenzeremonie teilzunehmen und werde in Brandenburg fündig. Und siehe da, auch meine Abenteuerlust und Neugierde sind geweckt: Was erwartet mich? Welche Erfahrungen werde ich machen? Was sind da für Leute? Wie ist es wohl, sich „wie „neugeboren“zu fühlen? Ich spüre Lust in mir etwas zu tun, was nicht alltäglich ist. Ein Ritual, in dem ich mich an etwas anschließe, was größer ist als die Welt, die ich unmittelbar mit meinen Augen erfassen kann.
Ich melde mich kurzerhand zum nächsten Termin an.
Das Abenteuer beginnt
Drei Wochen später stehe ich nun hier und habe mein Vorhaben in die Tat umgesetzt. Die Schwitzhütte findet auf einem Bauernhof statt. Die Umgebung ist ländlich, idyllisch und grün. Die Teilnehmer der Schwitzhütte trudeln nach und nach ein. Viele kennen sich und sind eindeutig nicht zum ersten Mal hier. Ich blicke mich schüchtern um und beschließe
mich einfach zu setzen und zu warten das es offiziell beginnt. Die Ritualleiterin begrüßt uns schließlich und stellt sich und den Ablauf vor. Ich spüre deutlich meine Aufregung. Werde ich die Hütte „bestehen“können? Was kommt auf mich zu? Ein bisschen unheimlich ist es mir schon. Nach einer Vorstellungsrunde wird die Gruppe in verschiedene Arbeitsgruppen geteilt: Einige bauen die Schwitzhütte, andere gehen Steine sammeln, weitere richten
Holz für das Feuer und besorgen noch mehr Arbeitsmaterialien. Das, was ich von den Vorbereitungen erlebe, beeindruckt mich: Mit allen Materialien und Natursachen wird sehr achtsam und respektvoll umgegangen. Als alle Vorbereitungen der Schwitzhütte erledigt sind, ist es bereits dunkel.
Die Seele schwitzt
Wir sind jetzt alle nackt und wärmen uns am Feuer. Die Stimmung ist ruhig und gleichzeitig intensiv.
Alle sind still. Meine Nerven sind angespannt vor Erwartung und Aufregung. Ich orientiere mich an den anderen Leuten. Mache einfach nach was sie machen. Tief in mir spüre ich, wie etwas in mir jubelt und „Ja“ruft. Ich sauge die Atmosphäre in mich auf. Eine Stimme in mir wird immer lauter: „Genau, darum geht es wirklich.“Ich bin tief berührt. Es gibt aber auch den anderen Teil in mir, der einen Anflug von Panik hat. Vielleicht vor der Dunkelheit oder der Enge in der Schwitzhütte oder Angst vor der Hitze. Werde ich es aushalten? Ich zweifle ein wenig.
Die Zeremonialleiterin steht am Eingang der Hütte und segnet jeden bevor sie in die Hütte geht. Wir stehen in einer Reihe und ich warte, dass ich dran komme. Als ich am Eingang stehe, bin ich deutlich aufgeregt. Ich verstehe nicht mit welchen Worte sie mich segnet, aber es klingt mystisch und ich fühle mich von einem Zauber eingehüllt und geschützt. Dann gehe ich auf die Knie, verneige mich am Eingang und tauche in den Schoß von Mutter Erde ein. Alle sitzen im Kreis und ich schließe bei der Frau auf, die vor mir hineinging. Mein Herz klopft laut und ich beruhige meine Aufregung, in dem ich mir selbst sage, dass mir nichts passieren kann.
Als Letztes kommt die Schwitzhüttenleiterin hinein, sie sitzt am Eingang. Sie erklärt uns den weiteren Ablauf und gibt mir so Orientierung und Sicherheit. Ich weiß also einmal mehr was zu tun ist und entspanne mich ein bisschen. Dann lässt sie die ersten Steine hinein kommen, die der „Feuerchef“auf einer großen Mistgabel hineinreicht. Die Steine sind glutrot. Der Eingang wird verschlossen. Die Hütte beginnt.
Drinnen im Dunkeln
Es ist stockfinster. Ich sehe meine eigene Hand vor Augen nicht. Zunächst bringen die rot-glühenden Steine, die jetzt in der dafür vorgesehenen Grube liegen, noch etwas Licht. Die Leiterin beginnt die Zeremonie in dem sie ein
Gebet spricht, Kräuter und dann Wasser auf die Steine streut. Das Wasser macht die Hütte schnell zum Dampfbad und der Duft der Kräuter durchströmt den Raum.
Ich habe das Gefühl Teil von etwas Besonderem zu sein. Ich spüre freudige Lebendigkeit in mir. Wir teilen ein ganz besonderes Erlebnis miteinander und es fühlt sich alles natürlich und selbstverständlich an.
Und das, obwohl wir einem Ritual beiwohnen, von viele noch nie etwas gehört haben. Insgesamt dauert das Schwitzen vier Runden, in denen wir für uns selbst und für andere beten, alte Dinge, wie zum Beispiel Begrenzungen oder Verletzungen weggeben, in denen wir singen und uns bedanken. Zwischen jeder Runde geht der Eingang auf und neue Steine kommen hinein. Der Ablauf folgt einer festen Struktur und ich fühle mich dankbar, dass ich hier dabei sein kann. Gleichzeitig ist mein Kreislauf von der Hitze sehr beansprucht. Ich lege mich soweit es geht auf die kühle Erde. Alle anderen sitzen mit angewinkelten oder gekreuzten Beinen in zwei Reihen nebeneinander. „Du machst dich schmutzig“meldet sich eine Stimme in mir. Dies lässt mich schmunzeln, weil ich das eh bin. Schließlich sitze ich nicht in einer schicken Sauna, sondern ganz archaisch und einfach mit meinem Hintern auf der Erde. Wie lange ich in der Schwitzhütte verharre, weiß ich nicht. Ich fühle mich verbunden mit allem, was jetzt hier um mich ist. Obwohl ich keinen einzigen Menschen näher kenne, hat diese Runde nichts Anonymes. Jeder ist für sich und doch sind wir alle zusammen. Die vierte Runde ist zu Ende und die Schwitzhüttenleiterin lässt den Eingang öffnen.
Wie neugeboren
Der heiße Wasserdampf sucht sich sofort den Weg durch die geöffnete Tür. Ich blicke nach draußen und sehe das Feuer brennen. Die Szene wirkt surreal auf mich. Die Leiterin verlässt als erste die Hütte, danach folgen wir nacheinander. Ich spüre die kühle Luft langsam bis zu mir dringen, mein Kreislauf beginnt sich zu stabilisieren. Ich krabble zur Tür und verneige mich demütig.
Das Verneigen symbolisiert Dank: für diese Erfahrung, dieses nicht alltägliche Zusammenkommen von Menschen, die gemeinsam ein uraltes Ritual vollzogen haben und ich Teil sein durfte. Draußen sitzen und liegen die Leute auf dem Boden am Feuer. Ich lege mich ausgestreckt auf die kalte Erde. Es fühlt sich gut und natürlich an. Mein Puls ist erhöht und ich spüre die Anstrengung der Hitze. Alle schweigen.
Die Stimmung ist meditativ. Ich bin beeindruckt von der Szene, die sich mir zeigt: Es ist Nacht, ein Feuer lodert, nackte, erdverschmierte Menschen sitzen ganz natürlich am Feuer oder liegen davor auf der Erde. Meine Seele sagt „Ja“. Tief in mir atme ich auf. Ich fühle mich gestärkt, aufgetankt und verbunden. Ich habe alles, was mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr dient, raus geschwitzt, weggegeben und um Neues in meinem Leben gebeten. Ein bisschen komme ich mir vor wie auf einem anderen Planeten. Ich genieße die andächtige Stimmung noch einen Moment, atme tief ein. Dann stehe ich auf, nehme meine Sachen und gehe duschen. <