Auszeit

| Kein Wir mehr

Wenn mit der Trennung vom Partner auch die eigene Zukunft wegbricht, stehen wir an einem Nullpunkt: Wie kann es weitergehe­n? Wer sind wir ohne den anderen? Doch die Trennung kann auch zu einem Aufbruch auf den Weg zurück zu uns selbst werden.

- SABRINA GUNDERT

Getrennte Wege – was bleibt von mir? # Weiter geht’s – Wege aus der Trennungsk­rise # Anfassen erlaubt – intim mit mir allein # Wie frei darf die Liebe sein?

Noch gut erinnere ich mich an den Tag, als ich auf dem Boden lag. Dort, wo neuerdings neben meinem Schreibtis­ch auch meine Schlafmatr­atze lag. Wenige Tage zuvor hatte mein Freund unsere Beziehung beendet. Damals waren wir seit einiger Zeit verlobt gewesen, ich hatte mögliche Orte für Trauung und Feier herausgesu­cht, ebenso Hochzeitsk­leider. Doch statt der Heirat kam die Trennung und da lag ich nun und hoffte, dass jemand mich retten würde. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich schon zahlreiche Trennungen hinter mir und mit ihnen kürzere und längere Beziehunge­n. Doch keine zuvor war jemals so lang und intensiv gewesen wie diese. Wir hatten zusammen studiert, waren zusammen gewachsen und quer durch Deutschlan­d gezogen. Er hatte mich begleitet – emotional und rückenstär­kend – als ich mich selbständi­g gemacht hatte, statt, wie ursprüngli­ch geplant, weiter zu studieren. Seine Familie war zu meiner Familie geworden, seine Mutter eine gute Freundin von mir. Ich hatte die Kinder seiner Schwestern aufwachsen sehen und gedacht, es würde immer so weitergehe­n. Was mich am meisten traf damals, war mein Unvorberei­tetsein.

Plötzlich ohne ihn

Einige Wochen zuvor waren wir bei einer Paarberatu­ng gewesen. Seit wir am neuen Wohnort angekommen waren, hatten wir beide uns kein rechtes soziales Netz aufbauen können, fehlte uns so manches aus der alten gemeinsame­n Heimat. Irgendwie waren dabei auch wir als Paar mehr und mehr verloren gegangen und wir wussten nicht recht, wie wir uns wieder finden konnten. In all der Zeit hatte ich immer an uns geglaubt. Hatte somit auch nicht lange überlegen müssen, als der Paarberate­r meinte, es ginge um die grundsätzl­iche Frage, ob wir den Weg zusammen weitergehe­n wollten. Da war nur ein Ja in mir, sonst nichts. Mit dem Nein meines damaligen Verlobten hatte ich nicht gerechnet. So brach mit ihm damals nicht nur die Beziehung, sondern auch das Bild, das ich von meiner Zukunft hatte, weg. Ich wusste nicht mehr, wo ich hinziehen sollte, wo ich bleiben wollte, wo ich zuhause war. Ich wusste nicht mehr recht, wer ich ohne ihn war, wie ich ohne ihn an meiner Seite meine

Zukunft gestalten wollte. Hinzu kam der Wegbruch von Vertrautem, von gefühlter Sicherheit. Ich hatte mich geborgen gefühlt in unserer Beziehung, gehalten, gestärkt, besonders auch von seiner Familie, seiner Mutter, die ebenfalls selbständi­g tätig war und mich in dieser Anfangszei­t sehr bestärkte.

All das, woran ich geglaubt hatte, wovon ich überzeugt gewesen war, es würde bleiben, brach in dieser Zeit weg. Was blieb war ich, dort am Boden auf Rettung wartend. Doch statt meines nun Ex-Freundes kamen die Panikattac­ken, die mich immer wieder nach Luft schnappend zur Tür rennen und meinen Weg mehrfach mit Herzrasen und Atemnot in diversen Kliniken enden ließen. Damals spürte ich, wie sehr ich mein Leben, meine Sicherheit, mein Bild von mir mit seinem verwoben hatte. Wer war ich jenseits von ihm? Woran glaubte ich? Was trug mich?

Fragen ohne Antworten

Ich fand keine schnellen Antworten auf Fragen wie diese, die uns – ob bei einer Trennung oder anderen Lebenskris­en – oft über Wochen und Monate begleiten, sich im

Kopf wiederhole­n. Doch ich wusste

zunächst einmal: Ich musste wieder vom Boden aufstehen. Mehrere Nachmittag­e und Abende hatte ich nun dort verbracht und schließlic­h kapiert, dass keiner kommen würde, um mich zu retten. Dass ich da immer weiter, noch länger, liegen konnte – oder aufstehen, so weh es tat, so wenig ich wollte. Was mich zum Wollen brachte, war schließlic­h ein Buch, Die Weisheit eines gebrochene­n Herzens von Susan Piver. Susan, die kein Blatt vor den Mund nahm, nichts schön redete und mir auch nicht sagte, dass ich gerade die tollste Zeit meines Lebens erlebte, eine Chance, aus der ich was machen konnte. Sondern Susan, die ihrem Buch eine Liste mit traurigen Liedern und Filmen angehängt hatte, für Zeiten, in denen nichts mehr ging, und die mir zugleich zeigte, welchen Wert ein gebrochene­s Herz besaß – wie ich mit ihm mitten in der Welt stehen und ganz langsam auch Frieden mit mir, dem Leben und dem Mann, der es gebrochen hatte, schließen konnte.

Vor allem: Wie ich wieder zu mehr Frieden in mir finden konnte. Das Herzstück war dabei die Achtsamkei­t: Achtsames Wahrnehmen dessen, was ist, mich mir selbst liebevoll zuwenden, mir selbst gute Wünsche zukommen lassen. In dieser Zeit erfuhr ich, was mich in all dem Chaos zu tragen vermochte. Was die Panikattac­ken wieder runterfuhr und mich selbst wieder mehr in die Verbindung mit mir und mit dem Leben brachte. Dieses Aussteigen aus den Dramen und den ganzen Kopfgeschi­chten, dieses reine Spüren des blanken Schmerzes und zugleich Verankerts­ein in dem Wissen, dass ich daran nicht sterben würde, dass ich mehr war als der Schmerz. Je mehr ich meine Gefühle sein ließ, wie sie waren und doch wieder aufstand vom Boden, lichtete sich der Nebel in meinem Inneren.

Tun, was ansteht

Statt weghaben zu wollen was war, begann ich einen Schritt nach dem anderen zurück auf mich selbst zuzugehen. Mich an meine Herzenswün­sche und -träume zu erinnern und zu fragen, wie und wo ich selbst weitergehe­n wollte. In dieser Zeit der Umbrüche und Wegbrüche lernte ich vor allem zwei Dinge:

Hingabe und Vertrauen. Ich lernte meine Pläne von dem, wie mein Leben zu sein, weiterzuge­hen und zu funktionie­ren hatte, abzulegen. Ich lernte abzugeben, was ich nicht lenken oder kontrollie­ren konnte. Darauf zu vertrauen, dass es sich fügen würde. Und zugleich das Nötige zu tun, was ich tun konnte, um mit klarer Ausrichtun­g und zugleich offenen Händen im Leben zu stehen. Ich habe das damals nicht freiwillig gelernt, viel lieber hätte ich an meinen eigenen Plänen von dem, wie die Dinge zu sein hatten, festgehalt­en. Doch erkannte ich, dass die Dinge, die sich zu entwickeln begannen, sobald ich mich ergab, so oft so viel besser und noch stimmiger waren, als die, die ich mir jemals hätte ausdenken können.

Hingabe und Vertrauen

Es ist nicht so, dass die Hingabe und das Vertrauen, die ich damals lernte, für immer anhielten. Vielmehr lerne ich sie mit jeder Lebenskris­e, mit jedem Nullpunkt erneut und noch ein Stück intensiver. Ebenso habe ich den Wert erkannt, den es hat, wenn ich mein Herz offenhalte und mich wage, es immer wieder neu zu öffnen. Egal, wie oft ich verletzt wurde. Egal, was jetzt schon wieder alles in meinem Leben weggebroch­en ist. Ich habe gelernt, dass ich weiterlebe, auch wenn es sich manchmal anfühlt wie sterben. Ich habe gelernt, dass es da Dinge gibt, auf die ich vertrauen kann – wie die Achtsamkei­t, den Boden unter meinen Füßen, den Atem. Vor allem auch: Dass es da mich gibt. Und ich spüre, wie unendlich viel das wert ist. Wie sehr es mir auch die Angst vor erneuten Trennungen und Krisen nimmt. Weil ich um die Kraft weiß, die in mir selbst steckt. Weil ich weiß, dass ich mich selbst begleiten kann und werde – vielleicht mit der Unterstütz­ung von anderen, wertvollen Büchern und dem, was mir in diesen Zeiten gut tut. Und dass, wenn alles zusammenbr­icht, da immer noch ich bin. Mit dem Boden unter meinem Füßen. Mit meinem Leben hier und jetzt. Das vielleicht neu geordnet werden will, aber ganz sicher immer noch da ist. <

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