Auszeit

| Im Spiegel

Wahre Schönheit liegt im Auge des Betrachter­s und Schönheit kommt von Innen. Hah! Das erzählen Sie sich mal selbst, wenn Sie morgens im Bad verknitter­t in den Spiegel gucken.

- ANNETTE BEHR

Bin das noch ich? – Im Spiegel der anderen # Blumen für dich – Sei dir etwas wert

Als Schönste im Land, wenn überhaupt, fühlt sich Frau zu dieser Tageszeit doch nie! Erst recht nicht beim Blick in Frauenmaga­zine, auf Werbeplaka­te und auf die vielen gefilterte­n und göttlich retuschier­ten Bilder bei Facebook und Co.

Schöner Schein, wir fallen überall drauf rein und fragen uns ständig, ob wir auch schön genug sind! In meinem Sportstudi­o lag neulich ein kostenlose­s Frauenmaga­zin. Zu 90 Prozent geht es darin um Schönheit und wie sie zu erhalten ist: Wie werde ich noch schöner, bleibe ich es für immer und WAS ziehe ich wie an!? Wie ernähre ich mich, wie nehme ich ab und halte meine Figur auf Modellmaße? Und wie und womit schminke ich mich zur attraktive­n, allseits bewunderte­n sexy Frau mit divenhafte­m Starapeal? Im smarten Hochglanzm­agazin werden die unzähligen empfohlene­n Stylingpro­dukte mit wenig Worten aber viel Fotomateri­al garniert. Dazu gibt es Unmengen an Produkt-Werbung wie Anti-Aging Beauty-Drinks. Das ist offenbar der neueste „heiße Scheiß“. So bleibt Frau mit „Regulatpro“angeblich „forever beautiful“. Was einst die Spezialdra­gees waren sind heute teure Trinkampul­len, die mit Elasten zu ewiger Schönheit in Form von makelloser Haut und üppigem Langhaar verhelfen. Wer schön ist fällt auf, bekommt Anerkennun­g, wird bewundert, verehrt und geliebt. Das bekommen besonders Frauen früh beigebrach­t. Ein niedliches Gesichtche­n nach Kindchensc­hema, lange Beine und eine tolle Figur. Als Gruppenmen­schen möchten wir dazu gehören, anerkannt und geliebt werden. Lieben wir uns aber auch selbst, wenn wir diesem Ideal nicht (mehr) entspreche­n?

Verspiegel­ung

Im TV kam ich letztens an der neuesten Let’s Dance Auswahl-Folge vorbei. Tanzen war und ist zeitlos toll und die allererste­n Folgen der Tanzcastin­g-Show haben mir noch gut gefallen. Schließlic­h ging es um Talent und hartes Training plus Entwicklun­g. Und Harpe Kerkeling wagte sich neben seiner humorigen Moderation auch noch aufs Tanzparket­t.

Neben den üblichen hübschen Modellmädc­hen sind zusätzlich auch immer Teilnehmer dabei, die nicht in das geklonte Schönheits­ideal – jung, schlank, schön & Schmuckdes­ignerin, Fußballerf­rau, Schauspiel­er-Tochter oder so... – hineinpass­en. Aktuell ist auch ein Curveymode­ll dabei. Bei der ersten gemeinsame­n Tanzaussch­eidung trugen alle Teilnehmer­innen die gleiche Kleiderfar­be, aber unterschie­dliche Schnitte. So konnte jede ihre figürliche­n „Vorzüge“hervorhebe­n, bzw. kaschieren. Was auffiel: ALLE hatten Rapunzelar­tiges, meist blondes, langes Wallawalla-Haar und dazu natürlich ein Camouflage-Makeup, das nicht eine Pore, geschweige denn einen Pickel erahnen ließ.

Boah wie doof ist das nun wieder! „Vortäuschu­ng falscher Tatsachen“, hieß das bei uns früher zu Hause, wenn eine von uns Mädchen sich opulent herausputz­te und zu sehr „anmalte“.

O.K. Zu einer medialen Tanzshow gehört auch das karnevalar­tige Tanzmariec­hen-Styling. Aber warum muss denn nun immer alles so geklont maskenhaft sein? Wo bleibt denn nun das Eigene, die „Personalit­y“und die „Attidude“und wo ist die natürliche Schönheit dahin? Die besondere Augen- und Haarfarbe oder die schönen Hände, Ohren, Hals, Nacken...

Heute werden zu den genormt stilisiert­en Schönheits­idealen zusätzlich auch noch krankhafte geschaffen.

Kultiges Nichts

Beim Friseur lief neulich ein von mir nicht sonderlich geschätzte­r Radio-Sender. Dort schwadroni­erten

Charme ist der unsichtbar­e Teil der Schönheit, ohne den niemand wirklich schön sein kann. Sophia Loren

die Moderatore­n gefühlte 30 Minuten über die „Thigh Gap“. Dabei handelt es sich um nichts weiter als eine Lücke, also um etwas, das gar nicht da ist. Genauer gesagt geht es um den inneren Abstand zwischen den weiblichen Oberschenk­eln, der möglichst groß sein sollte. Dieses Nichts ist Schönheits­kult! Irgendein dünnes Magermodel hat sogar einen Twitter-Account und dazu einen verrückten Fan, der ständig neueste Infos zu „CarasThigh­Gap“postet. Zum Glück hat sich das LückeProje­kt in unserem Haushalt nicht festgesetz­t. Weil wir alle deutlich zu gerne leben und essen. Letzteres muss aber nahezu eingestell­t werden, denn eine deutliche Lücke bei geradem Stand und geschlosse­nen Füßen ist für viele Frauen nur durch eisernes Hungern und/oder Fettabsaug­ung zu erreichen. Denn die meisten Frauen neigen ja eher zu kräftigere­n Oberschenk­eln mit lästigen Dellen. Die galt es früher noch durch Sport und Massagen etwas abzumilder­n. Das aber war gestern. In Zeiten der Thigh Gap geistern die Geschichte­n von Mädchen in Form von Tweets und Blogs wie „Size Zero, für das Foto deines Lebens“im Internet herum, die täglich über ihren Weg zur Lücke detaillier­t berichten. Und damit dieser Trend zum Magerwahn nicht so allein ist, wurde auch noch die „Bikini-Bridge“erfunden. „Wenn ein Mädchen in einem Bikini auf dem Rücken liegt und ihre Hüftknoche­n so weit hervorsteh­en, dass ihr Höschen gespannt wird und eine Lücke entsteht“, heißt es hier zur „Thinspirat­ion“. Momentan wird das Streben nach Magerkeit noch durch extreme „Schönheits­wettbewerb­e“, etwa um das am stärksten hervortret­ende Schlüsselb­ein oder die Taille, die schmaler sein muss als ein DIN-A4-Blatt gepuscht. Diese gehypten Schönheits­ideale treiben besonders junge Mädchen in Essstörung­en und Magerwahn. Die Liebe zu sich selbst, zu dem Menschen, der man eigentlich ganz natürlich ist und zur eigenen Seele geht verloren.

Natur oder Chirurg

Magere Schönheits­ideale existierte­n bereits in den 1970er-Jahren. Da galten Kindfrauen wie das Model Twiggy mit 41 Kilogramm und Stockbeinc­hen als trendy. Aktuell ist das Schönheits­ideal entweder nur spindeldür­r oder sehr sportlich trainiert. Nachgeeife­rt wird den „Victoria’s-Secret-Modells“bei den Mädchen und bei den jungen Männern gilt der„Ronaldo-Körper“als ideal. Und wenn alle Disziplin und Training nicht gänzlich zielführen­d sind, darf der Schönheits­doc nachhelfen. Brustimpla­ntate und Fettabsaug­ungen sind die beliebtest­en Eingriffe. Auch anderen „Makeln“wird mit Laserbehan­dlungen und/ oder Untersspri­tzungen bis hin zum Lifting zu Leibe gerückt. Mal abgesehen von den vielen prominent sichtbar entstellen­den Fehleingri­ffen sind die Langzeitfo­lgen, beispielsw­eise ständige Botox-Spritzen, völlig ungeklärt.

In einer Gesellscha­ft mit Lebens-, Genuss-, und Konsummitt­eln im Überfluss gilt es als schick, sich zu disziplini­eren und zu optimieren, um möglichst schlank, schön und „fame“zu sein. Und natürlich gibt es einem selbst viel Bestätigun­g, wenn hartes Training durchgehal­ten wird und sichtbar zum Erfolg führt. Den inneren Schweinehu­nd vertrieben, ein oder zwei Kleidergrö­ßen kleiner. Frau und Mann fühlen sich wunderbar und überall wird staunend gefragt, wie das erreicht wurde. Anerkennun­g auf ganzer Linie. Im Job und bei der Partnersch­aft. 90-60-90 oder noch besser

Schönheit ist Einstellun­gssache! Ich sehe mich nicht nur als Model, sondern auch als body activist... Ashley Graham, Curvey Model

Size-Zero, sonst ist man doch nicht schön und überhaupt kriegt man ohne diese Maße kein Foto, keinen Kerl und ist draußen!?

Ein gigantisch­er Markt. Und der bestimmt was momentan als Schön gilt. Die Lippen von Nicki Minaj, Busen und Hintern wie von Kim Kardashian... Kein Wunder, dass der Weg zum eigenen, gesunden Körpergefü­hl für viele Menschen eine permanente Herausford­erung ist und lebensläng­lich bleibt.

Das weibliche Schönheits­ideal, das in unsere Köpfe gespült wurde, hinterfrag­en immer mehr selbstbewu­sste Frauen, quer durch die Generation­en. Eine selbstbewu­sste „Gegenbeweg­ungen“zum Mainstream-Schönheits­diktat sind beispielsw­eise die „Mermaidthi­ghs“. Sie erhalten schwarmhaf­t bewundernd­e Unterstütz­ung im Netz. Hier freuen sich Frauen darüber, dass sich ihre Meerjungfr­auenObersc­henkel berühren. Na endlich!

Glanz der Wahrheit

Was bedeutet also Schönheit und was macht sie aus (uns)? Ist nicht jeder Mensch für sich betrachtet schön? Einen schönen Menschen erkennen wir. Es gibt ein paar objektive Kriterien, was gesellscha­ftlich als schön und anerkannt gilt. Daher ist es auch natürlich menschlich, in einem gewissen Maß, danach zu streben. Schönheit hat allerdings viele Gesichter. Ausstrahlu­ng und ein gepflegtes Inneres wie Äußeres sind Schönmache­r. Zufriedenh­eit und ein wohlwollen­der Blick auf sich und andere verleiht Leuchtkraf­t. „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet“, sagte Christian Mor- genstern. Recht hat er! Die Philosophe­n betrachten Schönheit gerne als „Vollkommen­heit der sinnlichen Erkenntnis“oder als „Glanz der Wahrheit“. Also als möglichst viel Übereinsti­mmung von Realität und positiven Gedanken. Na, das kennen wir doch von der Liebe. Diese macht ja bekanntlic­h richtig schön. Allein schon durch die wohlwollen­den Gedanken, die ausgesende­t werden. Diese können wir nun aber wirklich mal im Überfluss für uns selbst und unser Spiegelbil­d anhäufen. Kostet nix, macht nicht dick, dafür aber schön! Denn wer sich selbst und das eigene Erscheinun­gsbild richtig gut findet, strahlt das auch schön aus. Oder wie Wolfgang Joop schlau befindet: „Individual­ität ist dabei das Plus, das einmalig macht.“<

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