Liebe, analog und in Farbe
„LOVE HURTS IN TINDER TIMES“
Sie schmeißen eine Party. Mit 80er und 90er Jahre Pop-Klassikern. Schauspieler singen, philosophieren und reflektieren über die Liebe. Ein nachhaltiger Abend für alle Liebeswilligen, meine Tochter und mich.
Es ist das kleine Studio neben der großen Schaubühne. Intimer Ort in hellem Licht.
Das „Factory-ähnliche Bühnensetting“, wie Patrick Wengenroth das Bühnenbild seiner Inszenierung beschreibt, erinnert mich an das 1980er Disko-Keller-CouchAmbiente. Damals hingen an den Wänden häufig alte, vergilbte Tapeten. Es roch etwas muffig. Man lümmelte sich auf ranzigen Sofas herum. Die Musik und wir waren noch frisch, verwirrt und unerfahren in Sachen Liebe. Love is a catastrophe / Look what it’s done to me / Brought me down here so low / stranded, nowhere to go (Pet Shop Boys) Bevor sich aber auf der Bühne gelümmelt wird, steht Wengenroth zittrig auf schwarzen High Heels und in Netzstrumpfhose gendernd als Conchita am Mikrophon. „Love is a catastrophe“von den Pet Shop Boys singt er. Und „Love hurts“, das spiegelt sich nicht nur in den Pop-Songs.
Das fängt ja gut an, denke ich als sich wenig später Mark Waschke – kaum dass er die Bühne betreten hat – langsam und beiläufig auszieht. Er macht sich komplett nackig, wie später auch die anderen beiden des Schauspieler-Trios. Mir ist etwas mulmig, weil ich vermute, dass das meine heranwachsende Tochter peinlich berührt. Ich sage leise „Achherje“und schaue sie vorsichtig von der Seite an. Doch sie lächelt.
I want your sex
Mit seinem überaus trainierten Adoniskörper steht Waschke nun vor uns und spricht: „Manchmal ist eine Begegnung, ein kurzer Augenblick doch mehr, als jeder Sex den wir je mit irgendjemandem vorher hatten...!“, Peng. Wham. Das sitzt. Jawoll!, denke ich. Genauso ist es und allein für diesen Satz könnte ich ihn ja schon lieben... Denn das sind die wahren tiefen Gefühle aus uns selbst und die unvergleichlich magische Verbindung zum anderen. Ohne irgendwelches Tun und noch fern von Besitzansprüchen, Mustern und gesellschaftlicher Norm. Ein Moment, eine Sekunde oder ein
paar Minuten... vielleicht gefolgt von sehnsüchtigen Gedanken...
Die können bleiben oder sich verflüchtigen. Momente der Liebe … auch zu uns selbst?!
Jetzt schaut Waschke mit seinen blauen Augen eindringlich ins Publikum. Streckt seine Hand aus. „Du kannst mich haben, ich gehöre dir. Und du kannst Sex mit mir haben. Für immer. Aber nur mit mir...“, ruft er lächelnd als wäre das ein teuflisch-gruseliges Angebot.
„Och ja...“, denke ich noch, da kämpft er schon weiter mit der Monogamie und der Eifersucht: „Vielleicht lade ich die Eifersucht einfach mal ein“, sagt er und brüllt: “Komm doch rein du blöde Sau!“Das ist komisch und gleichzeitig tragisch verzweifelt.
Andreas Schröders, im figürlich unvorteilhaften lilafarbenen Rollkragenpulli und mit Nerdbrille, bildet den Kontrast. Etwas abseits fabuliert er brillant und in rasendem Tempo über die Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Begegnungen und das Stillen von sexuellen Gelüsten im Internet-Zeitalter. Über Dating-Apps, Bluetooth, WLAN verbinden und verschmelzen sich Schnittstellen an unseren Körpern mit denen der anderen... Endlich Sex wann und wie viel man will. Berührt sich ohne Berührung. Virtuell aber nicht wirklich...Liebe in Zeiten von Tinder. Meine Tochter hat sich inzwischen nach vorne geneigt und lauscht konzentriert den Anekdoten. Waschke hat sich derweil wieder angezogen. Ist immer noch sexy. Singt und tanzt dazu „I want your Sex“von George Michael. Das erotische Sexsymbol mit schwerer Tiefe füllt
"Wir suchen immer nach unconditional love, wollen aber eigentlich nur conditional love geben.“
er überraschend grandios aus.
Lise Risom Olsen flattert dagegen als Bühnenkönigin leichtfüßig zwischen ihren Partnern und den Möglichkeiten herum. Sie sinniert von der Liebe vorm Kamin und den vielen anderen Variationen und ekstatischen Liebesereignissen, die sie auch alle samt gerne hätte und nicht missen möchte. Singt dazu sehnsüchtig „Why can’t we live together“von Sade.
Zwei Männer und eine zart-starke Frau reden, monologisieren, philosophieren und nähern sich lustvoll an und stoßen sich ab. Geben offen Auskunft über ihre Sehnsüchte und berichten szenisch über intime Geschichten der Liebe. Sie spielen und spiegeln sich. Nebenbei fallen die Klamotten. Das erscheint nötig, um sich eben zu zeigen wie man wirklich ist. Sie bemalen ihre Körper und suhlen sich in einem türkisblauen Farbbecken. Dann drücken sie sich an Glasscheiben und ihre Partner. Hinterlassen Bilder von sich. Auch am anderen. Mal küssen die Männer ihre Bühnenkönigin dann küssen sie sich alle gegenseitig. Garniert mit einladenden Evergreens aus der Liebes-Herz-Schmerz-Kiste. Umrahmt werden sie von MusikMacher Matze Knoppe. Distanziert mit umgeschnalltem Keyboard und im Popstar-Look widmet er sich ganz dem Soundtrack. Während die Eifersucht kurz weg-gedimmt ist, sollen wir uns fragen: „Suchen wir nicht immer nach unconditional love, wollen aber eigentlich nur conditional love geben?“ Wir sind die erste Generation die die Möglichkeit hat frei zu wählen, wie und wen wir lieben. Und was machen wir? Genau so weiter, wie es unsere Muster und die Gesellschaft vorgeben. Sollen wir nun also den unselig-ausgemergelten Zweierbeziehungen endlich ein Ende setzten? Ist etwa Polyamorie das neue alte große Freie-Liebe-Ding oder macht uns gerade die totale Freiheit und das riesige Angebot nicht mehr zu schaffen als es uns nützt?
„Ich bin so frei wie ein Vogel nur kann ich nicht fliegen“sagt Andreas Schröders und hüpft über die Bühne, denn immerhin kann er hopsen und das ist ja auch schon was! Währenddessen holt sich Mark Waschke Pizza und befindet, dass Essen Ähnlichkeit mit Sex hat. Man nimmt ja etwas in sich auf. Waschke gerät immer wieder leidenschaftlich in Rage. Teilweise bricht es katharsisch aus ihm heraus. Besonders als er von den einstigen Liebeswirren und der Trennung seiner Eltern berichtet... Die alte Geschichte: Vater hatte Mutter wegen einer anderen
Everybody wants to live together / Why can‘t we be together?
(wohl auch jüngeren) verlassen. Inzwischen hat auch Mutter wieder einen neuen Mann. Vater sagt, dass er Waschkes Mutter noch immer liebt. Waschke rät dem Vater „Du musst ein Zeichen setzen, tu was.“Waschkes Rat wird befolgt, nützt aber nichts. Als seine Mutter ihn anruft und berichtet, dass sie ja nun den Hans hat. Und, ja sie liebt den Vater noch immer, kommt aber nicht wieder zurück. Waschke kehrt in sich und zieht sich auf ein Sofa zurück. Stille. Es hätte so gut laufen können mit uns – wir hätten zusammen leben und tanzen können – für immer... „Careless whisper“singt Waschke eindringlich und referiert analysierend über George Michael. Den großen Star der 80er und 90er Jahre, mit spätem Outing und tragisch frühem Tod. Homo-, Hetero-, Bi-, oder Metrosexuell. Spielwiese der Gelüste und Gefühle... Was hat das alles mit der Liebe zu tun?
Diese Frage darf jeder für sich beantworten. Liebe ist in jedem
Fall Respekt, wie Schröders meint: „Vielleicht müssen erst all die Menschen weg sein, die keinen Respekt haben. Damit sich dann die Menschen zeigen, die (uns) wirklich lieben...!? Und wir müssen uns verabschieden von der märchenhaften Vorstellung des gleichbleibend unendlichen Liebesglücks bis ans Ende unserer Tage.“
Versuchen wir doch achtsam und reflektierend bei uns zu sein und betrachten dann den anderen als geliebte und nicht als uns spiegelnde Person. Dann ist die Liebe gar nicht schmerzvoll. Keine Katastrophe, sondern ein Wunder. Das schönste was es gibt. Immer wieder. <
So I‘m never gonna dance again / The way I danced with you