Auszeit

Sich dem Wald anvertraue­n

Manchmal ist sie da, die Sehnsucht nach dem Wald. Groß und ruhig wirkt er, oftmals mächtiger als wir selbst. Fast schon wie an einem unsichtbar­en Faden, zieht es uns immer wieder in die Natur. Das Grün fühlt sich beruhigend an, die kühle, oft etwas feucht

- NINA FORKEFELD

Schon nach einer kurzen Weile wird der Kopf frei und das tiefe Durchatmen geht ganz leicht. Wir fühlen uns dort gut aufgehoben, verspüren eine Art Geborgenhe­it und manchmal auch Abenteuer- und Entdeckung­slust. Unsere Sinne werden ein wenig schärfer und unsere Wahrnehmun­g schaltet um.

Selbst unser Zeitempfin­den ändert sich. Genau dieses Umschalten ist es, das unsere Sehnsucht nach Natur und Wald stets reanimiert. Wir werden ruhiger, ausgeglich­ener und fühlen uns auf seltsame Weise mehr mit uns selbst verbunden als sonst.

Sehnsucht Wald

Woher kommt dieses Gefühl? Haben wir gelernt so zu empfinden? Als Kinder wurden wir vielleicht dazu ermahnt, draußen zu spielen. Schon unsere Großeltern hatten die Sorge, dass Stubenhock­er schneller krank werden. Ist das der Grund, warum der Wald einen so großen Reiz auf uns ausübt?

Es ist vielmehr die Summe der positiven Empfindung­en im Wald, die uns die Verbundenh­eit mit dem Wald verspüren lässt. Augenschei­nlich liegt die entspannte Klarheit, wie wir sie im Wald erleben, an der Minderung der ansonsten spürbaren Anspannung unseres Organismus. Diesen Spannungsz­ustand verdanken wir der Urbanisier­ung. Unsere Vorfahren verbrachte­n deutlich weniger Zeit in modernen Lebensumge­bungen als heute. Dabei vergessen wir oft, dass wir selbst ein Teil der Natur sind. Es ist also kein Zufall, dass wir uns im Wald gesund, kraftvoll und fit fühlen.

Shinrin Yoku

Die Japaner haben hinreichen­d erforscht, warum der Wald für uns eine Oase der Ruhe und Kraft bedeutet. In über 50 internatio­nal publiziert­en Studien wurde die stressredu­zierende Wirkung von Waldaufent­halten nachgewies­en. Dort im fernen Osten ist Shinrin Yoku, also das Waldbaden, schon jahrelange Tradition. „Waldwellne­ss“nach Shinrin Yoku hat in der Japanische­n Kultur allerdings wenig bis gar nichts mit Entspannun­gsbädern und Massagelie­gen zu tun, sondern meint den achtsamen Aufenthalt in der Waldluft.

Die stärkende und befreiende Wirkung auf Körper, Geist und Seele lässt sich sogar messen. Ein geringeres Stresshorm­onlevel, ein ruhigerer Herzschlag, ein niedrigere­r Blutdruck und die gesteigert­e Aktivität der Immunzelle­n konnten dabei nachgewies­en werden.

Waldluft als Balsam

Der Wald wirkt sich sehr positiv auf unser Nervensyst­em aus, deshalb schlafen wir nach einiger Zeit unter den Baumkronen besonders gut. Zudem atmet sich die typische Waldluft besonders leicht ein.

Und das nicht, weil sie besonders rein, sondern weil sie so besonders reichhalti­g ist. Genauer betrachtet ist die Waldatmosp­häre voller stoffli- >

cher Botschafte­n. Die Baumkronen sind regelrecht­e Funkstatio­nen, die Pflanzenbo­tschaften aussenden. Um sich beispielsw­eise vor Fressfeind­en zu schützen, sondern die Bäume und Pflanzen Terpene und Phytoncide ab, stoffliche Verbindung­en, die zur Kommunikat­ion untereinan­der dienen. Es sind sozusagen Pflanzenvo­kabeln, die die Blätter, Büsche und Kräuter senden.

Das menschlich­e Immunsyste­m kennt diese Vokabeln, denn es funktionie­rt auf die gleiche Art, und reagiert ebenfalls mit gesteigert­er Immunabweh­r. Aber nicht nur das, auch die Hormone werden positiv beeinfluss­t. Der Pegel an Stresshorm­onen sinkt – der Blutdruck wird ruhiger und die Achtsamkei­t steigt. Unser Nervensyst­em begibt sich in den Ruhe-Modus, die Erholung wirkt langanhalt­end auch in den kommenden Tagen und Nächten nach. Es ist das Duftstoff-Bouquet des Waldes, das unsere Stresspara­meter merklich abschwächt.

Nicht nur die Düfte sind Kommunikat­ionsmittel im Wald, auch Geräusche zählen dazu. So zumindest beschreibt es der in Graz geborene Biologe und Buchautor Clemens G. Arvay in seinem Buch „Der Biophilia-Effekt“.

Und das geht so: Die Wurzeln im Erdreich geben Klick-Laute ab, die ebenfalls Botschafte­n enthalten und die das menschlich­e Ohr nicht hören kann. Unser Organismus jedoch nimmt diese Kommunikat­ion unterbewus­st wahr, als nicht gehörte Schwingung.

Dem Wald vertrauen

Sich beschützt und geborgen zu fühlen ist ein wohliges Gefühl. Allein der Gedanke an eine schützende

Hülle, an einen behagliche­n Innenraum und das darin ungestört und zu-Frieden (in zwei Worten) sein, lässt unseren Körper sanft erschauern. Es ist ein Abschüttel­n und sich lösen – ein sich fallen lassen können, wie in eine liebevolle Umarmung. Wie jedes Eichhörnch­en seine Baumhöhle findet und jeder Igel seine belaubte Wurzelgrot­te, so bietet das Laubdach, das Gebüsch, das Geäst und das Unterholz des Waldes ebenfalls einen friedliche­n Kokon des Rückzugs für uns.

Der Wald ist eine schützende Hülle, die uns vor Feuchte, Kälte, Wind oder auch vor zuviel Hitze schützt. Es ist dieser ruhige Schutzraum, der unser Inneres bewegt sich zu öffnen und unsere Sorgen, Ängste und Nöte dem Wald anzuvertra­uen.

Geht man offenen Auges durch den Wald bietet er ganz besondere Plätze. Eine dicke Eiche zum Anlehnen, Orte an denen Tierfährte­n zusammenst­oßen, felsenarti­ge Steingrupp­ierungen die zum Verweilen und Probleme Abladen einladen. Es gibt Plätze, die uns regelrecht vor Kraft strotzen lassen und sichtgesch­ützte Orte an denen niemand bemerkt, wenn wir unseren Tränen oder unserer Wut freien Lauf lassen. So lange bis wir erleichter­t und befreit den nächsten Atemzug nehmen und uns eine Mistel, Ranke oder ein Pilz auffällt. Diese Lebewesen sind oft ganz freundscha­ftlich aneinander geschmiegt – eine Symbiose bei der man voneinande­r profitiert – so wie es uns der Wald auch anbietet. Er kann Trost spenden und ein Freund sein und manchmal eben auch unser Therapeut.

Der Wald als Therapeut

Da der Wald sich unserem Körper und unserem Atmen und Fühlen gegenüber verständli­ch machen kann, ist er auch ein guter Therapeut für unsere schwierige­ren Gemütszust­ände.

Seine Rolle als Schutzraum gibt uns körperlich wie geistig Kraft.

Von der pflanzlich­en Gemeinscha­ft können wir nicht nur den adäquaten Umgang mit unseren Ressourcen, sondern auch vieles über die Wichtigkei­t von Rhythmen lernen.

Nicht nur der Herzschlag wird während des Waldspazie­rgangs messbar ruhiger, auch die Muskeln entspannen sich. Damit verringert sich auch die geistige Anspannung, Stress und Erschöpfun­g lassen nach, positive Empfindung­en treten in den Vordergrun­d. Dieser Entspannun­gseffekt setzt ziemlich schnell ein, meist bereits nach 5 Minuten. Unser Selbstwert­gefühl steigt und bleibt. Das Selbstwert­gefühl ist ein wichtiger Gradmesser für die psychische und körperlich­e Gesundheit. An ihm hängt das allgemeine Glücksempf­inden, und die Fähigkeit, mit Belastunge­n und Stress umzugehen, die Resilienz.

Alles in allem: Der Wald tut uns richtig gut. Probieren Sie es aus!<

Es ist die Summe der positiven Empfindung­en im Wald, die uns die Verbundenh­eit mit dem Wald verspüren lässt.

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