Sich dem Wald anvertrauen
Manchmal ist sie da, die Sehnsucht nach dem Wald. Groß und ruhig wirkt er, oftmals mächtiger als wir selbst. Fast schon wie an einem unsichtbaren Faden, zieht es uns immer wieder in die Natur. Das Grün fühlt sich beruhigend an, die kühle, oft etwas feucht
Schon nach einer kurzen Weile wird der Kopf frei und das tiefe Durchatmen geht ganz leicht. Wir fühlen uns dort gut aufgehoben, verspüren eine Art Geborgenheit und manchmal auch Abenteuer- und Entdeckungslust. Unsere Sinne werden ein wenig schärfer und unsere Wahrnehmung schaltet um.
Selbst unser Zeitempfinden ändert sich. Genau dieses Umschalten ist es, das unsere Sehnsucht nach Natur und Wald stets reanimiert. Wir werden ruhiger, ausgeglichener und fühlen uns auf seltsame Weise mehr mit uns selbst verbunden als sonst.
Sehnsucht Wald
Woher kommt dieses Gefühl? Haben wir gelernt so zu empfinden? Als Kinder wurden wir vielleicht dazu ermahnt, draußen zu spielen. Schon unsere Großeltern hatten die Sorge, dass Stubenhocker schneller krank werden. Ist das der Grund, warum der Wald einen so großen Reiz auf uns ausübt?
Es ist vielmehr die Summe der positiven Empfindungen im Wald, die uns die Verbundenheit mit dem Wald verspüren lässt. Augenscheinlich liegt die entspannte Klarheit, wie wir sie im Wald erleben, an der Minderung der ansonsten spürbaren Anspannung unseres Organismus. Diesen Spannungszustand verdanken wir der Urbanisierung. Unsere Vorfahren verbrachten deutlich weniger Zeit in modernen Lebensumgebungen als heute. Dabei vergessen wir oft, dass wir selbst ein Teil der Natur sind. Es ist also kein Zufall, dass wir uns im Wald gesund, kraftvoll und fit fühlen.
Shinrin Yoku
Die Japaner haben hinreichend erforscht, warum der Wald für uns eine Oase der Ruhe und Kraft bedeutet. In über 50 international publizierten Studien wurde die stressreduzierende Wirkung von Waldaufenthalten nachgewiesen. Dort im fernen Osten ist Shinrin Yoku, also das Waldbaden, schon jahrelange Tradition. „Waldwellness“nach Shinrin Yoku hat in der Japanischen Kultur allerdings wenig bis gar nichts mit Entspannungsbädern und Massageliegen zu tun, sondern meint den achtsamen Aufenthalt in der Waldluft.
Die stärkende und befreiende Wirkung auf Körper, Geist und Seele lässt sich sogar messen. Ein geringeres Stresshormonlevel, ein ruhigerer Herzschlag, ein niedrigerer Blutdruck und die gesteigerte Aktivität der Immunzellen konnten dabei nachgewiesen werden.
Waldluft als Balsam
Der Wald wirkt sich sehr positiv auf unser Nervensystem aus, deshalb schlafen wir nach einiger Zeit unter den Baumkronen besonders gut. Zudem atmet sich die typische Waldluft besonders leicht ein.
Und das nicht, weil sie besonders rein, sondern weil sie so besonders reichhaltig ist. Genauer betrachtet ist die Waldatmosphäre voller stoffli- >
cher Botschaften. Die Baumkronen sind regelrechte Funkstationen, die Pflanzenbotschaften aussenden. Um sich beispielsweise vor Fressfeinden zu schützen, sondern die Bäume und Pflanzen Terpene und Phytoncide ab, stoffliche Verbindungen, die zur Kommunikation untereinander dienen. Es sind sozusagen Pflanzenvokabeln, die die Blätter, Büsche und Kräuter senden.
Das menschliche Immunsystem kennt diese Vokabeln, denn es funktioniert auf die gleiche Art, und reagiert ebenfalls mit gesteigerter Immunabwehr. Aber nicht nur das, auch die Hormone werden positiv beeinflusst. Der Pegel an Stresshormonen sinkt – der Blutdruck wird ruhiger und die Achtsamkeit steigt. Unser Nervensystem begibt sich in den Ruhe-Modus, die Erholung wirkt langanhaltend auch in den kommenden Tagen und Nächten nach. Es ist das Duftstoff-Bouquet des Waldes, das unsere Stressparameter merklich abschwächt.
Nicht nur die Düfte sind Kommunikationsmittel im Wald, auch Geräusche zählen dazu. So zumindest beschreibt es der in Graz geborene Biologe und Buchautor Clemens G. Arvay in seinem Buch „Der Biophilia-Effekt“.
Und das geht so: Die Wurzeln im Erdreich geben Klick-Laute ab, die ebenfalls Botschaften enthalten und die das menschliche Ohr nicht hören kann. Unser Organismus jedoch nimmt diese Kommunikation unterbewusst wahr, als nicht gehörte Schwingung.
Dem Wald vertrauen
Sich beschützt und geborgen zu fühlen ist ein wohliges Gefühl. Allein der Gedanke an eine schützende
Hülle, an einen behaglichen Innenraum und das darin ungestört und zu-Frieden (in zwei Worten) sein, lässt unseren Körper sanft erschauern. Es ist ein Abschütteln und sich lösen – ein sich fallen lassen können, wie in eine liebevolle Umarmung. Wie jedes Eichhörnchen seine Baumhöhle findet und jeder Igel seine belaubte Wurzelgrotte, so bietet das Laubdach, das Gebüsch, das Geäst und das Unterholz des Waldes ebenfalls einen friedlichen Kokon des Rückzugs für uns.
Der Wald ist eine schützende Hülle, die uns vor Feuchte, Kälte, Wind oder auch vor zuviel Hitze schützt. Es ist dieser ruhige Schutzraum, der unser Inneres bewegt sich zu öffnen und unsere Sorgen, Ängste und Nöte dem Wald anzuvertrauen.
Geht man offenen Auges durch den Wald bietet er ganz besondere Plätze. Eine dicke Eiche zum Anlehnen, Orte an denen Tierfährten zusammenstoßen, felsenartige Steingruppierungen die zum Verweilen und Probleme Abladen einladen. Es gibt Plätze, die uns regelrecht vor Kraft strotzen lassen und sichtgeschützte Orte an denen niemand bemerkt, wenn wir unseren Tränen oder unserer Wut freien Lauf lassen. So lange bis wir erleichtert und befreit den nächsten Atemzug nehmen und uns eine Mistel, Ranke oder ein Pilz auffällt. Diese Lebewesen sind oft ganz freundschaftlich aneinander geschmiegt – eine Symbiose bei der man voneinander profitiert – so wie es uns der Wald auch anbietet. Er kann Trost spenden und ein Freund sein und manchmal eben auch unser Therapeut.
Der Wald als Therapeut
Da der Wald sich unserem Körper und unserem Atmen und Fühlen gegenüber verständlich machen kann, ist er auch ein guter Therapeut für unsere schwierigeren Gemütszustände.
Seine Rolle als Schutzraum gibt uns körperlich wie geistig Kraft.
Von der pflanzlichen Gemeinschaft können wir nicht nur den adäquaten Umgang mit unseren Ressourcen, sondern auch vieles über die Wichtigkeit von Rhythmen lernen.
Nicht nur der Herzschlag wird während des Waldspaziergangs messbar ruhiger, auch die Muskeln entspannen sich. Damit verringert sich auch die geistige Anspannung, Stress und Erschöpfung lassen nach, positive Empfindungen treten in den Vordergrund. Dieser Entspannungseffekt setzt ziemlich schnell ein, meist bereits nach 5 Minuten. Unser Selbstwertgefühl steigt und bleibt. Das Selbstwertgefühl ist ein wichtiger Gradmesser für die psychische und körperliche Gesundheit. An ihm hängt das allgemeine Glücksempfinden, und die Fähigkeit, mit Belastungen und Stress umzugehen, die Resilienz.
Alles in allem: Der Wald tut uns richtig gut. Probieren Sie es aus!<
Es ist die Summe der positiven Empfindungen im Wald, die uns die Verbundenheit mit dem Wald verspüren lässt.