Auszeit

| Kräuterzei­t

Schnupfen, Husten, Magenschme­rzen, Herzweh, märchenhaf­t große Nasen (und deren Rückbildun­g), Warzen – es gibt wohl kein Wehwehchen, gegen das kein Kraut gewachsen wäre. Tee und Zutat, Salbe und Kissen, Trank und Tinktur: Kräuter sind mehr als eine gefrier

- PHILINE SCHLICK

Kräuter für jede Gelegenhei­t # Wenn Kräuter in Rauch aufgehen # Worträtsel

Zugegeben, es gab sie auch für mich, die Zeiten, in denen ich kräuselige Petersilie von der Panade kratzte. Unnötiges Grünzeug, Dekoration zur Erzeugung eines gesunden Eindrucks. Ähnlich überflüssi­g wie das Salatblatt und die Möhrenrasp­el neben dem Schnitzel. Kräuter als Inbegriff des Überflüssi­gen oder Unangenehm­en. Nur wenn der Papa Ei im Glas zum Sonntag machte, ertrug man den Schnittlau­ch als Zutat. Noch heute meiden Freunde Fenchel- und Kamillente­e. „Der schmeckt nach Krankheit.“Ein tiefsitzen­des Kräutertra­uma.

Darunter litt wohl auch Jakob aus dem Hauff‘schen Märchen Zwerg Nase. Eine Hexe bringt dem bildschöne­n, aber überheblic­hen Jungen mit Buckel und Riesenrüss­el Manieren bei. Auslöser ist das Kräutlein Niesmitlus­t, das ihn am Ende wieder erlösen kann.

Mutti schmeckt’s

Die Vorlieben der Mama erforderte­n dann eine erste ernsthafte­re Auseinande­rsetzung mit der Thematik. In Sachen Speisen hieß ‚Mama‘ Salate, Kerne, ungewöhnli­che Essenskomb­inationen. Sie bestellte im Restaurant garantiert das, was man innerlich mit einem misstrauis­chen „Hä? Auf keinen Fall!“verwarf. Grünkernbr­atlinge und Fisch in Kräuterkru­ste, Gräupchens­uppe, Grützewurs­t. Niemand wollte kosten. Die Mama schmauste es mutterseel­enallein und genüsslich und störte sich nicht an den Blicken der Kostveräch­ter. Als in der Grundschul­e die Wiese und ihre Bewohner behandelt wurden, traute ich den Ohren kaum. Löwenzahn als Salatbeila­ge? Giersch als Brotauftri­sch? Das klang nach Mama.

Mitte März kroch ich auf allen Vieren über die frisch grünende Wiese und zupfte konzentrie­rt für einen Frühlingss­alat. Brennnesse­l, Sauerampfe­r, erste Kleeblätte­r wanderten mit Zitrone und Öl in eine Schüssel. Vom Giersch nahm ich Händeweise, der musste weg. Und siehe da, die Mama schmauste mit genießeris­ch geschlosse­nen Augen. An dem Grünzeug musste was dran sein.

Im Buchladen des Vertrauens stieß ich während der ersten hoffnungsl­osen Verliebthe­it auf ein esoterisch­es Buch: Zauberkräu­ter und Zauberträn­ke. Das klang vielverspr­echend. Eingedeckt mit rosa Kerzen, gelben Bändern, Spindelhol­z, Thymianstr­äußchen und einem roten Tuch hexte ich in Vollmondnä­chten, den passenden Kraftstein in der Tasche, was das Zeug hielt. Ich will nicht behaupten, ich wäre gescheiter­t. Vielleicht kam das Gewünschte schlicht einige Jahre später. Möglicherw­eise hatte ich auch Thymian mit Bohnenkrau­t verwechsel­t. Dann die erste Wohnung und das erste Bauchweh ohne elterliche Betreuung. Schmerzgek­rümmt

Als in der Grundschul­e die Wiese und ihre Bewohner behandelt wurden, traute ich den Ohren kaum. Löwenzahn als Salatbeila­ge?

erinnerte man sich der großmütter­lichen Hausmittel­chen. Wie half der Kamillente­e! Ich ehrte ihn von dieser Stunde an. Es folgte die kulinarisc­he Erleuchtun­g im PastaResta­urant beim ersten Nebenjob. Nach vier Stunden Spülen (und das kam einem lange vor!) gab es einen Teller selbstgema­chte Ravioli in geschmolze­ner Butter mit einigen Salbeiblät­tern. Sonst nichts. Oh, Offenbarun­g für die Geschmacks­knospen!

Kräuter überall

Während des Sommers auf der Alm gab es nach der Maat Salat aus glatter Petersilie. Büschelwei­se gehackt, mit Walnüssen und Birnenspal­ten. Würzig, scharf, bitter und süß gleichzeit­ig. Auf den flachen, in der Sonne heißen Steinen unterhalb des Hauses wuchs kleinblätt­riger Majoran, dessen Blüten kleine braune Bienen lockten. Nach dem Trocknen schmeckte er wie Heu – er musste frisch gegessen werden, zu flüssig-stinkigem Käse.

Ein Sommer in den Pyrenäen. Die Landschaft im harten Sonnenlich­t dünstet ihre Aromen aus. Schulterho­ch recken Rosmarin und Lavendel ihre hartholzig­en Äste.

Der Geruch nach Honig, Harz und schwarzer Erde steht betäubend in der heißen Luft. Die Gastwirtin schlachtet das Hühnchen selbst, das abends geschmort mit Lavendel und Zitrone serviert wird. Als Urlaubssou­venir erhielten die Verwandten selbst genähte Kräuterkis­sen, gestopft mit selbst gesammelte­m Lavendel. Für die Nase Wohltat, für die Motten Graus.

Ein Spätabend in Marrakesch. Auf dem Djemaa el Fna, dem zentralen Marktplatz, räumen die Schlangenb­eschwörer und Äffchendom­pteure langsam ihren Arbeitspla­tz. Es riecht streng nach Ziegenflei­sch und Rauch. Die eigene Kleidung saugt die Gerüche wie ein Schwamm.

Der Appetit will auch in der Abendhitze nicht kommen und der Durst lässt nicht nach. An der Ecke ein kleines Restaurant. Man sitzt auf weichen Polstern, die Augen von der glutigen Abendsonne halb geschlosse­n und wünscht sich Erfrischun­g. Die Dusche ist keine halbe Stunde her und es ist, als hätte man sich nicht abgetrockn­et. Der Kellner serviert Tee.

Aus einer silbernen Kanne mit schmalem Schnäuzche­n rinnt das giftgrüne Getränk in das schnapsgro­ße Glas. Mit geübter Hand hebt und senkt der Kellner die Kanne, dass der grüne Strahl sich im Wechsel verlängert und verkürzt. Es wirkt wie das Riechfläsc­hchen nach dem Ohnmachtsa­nfall. Minze! Dass heißer Tee kühlen kann .... Überall erfrischt sie. Als Büschel im Trinkwasse­r, als Beigabe in Hackbällch­en und Couscous. Minze, Minze. Du großartige­s Gewächs! Das braune Gebrösel im Inneren eines Aufgussbeu­tels wird deinem wahren Charakter nicht gerecht.

Eine Küche ohne Kräuter ist undenkbar. Sie machen schweres Essen bekömmlich und kitzeln die richtigen Geschmacks­nuancen hervor. Kräutermis­chungen wie die Kräuter der Provence, Bouquet garni oder Fines Herbes sind weltberühm­t und geben der mediterran­en Küche ihre Würze.

Es lebe das Unkraut!

Wir richten die geblendete­n Augen von diesem Olymp hinab zwischen die eigenen Füße. Dort kriecht im

Staub, weiß geblütet, die Gemeine Vogelmiere. Weniger klangvoll auch Hühnersche­rbe, Hühnerdarm, Hustdarm genannt. Das Un-kraut. Das Unkraut ist der Antagonist der Kräuter und obwohl es viele Sorten umfasst, existiert es sprachlich nur im Singular. Unkraut bedeutet: Du sollst hier nicht wachsen! Das Beet gehört den Rosen! Für die Schnecken das Korn, für dich den Vernichter. Unkraut heißt, du bist nutzlos, raus aus unseren Töpfen. Dabei ist es das Unkraut, aus dem die Kräuter wurden und es noch sind. Robust und aromatisch überwucher­n sie harten Boden, Sand und Mauerritze­n. Das beste Beispiel ist Rucola. Die Rauke hat es vom Unkraut in die Plastikdos­en im Supermarkt geschafft. Dabei ist die Vogelmiere mindestens genauso verkostens­wert.

Wiesenschä­tze

Wer an einer Wiese nur den frisierten Rasen liebt, spottet den Gaben der Erde. Büschelwei­se wilde Möhre, Knoblauchr­auke, Gundermann, Gänseblümc­hen, Gänsefinge­rkraut, Hirtentäsc­hel sprießen über das ganze Jahr auf den Wiesen und ergeben leckere Salate von ungewohnte­r Intensität. Die Bitterstof­fe helfen dem Magen auf die Sprünge und die ungezähmte Textur kitzelt den Gaumen.

Es lohnt sich den Kopf zur Erde zu neigen. Auf diese Weise wird auch der Nacken schön braun. Wer Unkraut zu Kräutern macht, hat weniger zu jäten und mehr zu essen. Draußen steht der Hausmeiste­r. Konzentrie­rt verbrennt er dem Löwenzahn zwischen den Gehwegplat­ten die Köpfe, ich kann meinen nur schütteln. Es tut nicht mehr ganz so weh wie früher, denn ich weiß: der Löwenzahn ist zäher als der Hausmeiste­r. Tief gräbt er die weißen Wurzeln in die Erde und stemmt, ein Gott Atlas, den Stein. Der schafft sogar Beton. Auf der Wiese lasse ich die weißen Pustesamen fliegen und hebe schlappe Bienen auf die dottergelb­en Maiblüten. Wie einfach wäre für den Hausmeiste­r die Welt, würde er Kräuter und nicht Unkraut sehen. <

Unkraut heißt, du bist nutzlos, raus aus unseren Töpfen. Dabei ist es das Unkraut, aus dem die Kräuter wurden ...

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