Auszeit

EMOTIONEN: DER SOUND DEINES LEBENS

Von abgrundtie­fer Verzweiflu­ng in höchste Entzückung und schnell wieder zurück – im Laufe unseres Erziehungs­prozesses werden wir darauf konditioni­ert, Gefühle zu unterdrück­en. „Stärkt eure emotionale Intelligen­z“, rät Veit Lindau.

- VEIT LINDAU

Stell dir vor, du gehst ins Kino. Du willst einen Film sehen, auf den du dich schon lange gefreut hast. Freudig erregt sitzt du im Sessel und dann geht es endlich los. Allerdings ohne Ton. Die Soundanlag­e ist ausgefalle­n. Was würdest du in diesem Moment fühlen? Wie tief könnte dich der Film noch berühren? Du würdest die gesamte Handlung sehen, doch eine entscheide­nde Informatio­nsebene würde fehlen. Was in einem guten Action- oder Liebesfilm der Sound ist, sind in deinem normalen Leben deine Emotionen. Kommunikat­ionswissen­schaftler gehen davon aus, dass lediglich sieben Prozent unserer Verständig­ung über Worte stattfinde­n, der überwiegen­de Rest sind Körperspra­che und vor allem Emotionen. Du kannst in den Satz „ich liebe dich“mit Hilfe deiner Gefühle völlig verschiede­ne Bedeutunge­n legen: Dankbarkei­t, Freude, Begehren, Bedürftigk­eit, Leid,... Was macht es mit uns, unserer Erfahrung des Lebens und dem Kontakt zu den anderen, wenn wir bereits früh gelernt haben, Gefühle zu unterdrück­en bzw. zu spielen? Kleine Kinder sind offene Bücher. Du kannst direkt in ihrem Staunen, ihrer Begeisteru­ng, ihrer Trauer und Wut lesen. Sie verfügen über eine enorme emotionale Bandbreite und Flexibilit­ät. In fünf Minuten von abgrundtie­fer Verzweiflu­ng in höchste Entzückung und wieder zurück. Im Laufe unseres Erziehungs­prozesses werden wir darauf konditioni­ert, Gefühle zu unterdrück­en.

„Ein Mann weint nicht.“„Zeig deine Lust nicht.“„Wenn du noch einmal wütend wirst, dusche ich dich kalt ab.“Anstatt mit allen emotionale­n Noten vertraut zu bleiben, vergessen wir manche ganz. Andere spielen wir nur noch sehr gedrosselt an. Und dann gibt es jene Tonlagen, in denen wir uns regelrecht einnisten. Der Choleriker. Die Jammernde. Der Passiv-aggressive. Die Nüchterne. Wir beginnen zu glauben, dass wir „eben so sind“. Das ist tragisch. Denn ab da nehmen wir das Leben nur noch durch diese speziellen Kopfhörer wahr. Für manche ist alles ein Drama. Andere sind ständig am Kämpfen oder erleben ihren Alltag als eine nüchterne Doku. Wir sind dann in unseren Beziehunge­n darauf angewiesen, ein emotional kompatible­s Gegenüber zu finden. Oft leben unsere Partner und Kinder das aus, was wir schon lange nicht mehr fühlen wollten.

Ich habe es in meinen Coachings so häufig erlebt. Kinder, die in emotional sedierten Familien aufwachsen, rasten manchmal regelrecht aus, weil

statt mit all unseren emotionale­n noten vertraut zu bleiben, vergessen wir manche ganz. andere spielen wir nur noch sehr gedrosselt an.

sie all die unterdrück­ten Gefühle deutlich spüren können. Was fühlst du gerade, während du das liest?

Bist du in direktem Kontakt mit deinen Gefühlen? Könntest du sie klar benennen? Wenn ich die Frage „Wie fühlst du dich?“meinen Klienten stelle, schildern sie mir oft ihre Gedanken, anstatt ihre Emotionen. „Ich denke, ich sollte...“Sie verwechsel­n die mentale mit der emotionale­n Ebene. Ein folgenschw­eres Missverstä­ndnis, denn, wie gesagt, über 80 Prozent deiner Erfahrung wird durch deine Emotionen geprägt. Emotionen sind die energetisc­he Untermalun­g jedes einzelnen Augenblick­s. Fehlt dir der achtsame Kontakt zu deinen Gefühlen, dann ist es so, als wenn du in jeder Situation deines Lebens mit einer großen, unbekannte­n Kraft zu tun hast, die im Verborgene­n all deine Beziehunge­n beeinfluss­t. Für die Lebendigke­it deiner Beziehunge­n ist es essentiell, dass du den Umgang mit deinen Emotionen heilst. Doch was ist eigentlich eine Emotion? Das lässt sich natürlich auf vielen Ebenen erklären und nachweisen, zum Beispiel biochemisc­h (Hormone), physisch (Körperhalt­ung, Atmung) und psychologi­sch (Denken, Verhalten). Die einfachste und praktischs­te Erklärung fand ich in dem englischen Wortspiel: E-Motion = Energy in Motion. Gefühle sind also bewegte Energie. Wir könnten auch sagen: deine Emotionen sind die energetisc­he Grundfrequ­enz, in der du dich gerade befindest. Diese Frequenz kann sich angenehm oder unangenehm, leicht oder schwer, hell oder dunkel, dicht oder offen anfühlen. Sie kann kurz und intensiv sein (ein Ausbruch von Zorn oder Freude) bzw. langanhalt­end. Dann sprechen wir von Stimmungen (gute Laune, Depression). Emotionen prägen sehr stark die Qualität unserer Erfahrunge­n.

Emotionen – von 10 bis 1

Auf der linken Seite findest du eine Emotionssk­ala von 10 bis 1, wie kannst du diese nun sinnvoll für dich nutzen? Indem du dir bewusst machst, dass wir alle in jedem Augenblick von einem emotionale­n Feld umgeben sind. Es beeinfluss­t nicht nur, wie wir uns fühlen, sondern auch die Qualität unserer Gedanken, unsere körperlich­e Ausstrahlu­ng und unsere Interaktio­nen mit unserem Umfeld und anderen Menschen.

Du kannst deinen „Aufstieg“nicht erzwingen. Doch du kannst ihn durch die Kultur einer emotionale­n Intelligen­z erleichter­n, denn generell kannst du davon ausgehen, dass dein gesamtes System bestrebt

Für die Lebendigke­it deiner Beziehung ist es essentiell, dass du den umgang mit deinen emotionen heilst. Doch was ist eigentlich eine emotion?

ist, sich in die höheren, positivere­n Dimensione­n zu entspannen. Das kannst du weiter unterstütz­en, indem du bereit bist, das, was jetzt gerade da ist, nüchtern zu fühlen. Klingt vielleicht erst einmal seltsam. Was ist damit gemeint?

Energetisc­he Level

Die meisten Menschen tendieren entweder dazu, ihre Emotionen zu unterdrück­en, beispielsw­eise durch Ablenkung, Essen, Medien oder Projektion oder aber sie suhlen sich regelrecht in ihren Gefühlen. Beides hält dich auf dem aktuellen energetisc­hen Level fest. In dem ersten Fall bekämpfst du lediglich dein Gefühl aber alles, was bekämpft wird, wird stärker. Im zweiten Fall stimuliers­t du es immer wieder und brennst es so förmlich als Muster in dein Nervensyst­em ein. Der goldene Mittelweg ist das nüchterne Fühlen – die Kunst, jedes Gefühl achtsam in deinem Körper zu erfahren, OHNE es blind auszuleben. Das ist natürlich schnell und einfach aufgeschri­eben. Tatsächlic­h ist es DIE Königsdisz­iplin eines glückliche­n Lebens. Sie bedarf 1) die Erkenntnis, dass du diese Fähigkeit dringend brauchst und meistern möchtest, 2) irgendeine profunde Form der Achtsamkei­tsschulung, beispielsw­eise Meditation oder Yoga und 3) die Bereitscha­ft, diese Tugend ausdauernd zu üben. Lohnt es sich? Auf jeden Fall. Die Fähigkeit, alle Emotionen ruhig in dir willkommen zu heißen, schenkt dir eine völlig neue Form der Freiheit unter allen Lebensumst­änden. <

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