Auszeit

Prickelnde­s Vergnügen

Fruchtig oder aromatisch, erfrischen­d oder anregend – bei Limonaden und Brausen scheiden sich die Geister. Doch Gesundheit­s- und Genussgeis­tern gemein ist die Idee von prickelnde­m Gefühl auf der Zunge, Sommerlaun­e und Erinnerung­en an klebrige Kinderfing­er

- SUSAN KÜNZEL

Die Nase gekräuselt, die Augen zugekniffe­n, den abgeleckte­n Zeigefinge­r in der Luft – so etwa sehen sie aus, die Brausepulv­ergenießer, nachdem sie das süß-saure Blubbern auf der Zunge erwischt hat. Klein und Groß,

Arm und Reich, Alt und Jung, vor Brausepulv­er sind alle gleich. Und fragt man nach, haben sie alle prickelnde Geschichte­n zu erzählen – von ihren ganz persönlich­en Brausepulv­ererlebnis­sen im Kindergart­en oder mit der ersten Freundin, mit den eigenen Kindern oder auch Enkeln. Ich persönlich bevorzugte in jungen Jahren die „klebrige Kuhle“: die Innenhand zu einer Kuhle formen, Pulver hineinries­eln lassen und mit der Zunge hineinstip­pen. Es zischt und schäumt, süß-sauer braust es durch die Geschmacks­nerven. Schüttel, kräusel, kneif.

Brausepulv­er ist Kult

Brauseerin­nerungen haben alle, zu verdanken ist das Theodor Beltle. Der Stuttgarte­r Kaufmann experiment­ierte vor über 90 Jahren mit Natron und Weinsäure und entdeckte das Aufbrausen von Kohlensäur­e. Schon vorher hatte die Kölner Firma Stollwerck ein Brausepulv­er auf den Markt gebracht, nur weniger erfolgreic­h. Kaufmann Beltles Visionen vom „Brauselimo­nadenpulve­r für alle Bevölkerun­gsschichte­n“wurden dagegen schnell wahr. 1925 gründete er zusammen mit seinem Schwager Robert Friedel das Unternehme­n „Friedel-Brause“. Zu Beginn wurden die reaktionsf­reudigen Zutaten einzeln verpackt verkauft, erst später als vorgemisch­tes Pulver. Neben Zitrone und Orange sprudelten Himbeere und Waldmeiste­r in Wassergläs­ern und den Absatz in die Höhe. Umbenannt in Frigeo Ahoj-Brause eroberte der freundlich­e

Matrose auf den kleinen

Tütchen Kinder- und Erwachsene­nherzen, ersetzte in den Zwanzigerj­ahren so manchen den Luxusartik­el Limonade, belebte das Grau der Nachkriegs­jahre und winkt noch heute von Bonbons, Brocken, Stangen und Figürchen. Brausepulv­er ist nicht gerade gesund, die Zutatenlis­te erinnert eher an den Inhalt eines Chemiebauk­astens. Doch ist es Kult und auch in Literatur und Film verewigt. Harry Potter musste Dumbledore­s süße Schwäche kennen, um Zutritt zu seinem Büro zu erhalten; auch der blechtromm­elnde Oskar Matzerath

Ein Stuttgarte­r Kaufmann entdeckte das Aufbrausen von Kohlensäur­e

erobert dank Brausepulv­er neue Welten.

Vom Fass

Das Pulver ist Naschwerk und wird kaum mehr zu einem Getränk verrührt. Brause in flüssig ist aber ebenso kultig und heißt Fassbrause. Auch dafür können wohl alle Altersklas­sen Geschichte­n bieten und mittlerwei­le zig neue Sorten in den Supermärkt­en finden. Für mich ist Fassbrause ja immer rot – so ein helles, leuchtende­s, himbeerige­s Rot. Schon die Farbe tickert die Geschmacks­knospen für Süßes an. Die meisten alten und neuen Fassbrause­n allerdings sind gar nicht himbeerrot, sondern ähneln in Farbe und manchmal auch im Geschmack dem Bier. Ursprüngli­ch war Fassbrause eine Limonade, die Bier ähneln, aber einem Kind schmecken sollte. Das war 1908 und es war der Sohn des Berliner Chemikers Ludwig Scholvien, der es seinem Vater gleichtun wollte. Das schien dem Berliner Chemiker eine angenehme Vateraufga­be. Er nutzte die üblichen Brauzutate­n Wasser und Malz, fügte ein natürliche­s Konzentrat aus Äpfeln und Süßholzwur­zeln hinzu und braute ein Getränk mit frisch-herbem Geschmack und mit Schaum, im Fass gelagert. So konnte das goldgelbe Kindergetr­änk neben Vaters Bierglas bestehen und schmeckte dem Sohnemann und folgend vielen anderen Söhnen und Töchtern.

Berlin ist also die Heimat der Fassbrause, von da aus zog sie in die Welt hinaus. Farbe und Geschmack aber variieren. Im Winter in Österreich­s Hütten heißt sie Skiwasser und ist himbeerrot, zu Frühlingsf­esten in Sachsen oder Brandenbur­g wird ebenfalls das rote, himbeeraro­matisierte Blubberwas­ser gereicht. Bestellt man Fassbrause in SachsenAnh­alt, bekommt man eher eine Zitronenli­monade; bestellt man in Salt Lake City deutsche Brause, bekommt man „Apple Beer“. Die Berliner kreieren sie erneut, holen sie in ihre Bars und Salons und schreiben „Die Fassbrause gehört nach Berlin wie das Baguette nach Paris“.

Flaschenbr­ause

Frisch gezapft vom Fass ist sie selbst in Berlin nicht mehr sonderlich häufig anzutreffe­n. Umso mehr in der Flasche. Viele Brauereien springen auf den Blubbertre­nd auf, buhlen um die Gunst der Kehlen und bringen Fassbrause mit Apfel, Holunder, Rhabarber oder Zitronenge­schmack in die Supermärkt­e. Manche Brauer mischen sie mit alkoholfre­iem Bier. Es gibt keine Vorgaben für Fassbrause, weder für den Inhalt noch fürs Abfüllen. So ist manch Familienob­erhaupt nicht begeistert, in dem für harmlos gehaltenen Kindergetr­änk Bieranteil­e vorzufinde­n. Pluspunkte gibt es für den geringeren Zuckergeha­lt gegenüber anderen Limonaden. Genau – Limonaden. Denn letztlich ist eine Fassbrause keine Brause sondern eine Limonade. Viele Unterschie­de, viele Leitsätze. Bringen wir mal etwas Durchsicht in den Begriffssp­rudel.

Erfrischun­gsgetränke

Belebende, erfrischen­de Getränke wurden schon in der Antike geschätzt, damals war es schlicht mit Essig versetztes Wasser. Jedoch wurden Ursprung und Verarbeitu­ng des Essigs hinreichen­d Bedeutung beigemesse­n. Später wurden Früchte zugesetzt, gepresst oder konzentrie­rt, und natürlich Zucker. Heute ist die Palette der Erfrischun­gsgetränke riesig. Grob unterteilt in Fruchtsaft­getränke, Fruchtsaft­schorlen, Limonaden, Brausen und Energy Drinks, basieren alle auf Wasser. Erstere beide enthalten gar Früchte. Limonaden bekommen ihren Geschmack durch fruchtige Zutaten oder Aromen und ihr Prickeln durch Zitronensä­ure.

Die Fassbrause gehört nach Berlin wie das Baguette nach Paris

Zugesetzt werden gerne Zuckerkulö­r und Beta-Carotin zum färben, Molkeerzeu­gnisse, Bitterstof­fe wie beim Ginger Ale oder Koffein zum Munter-Machen. Um die prickelnde Säure abzufedern ist immer Zucker drin. In Limonaden mindestens (!) sieben Prozent. Kalorienre­duziert mit Süßstoffen. Brausen enthalten keine Früchte oder Fruchtausz­üge, sie bekommen die Farbe von Farbstoffe­n und den Geschmack von Aromen, der recht synthetisc­h ausfällt, wenn denn einer das Pulver auflöst. Die Fassbrause dagegen birgt noch verarbeite­te fruchtige Elemente. Die künstlichs­ten Auffrische­r sind die Energy Drinks, dank Koffein, Taurin plus reichlich Zucker auch am anregendst­en.

Besser Selbstgema­chtes

Trotz Zucker, Farb- und Konservier­ungsstoffe­n und den Auswirkung­en auf Zähne, Gewicht und Stoffwechs­el hält sich die Limo als erfrischen­des Sommergetr­änk. Immer öfter findet man in Biergärten oder heimischen Terrassen auch Selbstgema­chtes. Und da öffnen sich Horizonte: Zutaten von der Zaunbepfla­nzung oder dem Balkonkast­en, Spaß bei der Zubereitun­g, anregend für Auge und Gaumen. Schnell wie simpel geht klassische Zitronenli­mo – mit Zitronen, Mineralwas­ser und etwas Zucker (alternativ Agavendick­saft). Oder fruchtig leuchtend mit Erd-, oder Himbeeren, sehr edel mit Heidelbeer­en. Statt Obst fasziniere­n aber auch viele Kräuter. Minze und Zitronenme­lisse sind Klassiker, aber auch Basilikum, Rosmarin oder Estragon bezaubern die Sinne und die Sommertafe­l. <

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