Prickelndes Vergnügen
Fruchtig oder aromatisch, erfrischend oder anregend – bei Limonaden und Brausen scheiden sich die Geister. Doch Gesundheits- und Genussgeistern gemein ist die Idee von prickelndem Gefühl auf der Zunge, Sommerlaune und Erinnerungen an klebrige Kinderfinger
Die Nase gekräuselt, die Augen zugekniffen, den abgeleckten Zeigefinger in der Luft – so etwa sehen sie aus, die Brausepulvergenießer, nachdem sie das süß-saure Blubbern auf der Zunge erwischt hat. Klein und Groß,
Arm und Reich, Alt und Jung, vor Brausepulver sind alle gleich. Und fragt man nach, haben sie alle prickelnde Geschichten zu erzählen – von ihren ganz persönlichen Brausepulvererlebnissen im Kindergarten oder mit der ersten Freundin, mit den eigenen Kindern oder auch Enkeln. Ich persönlich bevorzugte in jungen Jahren die „klebrige Kuhle“: die Innenhand zu einer Kuhle formen, Pulver hineinrieseln lassen und mit der Zunge hineinstippen. Es zischt und schäumt, süß-sauer braust es durch die Geschmacksnerven. Schüttel, kräusel, kneif.
Brausepulver ist Kult
Brauseerinnerungen haben alle, zu verdanken ist das Theodor Beltle. Der Stuttgarter Kaufmann experimentierte vor über 90 Jahren mit Natron und Weinsäure und entdeckte das Aufbrausen von Kohlensäure. Schon vorher hatte die Kölner Firma Stollwerck ein Brausepulver auf den Markt gebracht, nur weniger erfolgreich. Kaufmann Beltles Visionen vom „Brauselimonadenpulver für alle Bevölkerungsschichten“wurden dagegen schnell wahr. 1925 gründete er zusammen mit seinem Schwager Robert Friedel das Unternehmen „Friedel-Brause“. Zu Beginn wurden die reaktionsfreudigen Zutaten einzeln verpackt verkauft, erst später als vorgemischtes Pulver. Neben Zitrone und Orange sprudelten Himbeere und Waldmeister in Wassergläsern und den Absatz in die Höhe. Umbenannt in Frigeo Ahoj-Brause eroberte der freundliche
Matrose auf den kleinen
Tütchen Kinder- und Erwachsenenherzen, ersetzte in den Zwanzigerjahren so manchen den Luxusartikel Limonade, belebte das Grau der Nachkriegsjahre und winkt noch heute von Bonbons, Brocken, Stangen und Figürchen. Brausepulver ist nicht gerade gesund, die Zutatenliste erinnert eher an den Inhalt eines Chemiebaukastens. Doch ist es Kult und auch in Literatur und Film verewigt. Harry Potter musste Dumbledores süße Schwäche kennen, um Zutritt zu seinem Büro zu erhalten; auch der blechtrommelnde Oskar Matzerath
Ein Stuttgarter Kaufmann entdeckte das Aufbrausen von Kohlensäure
erobert dank Brausepulver neue Welten.
Vom Fass
Das Pulver ist Naschwerk und wird kaum mehr zu einem Getränk verrührt. Brause in flüssig ist aber ebenso kultig und heißt Fassbrause. Auch dafür können wohl alle Altersklassen Geschichten bieten und mittlerweile zig neue Sorten in den Supermärkten finden. Für mich ist Fassbrause ja immer rot – so ein helles, leuchtendes, himbeeriges Rot. Schon die Farbe tickert die Geschmacksknospen für Süßes an. Die meisten alten und neuen Fassbrausen allerdings sind gar nicht himbeerrot, sondern ähneln in Farbe und manchmal auch im Geschmack dem Bier. Ursprünglich war Fassbrause eine Limonade, die Bier ähneln, aber einem Kind schmecken sollte. Das war 1908 und es war der Sohn des Berliner Chemikers Ludwig Scholvien, der es seinem Vater gleichtun wollte. Das schien dem Berliner Chemiker eine angenehme Vateraufgabe. Er nutzte die üblichen Brauzutaten Wasser und Malz, fügte ein natürliches Konzentrat aus Äpfeln und Süßholzwurzeln hinzu und braute ein Getränk mit frisch-herbem Geschmack und mit Schaum, im Fass gelagert. So konnte das goldgelbe Kindergetränk neben Vaters Bierglas bestehen und schmeckte dem Sohnemann und folgend vielen anderen Söhnen und Töchtern.
Berlin ist also die Heimat der Fassbrause, von da aus zog sie in die Welt hinaus. Farbe und Geschmack aber variieren. Im Winter in Österreichs Hütten heißt sie Skiwasser und ist himbeerrot, zu Frühlingsfesten in Sachsen oder Brandenburg wird ebenfalls das rote, himbeeraromatisierte Blubberwasser gereicht. Bestellt man Fassbrause in SachsenAnhalt, bekommt man eher eine Zitronenlimonade; bestellt man in Salt Lake City deutsche Brause, bekommt man „Apple Beer“. Die Berliner kreieren sie erneut, holen sie in ihre Bars und Salons und schreiben „Die Fassbrause gehört nach Berlin wie das Baguette nach Paris“.
Flaschenbrause
Frisch gezapft vom Fass ist sie selbst in Berlin nicht mehr sonderlich häufig anzutreffen. Umso mehr in der Flasche. Viele Brauereien springen auf den Blubbertrend auf, buhlen um die Gunst der Kehlen und bringen Fassbrause mit Apfel, Holunder, Rhabarber oder Zitronengeschmack in die Supermärkte. Manche Brauer mischen sie mit alkoholfreiem Bier. Es gibt keine Vorgaben für Fassbrause, weder für den Inhalt noch fürs Abfüllen. So ist manch Familienoberhaupt nicht begeistert, in dem für harmlos gehaltenen Kindergetränk Bieranteile vorzufinden. Pluspunkte gibt es für den geringeren Zuckergehalt gegenüber anderen Limonaden. Genau – Limonaden. Denn letztlich ist eine Fassbrause keine Brause sondern eine Limonade. Viele Unterschiede, viele Leitsätze. Bringen wir mal etwas Durchsicht in den Begriffssprudel.
Erfrischungsgetränke
Belebende, erfrischende Getränke wurden schon in der Antike geschätzt, damals war es schlicht mit Essig versetztes Wasser. Jedoch wurden Ursprung und Verarbeitung des Essigs hinreichend Bedeutung beigemessen. Später wurden Früchte zugesetzt, gepresst oder konzentriert, und natürlich Zucker. Heute ist die Palette der Erfrischungsgetränke riesig. Grob unterteilt in Fruchtsaftgetränke, Fruchtsaftschorlen, Limonaden, Brausen und Energy Drinks, basieren alle auf Wasser. Erstere beide enthalten gar Früchte. Limonaden bekommen ihren Geschmack durch fruchtige Zutaten oder Aromen und ihr Prickeln durch Zitronensäure.
Die Fassbrause gehört nach Berlin wie das Baguette nach Paris
Zugesetzt werden gerne Zuckerkulör und Beta-Carotin zum färben, Molkeerzeugnisse, Bitterstoffe wie beim Ginger Ale oder Koffein zum Munter-Machen. Um die prickelnde Säure abzufedern ist immer Zucker drin. In Limonaden mindestens (!) sieben Prozent. Kalorienreduziert mit Süßstoffen. Brausen enthalten keine Früchte oder Fruchtauszüge, sie bekommen die Farbe von Farbstoffen und den Geschmack von Aromen, der recht synthetisch ausfällt, wenn denn einer das Pulver auflöst. Die Fassbrause dagegen birgt noch verarbeitete fruchtige Elemente. Die künstlichsten Auffrischer sind die Energy Drinks, dank Koffein, Taurin plus reichlich Zucker auch am anregendsten.
Besser Selbstgemachtes
Trotz Zucker, Farb- und Konservierungsstoffen und den Auswirkungen auf Zähne, Gewicht und Stoffwechsel hält sich die Limo als erfrischendes Sommergetränk. Immer öfter findet man in Biergärten oder heimischen Terrassen auch Selbstgemachtes. Und da öffnen sich Horizonte: Zutaten von der Zaunbepflanzung oder dem Balkonkasten, Spaß bei der Zubereitung, anregend für Auge und Gaumen. Schnell wie simpel geht klassische Zitronenlimo – mit Zitronen, Mineralwasser und etwas Zucker (alternativ Agavendicksaft). Oder fruchtig leuchtend mit Erd-, oder Himbeeren, sehr edel mit Heidelbeeren. Statt Obst faszinieren aber auch viele Kräuter. Minze und Zitronenmelisse sind Klassiker, aber auch Basilikum, Rosmarin oder Estragon bezaubern die Sinne und die Sommertafel. <