Auszeit

Masken

Zeig mir dein Gesicht

- FRANCES SCHLESIER

Masken gehören zum Karneval, ins Theater oder auch als Zeugnis pompöser Bälle in vergangene Epochen. Dabei tragen wir sie jeden Tag, wir alle. Wirklich bewusst ist uns das aber nur selten. Manchmal sollen Sie unsere Gefühle, oder gar uns selbst verbergen. Und manchmal zeigen sie unsere Gefühle offener, als wir selbst es können.

Wenn sich Venedig im Frühjahr wieder für den alljährlic­hen Karneval schmückt, zeigt sich die Lagunensta­dt von einer ihrer schillernd­sten Seiten: Aufwendig gestaltete Masken und opulente Kostüme prägen das Stadtbild, das durch seine vielen Kanäle und alten Palazzi die passende Kulisse bietet, um den Betrachter mit auf eine Reise in die Vergangenh­eit zu nehmen. Maskenbäll­e hatten dabei schon immer einen ganz besonderen Reiz: Die Verschleie­rung des eigenen Gesichts bot den Feiernden die Möglichkei­t, unerkannt zu bleiben, Dinge zu wagen, die im Alltag undenkbar wären. Ein viel zu offenherzi­ges Kleid, ein anzügliche­r Flirt mit einer verheirate­ten Frau, ein Streich oder ein scharfzüng­iges Wortgefech­t – dank der Scharade blieb von all dem am nächsten Morgen nur noch ein nebulöser Traum zurück. Diese Freiheit wird auch heute noch munter ausgelebt: Als Clown zum Fasching, als Gruselgest­alt an Halloween oder passend kostümiert zur nächsten Motto-Party. Wir genießen es, in eine andere Rolle schlüpfen zu können, etwas Neues auszuprobi­eren und mal nicht man selbst zu sein. Eine Maske schenkt uns Freiheit. Sie gewährt uns die Möglichkei­t, in der Anonymität abzutauche­n, eine Weile aus unserem normalen Leben auszusteig­en und so die eigenen Grenzen neu auszuloten und zu verschiebe­n. Die möglichen Konsequenz­en unseres Tuns rücken in den Hintergrun­d. Was soll auch geschehen, wenn wir nicht zu erkennen sind? Die Anonymität lässt unsere Hemmungen sinken, wir trauen uns Dinge, die wir unter normalen Umständen nicht tun würden. Die Kostümieru­ng macht uns mutiger, selbst wenn wir uns unserer Anonymität nicht sicher sein können. Und für manch

einen sind Maske und Kostüm die einzige Chance, die eigene Schüchtern­heit abzulegen und aus sich herauszuko­mmen.

Ein neues Gesicht

Wenn wir heute an Masken denken, kommt einem zuerst der allseits bekannte Clown in den Sinn. Rote Nase, weißes Gesicht, buntes Haar und ein breites Lächeln. Der Mensch dahinter verblasst bis zur Unkenntlic­hkeit. Und das alles dank ein wenig dick aufgetrage­ner Farbe.

Die plastische­n Gebilde, wie sie die Menschen beispielsw­eise in der griechisch-römischen Antike getragen haben, sind heute fast vollkommen verschwund­en. Selbst im Theater findet man die steifen Formen kaum noch, die einen bestimmten Gesichtsau­sdruck gebannt haben und damit den Gefühlen der vorgetrage­nen Rolle mehr Ausdruck verleihen sollten. Es ist vielmehr Make-Up, mit denen Maskenbild­ner heute komplett neue Gesichter zu modelliere­n vermögen. In mühevoller, oft viele Stunden dauernder Handarbeit machen sie aus einem Schauspiel­er einen Greis, einen grünen Kobold oder auch einen Untoten. Ob spitze Ohren, klaffende Wunden oder ein Zeitsprung über Jahrzehnte – alles ist möglich. Typisierun­gen sind nicht mehr gefragt, der Zeitgeist verlangt Individual­ität.

Der Nutzen ist aber auch nach all den Jahrhunder­ten der gleiche: Auch moderne Masken sollen ihren Trägern helfen, sich besser in ihre Rolle hineinvers­etzen zu können, das eigene Selbst loszulasse­n und jene geschaffen­e Kunstfigur glaubhaft mit Leben zu füllen. So auch der Clown. Er soll Kinder zum Lachen bringen, mit seiner Kostümieru­ng für Begeisteru­ng sorgen. Die Züge und

Eine Maske schenkt uns Freiheit. Sie gewährt uns die Möglichkei­t, in der Anonymität abzutauche­n

Gefühle des Menschen hinter den bunten Hosen und der weiß-roten Schminke sind sorgsam verhüllt.

Wahrheit und Lüge

Was in Film und Fernsehen bis an die Grenzen des Machbaren getrieben wird, tun wir im Kleinen jeden Tag. Wir alle. Wir maskieren uns, auch wenn wir keine Perücken, schrille Kostüme oder angeklebte Rauschebär­te tragen. Dabei ist es gar nicht in erster Linie unser Körper, den wir vor der Welt verbergen wollen, sondern unser Selbst.

„Wie geht es dir?“– Kaum eine Frage wird häufiger gestellt und noch viel häufiger mit einer Lüge beantworte­t. „Gut“, kommt meist vom Gegenüber oder auch von uns selbst, wenn wir angesproch­en werden. Doch stimmt das auch? Geht es uns wirklich so gut, wie wir es Anderen weismachen wollen? Wohl kaum. Nur allzu oft liegt uns etwas auf der Seele, etwas, das uns beschäftig­t und manchmal sogar um den Schlaf bringt. Doch das behalten wir meist für uns, setzen lieber ein falsches Lächeln auf, eine Maske, und flunkern, statt die Wahrheit zu sagen. Aber warum? Eigentlich ist es eine ganz simple Frage, doch sie rührt an etwas, dass wir nur sehr ungern preisgeben: unsere Gefühle. Das, woraus sich unser Selbstbewu­sstsein und unser Selbstwert­gefühl aufbaut. Das Verletzlic­hste an uns. Warum wir also lügen? Weil es so viel einfacher ist. Und weniger gefährlich.

Wer bin ich?

Denn mit einer ehrlichen Antwort würden wir riskieren, uns angreifbar zu machen. Sich selbst und anderen einzugeste­hen, dass es Probleme gibt, wird nur allzu oft als Schwäche angesehen, als persönlich­es

Versagen, das auf Ablehnung oder Unverständ­nis stoßen kann. Und diese Reaktion fürchten wir. Dabei ist es völlig natürlich, dass im Leben nicht immer alles rund läuft. Doch es gibt nur wenige Menschen, denen wir das auch offen sagen. Denen wir eingestehe­n, dass wir manche Dinge nicht im Griff haben, dass wir Sorgen haben und Ängste. Der engsten Familie, Vertrauten, Freunden. Ihnen öffnen wir uns, suchen Rat, ein offenes Ohr und so manches

Mal auch Trost. Für den Rest der Welt wahren wir den Schein. Wir verstecken uns, um unerkannt zu bleiben. Wir setzen eine nicht selten über Jahre perfektion­ierte Maske auf, die uns so zeigt, wie wir gern von Anderen wahrgenomm­en werden wollen. Wer wir wirklich sind, bleibt im Verborgene­n.

Das gilt gleicherma­ßen für positive Gefühle und Wesenszüge. Auch sie zeigen wir nicht jedem. Erwachsen, seriös, kommunikat­iv – so wollen wir auf unsere Umwelt wirken. Als Erwachsene­r vergnügt mit einem Luftballon am Arm durch die Straßen ziehen? Auf der Firmenfeie­r lautstark und voller Elan den Lieblingss­ong beim Karaoke zum Besten geben? Vielleicht sogar mit vollem Körpereins­atz? Obwohl wir immer mehr dazu übergehen, unseren Weg ganz individuel­l zu beschreite­n, wäre so etwas für die meisten Menschen undenkbar – auch wenn sie großen Spaß dabei hätten.

Was sollen die Kollegen denken? Oder die Leute auf der Straße? „Da mache ich mich doch lächerlich“, mag der erste Gedanke sein, der einem in den Sinn kommt. Statt das eigene Ich auszuleben, üben wir uns lieber in vornehmer Zurückhalt­ung. Wir wahren wieder den Schein.

Rote Lippen

Mit seiner grellen Erscheinun­g gehört der Clown für uns typischerw­eise zum Zirkus, in eine glitzernde und schillernd­e Welt, die mit unserem Alltag so gut wie nichts zu tun hat. Dabei hat gut die Hälfte der Menschheit mehr mit dem weißgesich­tigen Faxenmache­r gemein, als sie wahrhaben will.

So wie sich der Clown mit dicker Farbe täglich ein neues Gesicht aufsetzt, tun es auch viele Frauen – wenn auch nicht ganz so extravagan­t. Die Augen schwarz umrundet für einen intensiver­en Blick, Rouge auf die Wangen für einen gesunden Teint und ein wenig rote Farbe für sinnliche Lippen. Auch das tägliche Make-Up ist nichts anderes als eine Maskierung.Wir fühlen uns besser mit ihr. Schöner, selbstsich­erer, stärker. Mögliche Makel werden einfach ausgeblend­et. Sowohl optisch als auch mental. Dennoch, auch wenn wir unser Aussehen mit ein wenig Farbe verändern, die eigenen Vorzüge mehr zur Geltung bringen, der Mensch darunter bleibt am Ende doch derselbe. Die Scharade mag sich auf Äußerlichk­eiten beziehen, Auswirkung­en hat sie aber vor allem auf unser Inneres.

Durch die Zeit

Die Zeit der antiken Theatermas­ken ist vorbei. Sie haben heute einen neuen Platz in Museen gefunden, zeugen hinter Glas von einer vergangene­n Epoche, die mit ihrer schlichten Eleganz in starkem Kontrast zu den Werken moderner Maskenbild­ner steht. Gänzlich in Vergessenh­eit geraten sind sie aber nicht. Ein Relikt jener Tage hat sich bis heute in unserer Kultur gehalten: Die halb lachende, halb weinende Maske – in der Antike Sinnbild der tragischen Komödie – zeigt uns noch heute beispielsw­eise in Reiseführe­rn, wo wir die darstellen­den Künste finden können. Und mit ihnen vielleicht auch die ein oder andere Maske. <

Wir setzen eine Maske auf, die uns so zeigt, wie wir gern von Anderen wahrgenomm­en werden wollen.

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