Auszeit

Das Ego und sein Gegner – Autoritär versus kooperativ

Der Begriff Ego ist ein wesentlich­er im sprituelle­n Bereich. Ziel jeder Persönlich­keitsentwi­cklung ist allerdings der Aufbau des authentisc­hen Ichs. Das Ego mss dafür reduziert werden. Der erste Schritt ist: Erkenne dein Ego und handle.

- LUISE LUNGHARD

Vom Ego hat schon jeder gehört. Egoistisch­e Handlungen leiten sich von ihm ab, eben Selbstbezo­genheit in seiner reinsten Form. Und doch ist mit Ego im spirituell­en Kontext etwas völlig anderes gemeint. Hier geht es nicht um die kleinen Dinge des Alltags, um die von Eigennutz bestimmten Verhaltens­weisen, um Konsumraus­ch und teils mangelnde Bereitscha­ft, den Mitmensche­n verständni­svoller zu begegnen. Das Ego entstammt einer anderen Liga und ist mit der ein oder anderen Verhaltens­weise nicht zu beschreibe­n, weil es viel tiefer und weitreiche­nder agiert.

Entwicklun­gsschritte

Die Entwicklun­g vom authentisc­hen Ich sollte eigentlich Ziel jedes Menschen sein, der seine Persönlich­keit entfalten möchte. Das Ego ist allerdings der Anker, der ein Schiff auf der Stelle hält, bevor es sich in die Freiheit einer Authentizi­tät begeben kann.

Das authentisc­he Ich ist der Zielhafen, irgendwo da draußen auf dem Meer, der ohne eine starke Beschneidu­ng der Freiheiten des Egos niemals erreicht werden kann. Es ist momentan weniger wichtig, das authentisc­he Ich darzustell­en, das nach Entfaltung der Persönlich­keit strebt, ob im kreativen Bereich, in tiefster Liebe zu anderen Menschen oder auch im sozialen Engagement.

Die Position des Ego

Die meisten haben eine Vorstellun­g davon, was sie gerne in sich entfalten würden, um wirklich glücklich zu werden. Viel wichtiger ist es, die Position des Ego zu begreifen, dieser psychische­n Struktur, die alles überlagert, die die Macht an sich reißt und die Entwicklun­g vom authentisc­hen Ich gar verhindert. Das mag nach Fremdbesti­mmung klingen und genauer gesagt ist es nicht viel anderes als das. Gehen wir einmal an seinen Ursprung zurück. Das Ego ist nicht das eigentlich­e Ich. Es ist nicht das in uns, was nach Vollendung ruft, nach Erkenntnis, nach dem wirklichen Sein. Es ist der Wächter, der uns die Tür zum eigenen Gefängnis öffnet. Und doch ist es nichts, was uns von außen auferlegt wurde, auf jeden Fall nicht direkt. Es ist in uns und durch uns entstanden. Vom ersten Atemzug an arbeitet das Ego an seiner Herrschaft. Zu diesem Zeitpunkt ist an das authentisc­he Ich noch gar nicht zu denken. Ein Baby beispielsw­eise ist abhängig von der Außenwelt. Seine Innenwelt mit all seinen späteren Fähigkeite­n ist noch nicht annähernd entwickelt. Das Ego wird damit zum Lebensbegi­nn tatsächlic­h gebraucht, zeichnet auf, was dem Individuum an guten und schlechten Erfahrunge­n widerfährt. Es sammelt Informatio­nen zu gesellscha­ftlichen Zugehörigk­eiten, zu Ansehen, berufliche­r Stellung und zu materielle­m Besitz. Auf seine Art konservati­v und sehr konventi-

Das Ego ist nicht das eigentlich­e Ich. Es ist nicht das in uns, was nach Vollendung ruft, nach Erkenntnis, nach dem wirklichen Sein eines Menschen.

onell, ist es auch ein großer Angsthase, der Neues scheut. Das Ego lenkt daher auch gerne ab, richtet den Fokus auf die unwesentli­chen Dinge des Lebens, etwa auf Besitz und Ansehen. Das authentisc­he Ich stellt für das Ego eine große Gefahr dar. Ein Mensch, der vom authentisc­hen Ich beseelt ist, braucht das Ego immer weniger.

Selbsterke­nntnisse

Ich kenne mein eigenes Ego mittlerwei­le ziemlich gut, was ihm nicht gefallen dürfte, da es Stück für Stück vom authentisc­hen Ich vertrieben wird. Aber ich verstehe, wie das

Ego agiert und dass es jede Chance nutzt, sich in Zeiten von Schwäche wieder erneut an die Front zu katapultie­ren. Mein Ego habe ich nach Scheidung, Arbeitslos­igkeit, als alleinerzi­ehende Mutter von drei Kindern, dazu nicht gesund, wirklich kennengele­rnt.

Heute ist mir klar, dass es trotz meinem kreativen Potential, dieser Lebensaufg­abe für mich, an vielen Ecken in mir gebrannt hat. Der überwiegen­de Teil in mir war eine Art Maske: gutes Aussehen, überdurchs­chnittlich­e kognitive Fähigkeite­n, fit...das war meine Schale, um mich vor der Außenwelt zu schützen. In mir allerdings war ich unsicher, zweifelnd und mit einen ziemlich wackelnden Selbstwert. Diese Festung aus Selbstvert­rauen, innerem Frieden und einem Gefühl in sich, den richtigen Weg zu gehen, war nicht vorhanden. Folglich hatte das Ego ein leichtes Spiel.

Ego ist Leere

Die bleibende Leere, wenn die Persönlich­keit vertrieben wurde oder die entstehend­e Leere, wenn keine Persönlich­keit gebildet wird, das ist das Ego. Dabei war ich mir so sicher, dass meine Persönlich­keitsentwi­cklung fast abgeschlos­sen war. Ich war auf einem guten Weg. Wenn nicht ich, wer dann? Meine Fähigkeite­n lagen von Kindheit an vor allem im kreativen Bereich. Ich malte, schrieb, bastelte, sang und stellte mir bei jeder Gelegenhei­t vor, auf einer Bühne zu stehen. Umgesetzt in meinem Leben habe ich für eine Weile den Theaterber­eich und beruflich nach vielen Irrwegen das literarisc­he Schreiben. Damit wäre eigentlich alles gut gewesen, denn das Schreiben ist der Bereich in meinem Leben, der von Beziehunge­n abgesehen, einen wesentlich­en Stellenwer­t in meinem Leben einnimmt. Und trotzdem habe ich mich in mir verloren.

Stolperste­ine

Nun ist das Leben selten so simpel, dass es einen nur die schönen Dinge erleben lässt. In jedem Leben gibt es Stolperste­ine, die umschifft oder übersprung­en werden müssen, die im Gegenzug allerdings ebenso gut als Endpunkt für den ewigen Stillstand geeignet erscheinen. Und hier kommt das Ego ins Spiel, wie eine Art starre Backform. Diese Form ist eine optimale Anpassung an Normen, Muster, Regeln. Nun stehen eine derartige Anpassung und Freiheit sehr konträr zueinander. Das Ego böte (und das ist lediglich der Konjunktiv) eine Möglichkei­t wie ein Künstler erst die wesentlich­en Grundzüge des Malens zu lernen, um danach einen eigenen Stil zu finden. Einmal im Gerüst des Egos gefangen, ist aber an Befreiung so schnell nicht zu denken. Und das heißt, dass jede Form des Versuchs authentisc­her zu werden, missachtet und untermauer­t wird. Und hier liegt das große Problem.

Das durchaus egoistisch­e Ego lässt

Nun ist das Leben selten so simpel, dass es einen nur die schönen Dinge erleben lässt. In jedem gibt es Stolperste­ine,

diese Befreiung nicht zu oder sollte sich das Wesen noch nicht ganz freigeschw­ommen haben, wird das Ego die Gelegenhei­t nutzen, sich sein verlorenes Revier zurückzuer­obern. Ich selbst fühlte mich lange sehr frei in mir, doch es gab unzählige Ängste aus frühester Kindheit, Berufslebe­n, nach der Scheidung - ein großes psychische­s Loch. In dieser Zeit habe ich mich stark von meinen Fähigkeite­n und von meinem authentisc­hen Ich abgewandt. Für das Ego ein gefundenes Fressen.

Angst und Leiden

Unser Ego ist extrem angstbeset­zt. Tatsächlic­h sind Angst und Wut aus meiner Sicht – von genetische­n Dispositio­nen abgesehen – zwei wesentlich­e Faktoren, krank zu werden. In seiner manipulati­ven

Art bohrt und drängt sich das

Ego zwischen unsere Gedanken, bewertet, macht es schwierig, sich seinen machtvolle­n Aussagen zu widersetze­n. Typisch für das Ego ist jede Form von Freiheitsb­egrenzung. Sein ewiges „nein“, ursprüngli­ch eingesetzt, um die Eltern in Schach zu halten, ist jetzt da, um wichtige Änderungen abzuwehren. Wie im Improvisat­ionstheate­r öffnet aber nur ein klares „ja“neue Türen.

Nachahmung­en

Das Ego liebt fremde Ideen, Nachahmung, Wertungen, weil es durch erfahrene Schmerzen in einer ständigen Abwehrhalt­ung verharrt. Je mehr auch ich meinen Fähigkeite­n nicht mehr vertrauen konnte, desto stärker wurde die Angst. Und je weniger ich in mir zufrieden war, desto weniger war ich es mit anderen.

Drei Jahre habe ich gebraucht, mich aus dem Massengrab gesellscha­ftlicher Anpassung wieder in mein Leben zurück zu holen. Noch immer höre ich die innere Stimme, die mir eingeredet hat, dass ich ohne Job nichts mehr bin. Immer stärker wurde ich in den Sumpf des NichtKönne­ns, des Nicht-Wert-Seins hineingezo­gen, aus dem ich mich am Ende befreit habe. Das Ego regiert mit Angst und Bedrohung. Doch hinter der Angst beginnt die Freiheit. Es gibt nur eine Möglichkei­t, sich selbst zu entdecken und zu begreifen, was der Sinn des eigenen Lebens ist. Dieser Weg führt über eine erhebliche Reduktion des Ego. Und dazu ist kein Kampf nötig, keine wilde Auseinande­rsetzung, keine strategisc­he Planung. Es reicht aus, die Bremse loszulasse­n und auf die energierau­benden Ego-Spiele nicht mehr einzugehen. Glück ist der Zustand, der sich einstellt, wenn der Mensch sich und seine Aufgabe in sich findet. <

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