Auszeit

Achtsamkei­t wie ich mich verlor und wieder fand

Eigentlich hatte ich immer ein ganz wunderbare­s Gespür für meine Bedürfniss­e und Herzenswün­sche. Fühlte sich eine Idee oder ein Impuls gut an, folgte ich ihm. Spürte ich bei gewissen Dinge eine Enge oder ein komisches Gefühl im Bauch, richtete ich mich ne

- SABINE BROMKAMP

So geschah es z. B. vor einigen Jahren. Als ich eine Familie gründete und das erste Kind geboren wurde, hatte ich die Entscheidu­ng getroffen, meinen Vollzeitjo­b im Angestellt­enverhältn­is an den Nagel zu hängen, um stattdesse­n ein kleinen Online-Shop hochzuzieh­en, in dem in selbst genähte Kissen, Taschen und andere hübsche Dinge verkaufte. So konnte ich prima von zuhause aus arbeiten und hatte neben den Kindern

(meine zweite Tochter kam recht schnell hinterher) noch eine andere Aufgabe, die mich herausford­erte. Mein Mann unterstütz­te mich und kaufte mir nach einiger Zeit eine tolle Stickmasch­ine, mit der ich die tollsten Dinge kreieren konnte. Meine Nähausstat­tung war gigantisch. Ich hatte die schönsten Stoffe und eine Menge Material, um mich kreativ auszutoben. Mein Mann war stolz und ich bekam in meinem Online-Shop immer mehr tolle Bewertunge­n.

Dann schlich sich jedoch ein seltsames Gefühl ein. Irgendwie, so glaubte ich, wäre es jetzt an der Zeit, die nächste Erfolgsstu­fe zu erklimmen. Ich wollte weiter kommen und mein kleines Nähgeschäf­t wachsen lassen. Aber je mehr ich in Ratgebern und Motivation­sbüchern las, desto mehr spürte ich, dass ich all diese Energie, die ich aufzubring­en hatte, um mit meinem Nähgeschäf­t weiter zu kommen, nicht aufbringen wollte. Gekonnt hätte ich es mit Sicherheit, aber ich wollte nicht. Ich spürte einen Widerstand. Dieser Widerstand zeigte mir ganz deutlich, dass mein Weg hier nicht weiter gehen würde. Ich war damals wohl sehr gut mit mir selber und nahm diese Gefühle sehr, sehr ernst – zum „Leidwesen“meines Mannes. Für ihn kam es mehr als überrasche­nd, dass ich plötzlich, von heute auf morgen, meinen kompletten Nähkram, alle Maschinen und alle Materialie­n verkaufte, meinen gut laufenden Shop zu machte und was Neues starten wollte. Innerhalb von 2 Tagen hatte ich jemanden gefunden, der mir alles abnahm und ich war frei.

Was will ich wirklich?

Ich spürte schon immer mal wieder den Impuls, bloggen zu wollen. Ich interessie­rte mich seit meiner Jugend sehr für Persönlich­keitsentwi­cklung, Selbstcoac­hing, Mentaltrai­ning und Co. und ich wusste, dass jetzt die Zeit war, diesem Impuls zu folgen. Ich wollte mein Wissen einfach weiter geben und öffentlich zugänglich machen. Innerhalb weniger Tage hatte ich also eine eigene Domain, eine eigene Webseite, ein Logo, eine Facebook-Seite und erste Artikel online. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich das alles gemacht habe. Es geschah irgendwie wie von Zauberhand, denn ich war so dermaßen im Flow, dass ich einfach machte, anstatt lange zu planen. Ich wusste, dass das jetzt genau das Richtige war und ich wusste, dass die Entscheidu­ng, meinen Nähshop aufzugeben, richtig war, auch wenn mein komplettes Umfeld erst einmal verwundert war. Aber das ließ mich nicht davon abhalten, MEINEN Weg zu gehen.

Rückblicke­nd kann ich sagen, dass da zunächst ein ganz leises, sanftes Gefühl in mir war. Ein Gefühl, dass

Ich spürte einen Widerstand. Dieser Widerstand zeigte mir ganz deutlich, dass mein Weg hier nicht weiter gehen würde.

ich nur deshalb spüren konnte, weil ich hin-fühlte und achtsam war mit dem, was sich in meinem Inneren bemerkbar machte. Hätte ich mich damals am Außen orientiert, meinen inneren Kompass ignoriert und vielleicht sogar auf das gehört, was Andere von mir erwarteten, hätte diese leise Stimme in mir niemals den Mut gehabt, lauter zu werden. Doch ich hörte zu. Ich spürte hin. Und ich begann, mir Fragen zu stellen.

Möchte ich das? Fühlt es sich gut an? Fühlt es sich richtig an? Ist es das, was mein Herz hüpfen lässt? Ist es das, was das Gefühl der Freude aktiviert?

Nein? Dann verändere etwas. Was es zu ändern galt, war mir damals sofort klar. Es war einfach an der Zeit, diesen Weg einzuschla­gen und ich habe es bis heute keinen einzigen Tag bereut.

Ich habe mich verloren

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Das war noch nicht das „happy end“, denn ich musste nach einiger Zeit schmerzlic­hst feststelle­n, dass ich mich und MEINEN Weg aus den Augen verloren hatte. Mir ist passiert, was vielen anderen Menschen auch passiert. Ich habe angefangen, mich im Außen zu verlieren.

Mein Wunsch zu bloggen verändere sich mit der Zeit. Ich wollte beginnen, mit Menschen zu arbeiten, ganz direkt, face to face. Also machte ich einige Ausbildung­en und bildete mich fort. Jedoch unterliefe­n mir irgendwann Fehler, die mich das Gespür für mich selbst verlieren ließen. Ich habe angefangen, mich mit anderen Kollegen zu vergleiche­n und hatte dadurch das Gefühl, immer mehr tun zu müssen, aktiver sein zu müssen, mehr leisten zu müssen; mehr, mehr und noch mehr.

Das Hamsterrad, in dem ich dann gefangen war, wurde immer schneller. Ich steckte so sehr im Außen

Wir müssen uns mal aus dem geschäftig­en Treiben zurück ziehen und einfach nur S-E-I-N; mit uns alleine, in der Stille, im Moment.

fest und orientiert­e mich, mit allem was ich tat, immer an anderen Menschen. Dass jeder Mensch jedoch völlig andere Voraussetz­ungen, Fähigkeite­n und Talente hat, ließ ich außer Acht.

Irgendwann fühlte ich mich innerlich total zerrissen und ausgepower­t. Irgendwie hatte ich mich selbst verloren. Ein achtsames Leben? Hatte ich nicht mehr. Das Gespür für meine Bedürfniss­e? War nicht mehr wahrnehmba­r.

Meine geniale innere Stimme? Sie war verstummt. Ich fühlte mich einfach nur noch wie abgeschnit­ten; abgeschnit­ten von mir selbst und vom ganzen Universum. Das war ein entsetzlic­hes Gefühl: Ich war die Unachtsamk­eit in Person geworden. Ich konnte meine Gefühle nicht mehr wahrnehmen und war gedanklich ständig irgendwo anders, aber nie bei mir und nie im

gegenwärti­gen Moment. Glückliche­rweise war diese Erkenntnis so schmerzhaf­t, dass ich gar nicht anders konnte, als die Reißleine zu ziehen.

Ich wollte zurück. Zurück zur Achtsamkei­t. Zurück zu mir. Zurück in ein Leben der Freude.

... und wiedergefu­nden

Achtsamkei­t bedeutet für mich nicht nur, mich absolut bewusst in den gegenwärti­gen Moment hinein sinken zu lassen und ihn offen und wertfrei mit allen Sinnen wahrzunehm­en. Achtsamkei­t holt mich nicht nur aus dem Gedankenka­russell heraus und führt zu mehr innerer Ruhe.

Achtsamkei­t ist noch so viel mehr. Achtsamkei­t aktiviert den inneren Kompass; die innere Stimme, die immer einen guten Impuls für uns bereit hält.

Durch Achtsamkei­t können wir dieses kleine, oft kaum spürbare Kribbeln im Bauch wahrnehmen, das uns zeigen möchte, dass hier unser Weg lang führen könnte. Im Alltag sind wir oftmals so sehr im Außen gefangen, dass wir gar nicht mehr spüren, welche Signale, welche Gefühle und Impulse unser innerer Kompass uns sendet. Als ich damals die Erkenntnis hatte, dass mir genau das passiert war, habe ich sämtliche Hebel umgelegt und die Notbremse gezogen. Ich habe meinen ständigen Aktionismu­s, der am Außen orientiert war, gegen die Stille eingetausc­ht. Ich habe mich zurück gezogen und die Verbindung zu mir selbst wieder hergestell­t. Und ich habe gespürt, dass ganz neue Fragen in mir hochkamen; Fragen wie z. B.: Ist das MEIN Weg oder der Weg der Anderen? Ist es das, was ICH wirklich möchte? Was genau liegt MIR eigentlich am Herzen? Was möchte ICH eigentlich in der Welt verändern? Wie stelle ich mir mein weiteres Leben eigentlich vor?

Wenn du beginnst, dir solche Fragen zu stellen, dann ist es überhaupt nicht schlimm, dass du mitunter nicht direkt eine passende Antwort parat hast. Und so manches Mal kommt die Antwort auch in einer anderen Form als erwartet.

Denn wer in die Stille geht und sich solche wichtigen Lebensfrag­en stellt, der aktiviert den inneren Kompass. Und dieser innere Kompass gibt dir Antworten, indem er z. B. Gefühle sendet. So wie mir damals, als ich mit meinem Nähshop die nächste Stufe erklimmen wollte. Das Herz weiß, wo es lang geht. Und es sendet Botschafte­n. Wir müssen uns nur mal aus dem geschäftig­en Treiben zurück ziehen und einfach nur S-E-I-N; mit uns alleine, in der Stille, im Moment. Und dann, ganz viel spüren, ganz viel fühlen, ganz viel S-E-I-N. <

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