| Es wird bunt
Farbe ist das Natürlichste der Welt. Und doch ist sie ist eine Faszination, die Philosophen und Künstler und Naturwissenschaftler gleichermaßen beschäftigt. Ein Gebiet, das von Fachkundigen erforscht wird und in dem gleichzeitig jeder Laie ein Spezialist
Die geheime Kraft der Farben # Buntes auf dem Teller # Zaubertrank Suppe
Gras ist grün, der Himmel ist blau, Erde ist braun. Der Malkasten hat zwölf Farben, die Ampel drei. Eigentlich kinderleicht! Oder doch nicht?
Am Anfang das Licht
Nicht umsonst setzten sich die alten griechischen Philosophen intensiv mit dem Phänomen Farbe auseinander. Wie kommt sie vom Gegenstand ins menschliche Auge? Warum färbt die Blaubeere die Haut? Ist Farbe eine Materie oder eine Strahlung? Wer über Farbe grübelt, findet über kurz oder lang zum Licht. Sein Spektrum macht uns das farbige Sehen erst möglich. Farbe ist keine Eigenschaft der Dinge, sondern ein Bild, das über das Auge ins Gehirn gelangt. Was wir sehen ist nicht die Realität, sondern ein Abbild, von dem jeder mit seinen Augen ein ganz individuelles wahrnimmt. Zwei Menschen können auf diesselbe Banane schauen und sich darüber einig sein, dass ihre Schale gelb ist. Was genau der andere allerdings sieht, bleibt dem Gegenüber unbekannt. Farbe ist Sehen und Sehen ist eine sinnliche Erfahrung. Sogar die wichtigste des Menschen: 80 Prozent unserer Umwelt nehmen wir mit dem Auge wahr. Davon wiederum betreffen 40 Prozent der aufgenommenen Informationen die Farbe. Ein farbsensibler Mensch kann bis zu 100 000 Farbnuancen unterscheiden. Wir erkennen an der Röte der Haut, ob jemand fiebrig oder aufgeregt ist. Wir können die Reife von Obst und Gemüse einschätzen, anhand der Färbung des Himmels das Wetter beurteilen, wir wissen, dass wir eine Wespe lieber nicht anfassen und dass es sich lohnt, die Nase tief in eine Pumpelrose zu drücken, weil uns ein guter Duft erwartet. Wir kleiden uns in Lieblingsfarben und streichen unsere Wände nach unseren Vorlieben, damit wir uns wohlfühlen. Wir merken auf, wenn ein rotes Feuerwehrauto oder ein blauer Polizeiwagen vorbeifährt. Farben schaffen Identität, symbolisieren Status, stimulieren, warnen, heilen und schrecken ab. Die Welt der Sehenden ist eine Welt der Farben. Sie sind eine Selbstverständlichkeit, sie prägen unseren Alltag und schaffen Struktur. Dass Farbe für uns selbstverständlich ist, dass wir bei Lacken im Baumarkt, Kleidung von der Stange und Lippenstift in der Drogerie aus einer schier unüberschaubaren
Farben wecken in uns Gefuhle oder dienen mit ihrer jeweiligen Symbolik dazu, sie auszudrucken.
Vielfalt aus Nuancen wählen können, ist der Jahrtausende währenden Beschäftigung mit dem Thema Farbe geschuldet. Immer wieder wurde sie untersucht, mit unterschiedlicher Bedeutung angereichert, wurden Techniken zu ihrer Herstellung und Konservierung entwickelt.
„Farbentollheit“
Als frühestes künstlerisches Zeugnis begegnet uns die Farbe als Malerei an Höhlenwänden, die mit einfachen Erdtönen, Ocker, Rot und Braun, gestaltet wurde. Fasern, Flechten, Tiere und Beeren färbten die Stoffe farbig, die vorher die schlichte Färbung ihrer Ausgangsmaterialien trugen. Im Laufe der Jahrtausende entdeckte der Mensch die Leuchtkraft von Pigmenten. Ein wichtiger Schritt nicht nur für die Kunst, sondern auch für das Töpferhandwerk, waren die Entwicklungen in der Metallurgie. Oxide färbten Keramik und überstanden beim Brennen im Ofen die hohen Temperaturen. In Antike und Mittelalter waren beispielsweise Bleibraun und Veilchenblau, das sogenannte „menesch“, Trendfarben.
Es war anspruchsvoll Farben zu extrahieren und sie dauerhaft auf einer Tierhaut oder in einem Stoff zu binden. Milch, Zucker, Kalk, Dung und Blut waren die eher unappetitlich anmutenden Bestandteile dieser Mixturen, die aber für die
nötige Haltbarkeit sorgten.
Mit der Entstehung der Chemiebranche im 19. Jahrhundert explodierten auch die Farben.
Besaß Farbe vorher einen Exklusivitätswert, wurde sie jetzt massentauglich. Textilien, Möbel, Gebrauchsgegenstände, Papier – alles erstrahlte plötzlich in sämtlichen Facetten des Regenbogens. Von einer regelrechten „Farbentollheit“war die Rede. Die Kehrseite dieser Popularisierung floss buntschillernd und stinkend als Abwasser in Flüsse und Seen am Rande der großen Industriezentren und gefährdete dort die natürliche Vielfalt der Biotope. Das Problem der Umweltverschmutzung durch Färbereien kannte man in Antike und Mittelalter freilich noch nicht. Dafür war die Farbgewinnung wesentlich mühsamer und kostbarer. Ein Beispiel ist die Purpurfarbe, die im Römischen Reich nur von den höchsten Staatsvertretern, den Triumphatoren, getragen werden durfte. Wer dagegen verstieß, wurde hart bestraft. Die Farbe wurde aus den Murexschnecken gewonnen und auf geheimen Routen gehandelt. Doch was verboten ist, bietet die größte Verlockung und bald blühte der Schwarzmarkt dank des begehrten Pulvers.
Rosenrot und Popelgrün
Die eine Farbe wird geliebt, die andere verachtet. Die Geschmäcker
Farben schaffen Identitat, symbolisieren Status, stimulieren, warnen, heilen und schrecken ab.
sind verschieden und das nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Epoche zu Epoche.
Den einen erinnert Minzgrün an ein Bonbon, den anderen an den
Zahnarzt. Der eine nimmt Braun als warmen, fruchtbaren Erdton wahr, den anderen erinnert er an das NS-Regime.
Farbe bewegt unsere Psyche und erhält je nach Sympathie mehr oder weniger Prestigepunkte. Wie viele Menschen bezeichnen wohl Mausgrau als ihre Lieblingsfarbe? In der Psychologie wird beim Frielingtest die Verfassung des Patienten anhand seiner Reaktion auf Farben festgestellt. Denken Sie bei Tiefschwarz an die Dunkelheit eines Grabes oder an das Fell des Panthers? Beim Gelb an Neid oder doch an Sonnenschein? In der Barockzeit hob sich der Adel gern durch künstlich gepuderte, vornehme Blässe vom gemeinen, sonnenverbrannten Pöbel ab, während heutzutage eine gesunde Bräunung den gesundheitsbewussten Freigänger charakterisiert. Herzblut und Apfelwange, feeling blue und schwarze Seelen – Farben wecken in uns Gefühle oder dienen mit ihrer jeweiligen Symbolik dazu, sie auszudrücken.
Schwarz und Weiß
Farbkreise, Farbkugeln, Farbrhomben – die Darstellung der Gesamtheit aller Farben ist eine
Wissenschaft für sich, wird aus unterschiedlichen Perspektiven geführt und findet wohl immer wieder Perfektionisten, die sie optimieren. Rot, Grün und Blau sind die Grundfarben der Physiker. Rot, Gelb und Blau dagegen die der Künstler.
Leonardo da Vinci, Descartes, Newton, Goethe, Itten, Küppers, um nur einige zu nennen, heißen die nahmhaften Entwickler von Farbtheorien, die in Farben und Nicht-Farben, bunte und unbunte Artgenossen unterteilen.
Zwei Streitf älle sind seit Jeher die ungleichen Geschwister Schwarz und Weiß. Im alten Griechenland, so wissen wir aus der Naturgeschichte des römischen Gelehrten Plinius dem Älteren, gehörten Schwarz und Weiß zu den vier Grundfarben, die wahrscheinlich von der Viersäftelehre des Hippokrates abgeleitet waren. Schwarze und gelbe Galle, Rot wie Blut und Weiß wie Schleim. Johannes Itten deklarierte sie schließlich als „Nicht-Farben“. Von späteren Theoretikern wurden sie dann aber doch wieder in den Farbkreis aufgenommen: als unbunte Artgenossen. Sehr anspruchsvoll, das Schwarz-Weiß-Denken! Von der grauen Theorie zur bunten Therapie, denn über Farben lässt sich nicht nur herrlich streiten, sie können auch heilen. So finden darbige Lichtwellen und Wärme bei der Behandlung physischer und psychischer Leiden gleichfalls Verwendung. Man denke an Omas Rotlichtlampe bei einer dicken Erkältung oder das bunte Licht in der Biosauna. Lichtduschen mit künstlichem Tageslicht lindern Depressionen, helfen bei Schlafstörungen und bauen Stress ab. In diesem Sinne: Licht an und tief entspannen. <