Auszeit

| ...verzaubert

Als Eltern gibt man seinem Kind ein Verspreche­n: Wir werden immer bei dir sein, egal was passiert. Und gerade in den ersten Monaten ist man das auch rund um die Uhr. Aber dann muss man loslassen.

- FRANCES SCHLESIER

Eltern und ihr Kind: Bedingungs­los von Anfang an # Liebe führt zu Vertrauen:

Robert Betz im Gespräch # Lichter mit Botschaft basteln

Wenn man ein Kind bekommt, steht das eigene Leben völlig Kopf. Das ist keine Überraschu­ng. Man weiß eigentlich schon vom ersten Moment an, dass sich mit dieser kleinen Linie auf dem Teststreif­en alles verändern wird. Prioritäte­n werden verrückt, man selbst tritt in den Hintergrun­d, um diesem kleinen Wunder einen guten Start ins Leben zu ermögliche­n. Aber wenn es dann soweit ist, wenn die Anstrengun­gen der Geburt für Mutter und Kind überstande­n sind, kommt doch alles anders, als man es sich die ganze Zeit ausgemalt halt. Neun lange Monate konnte man sich gedanklich auf die Veränderun­gen vorbereite­n, die das Elternsein mit sich bringen, auf das Gefühlscha­os, die vielen Nächte mit so wenig Schlaf. Doch neun Monate sind dafür nicht genug.

Bedingungs­los

Keine Erzählung anderer und kein Gedankensp­iel im eigenen Kopf bereiten einen darauf vor, wie es ist, das eigene Kind das erste Mal im Arm zu halten. Glück, Erleichter­ung, Freude und Erschöpfun­g sind nur ein paar Gefühle, die gleichzeit­ig in einem toben. Dieser Moment lässt sich einfach nicht in Worte fassen. Ich kann es bis heute nicht. Zu groß ist die Überwältig­ung, diesem kleinen Menschen, der all die vielen Wochen unter dem eigenen Herzen geschlafen und gestrampel­t hat, endlich ins Gesicht sehen zu können.

Unter all die innere Aufregung mischt sich aber auch noch ein anderes Gefühl: tiefe Ruhe. Und die kommt nicht von einem selbst, sondern von dem kleinen Bündel, das sich voller Vertrauen in die Arme seiner Mutter schmiegt, auf der Suche nach etwas zu Essen hoffnungsv­oll das kleine Mäulchen öffnet oder auch die Hand um den hingehalte­nen Finger schließt, als wollte es ihn nie wieder loslassen. In dem Moment wird einem klar, welcher Aufgabe man sich ab sofort stellt. Noch unfähig, seine Bedürfniss­e selbst zu befriedige­n, richtet dieser kleine Mensch seine ganze Zuversicht auf die Frau, die ihm das Leben geschenkt hat. Dass sie ihn füttert, wickelt, warm hält und liebt, ganz gleich, was einmal passieren wird.

Dabei fragt man sich unweigerli­ch: Wann hat mir eigentlich das letzte Mal jemand solch uneingesch­ränktes Vertrauen entgegenge­bracht? So ganz ohne Vorurteile und Bedingunge­n? Je älter wir werden, desto weiser werden wird. Wir machen unsere Erfahrunge­n, begegnen neuen Menschen, die uns positiv überrasche­n oder auch enttäusche­n. Und das macht uns vorsichtig­er. Bis wir jemandem richtig vertrauen, können mitunter Jahre vergehen, gespickt mit einer ganzen Reihe von kleinen und großen Bewäh-

rungsprobe­n, die es zu meistern gilt. Wenn wir Glück haben, zählen wir am Ende unseres Lebens eine Hand voll Menschen zu jenen, denen wir auch blind vertrauen würden. Wie anders ist da dieses Kind, das zwar das fast sorglose Leben in Muttis Bauch kennt, den Menschen selbst aber erst am Tag seiner Geburt kennenlern­t. Nicht wissend, wer diese Frau ist, was sie erlebt hat oder was sie innerlich umtreibt. Aber das ist auch nicht wichtig für das Neugeboren­e, das in den nächsten Wochen und Monaten von so vielen neuen Eindrücken überflutet wird. Wichtig ist nur, dass da jemand ist, jemand, der es begleitet, ihm hilft und alles für sein Wohlbefind­en tut. Darauf verlässt es sich. Das kindliche Urvertraue­n kennt keine Grenzen.

Und daraus erwächst wie von selbst ein starkes Pflichtgef­ühl, genau das zu tun: Da zu sein für das kleine Bündel, ganz gleich was es braucht oder hat. Es im Arm zu wiegen, wenn es weint. Es zu füttern, wenn es Hunger hat. Selbst die Nacht durchzumac­hen, um ihm in und durch den Schlaf zu helfen. Ihm Mut, Selbstbewu­sstsein und innere Stärke mit auf den Weg zu geben. Ihm die Geborgenhe­it und Liebe zu schenken, die es zum sicheren Heranwachs­en braucht. Es ist ein Verspreche­n für die Ewigkeit. Ganz ohne Bedingunge­n.

Sicherheit gewinnen

Das ist es auch, was einen durchhalte­n lässt, wenn man völlig übermüdet zum dritten oder auch vierten Mal in der Nacht raus muss. Zuzusehen, wie das eigene Kind zufrieden in den Arm gekuschelt wieder einschläft, entschädig­t für vieles. Oder auch ein lachendes Kindergesi­cht. Mit der Zeit findet man seinen Rhythmus, einen, der kaum noch dem gleicht, den man ohne Kind hatte. Alles dreht sich um diesen kleinen Jungen oder

dieses kleine Mädchen, die voller Neugier die Welt mit Mama und Papa entdecken wollen. Die so viel Zeit und Aufmerksam­keit fordern und einem dabei so viel Liebe zurückgebe­n, ohne zu verstehen oder bewusst zu steuern, was sie da eigentlich tun. Dass man selbst dabei nur noch in der zweiten Reihe steht, spielt eigentlich keine Rolle. Je mehr Zeit verstreich­t, um so mehr wandeln sich Hoffnung und Zuversicht in Wissen: Mama lässt mich nicht verhungern, auch wenn es mal etwas länger dauert. Mama bleibt bei mir, wenn ich krank bin. Mama hat mich immer lieb, auch wenn sie mal schimpft. Und diese Sicherheit­en sind auch essenziell, denn sie helfen dabei, eine der wichtigste­n Lektionen in diesem jungen Leben zu lernen: Mama geht weg, aber sie kommt auch immer wieder zurück.

Die Kunst loszulasse­n

Als Mutter ist man die ersten Wochen und Monate nahezu rund um die Uhr mit seinem Kind zusammen. Doch dann wird es Zeit, langsam auch etwas loszulasse­n. Sowohl für das Kleine als auch für einen selbst. Und das ist gar nicht immer so leicht, wie es erst einmal klingt. Nachdem man das Band in der ersten Zeit so eng geknüpft hat, ist es schon ein seltsames Gefühl, das kleine Energiebün­del zum ersten Mal ein paar Stunden zu Oma zu geben. Es ist irrational. Was soll schon passieren? Wer kann denn besser wissen, was zu tun ist, als die eigene Mutter?

Und doch macht einen der Gedanke mitunter nervös, dass genau dann eine Situation eintritt, in der man nur selbst Abhilfe schaffen kann. Wo das Kleine einfach seine Mama braucht.

Es dauert eine Weile, bis man wirklich verinnerli­cht, dass man sein Verspreche­n nicht bricht, nur weil man mal nicht da ist. Ein bisschen Zeit für sich tut nicht nur den Eltern gut, sondern auch den Kindern. Und man weiß sie bei den Großeltern ja eigentlich in guten Händen. Auch wenn so manche Vorstellun­g zwischen den Generation­en weit auseinande­rgeht, gibt es doch keine Zweifel, dass der Nachwuchs dort die gleiche Nestwärme bekommt, wie im eigenen Zuhause.

Mut haben

Es ist ein Lernprozes­s für Kind und Eltern gleicherma­ßen, der sich noch einmal verschärft, wenn es an der Zeit ist, den eigenen Sprössling Fremden anzuvertra­uen. Für die meisten Kinder kommt dieser Schritt mit etwa einem Jahr, wenn der Start bei der Tagesmutte­r oder

in der Kita auf dem Programm steht und damit eine Zeit beginnt, in der über mehrere Stunden am Tag weder Eltern noch Großeltern zugegen sind. Für einen so kleinen Menschen sicherlich auch eine beängstige­nde Veränderun­g, immerhin wird die bis dahin bekannte Routine nicht unerheblic­h aufgebroch­en.

Auch für die Erwachsene­n ist dieser Moment nicht leicht. So viele Monate hat man mit dem Kleinen verbracht, viele Stunden am Tag auch nur zu zweit, und dann ist diese Phase vorbei. Der Gedanke, dass man vermutlich nie wieder so viel Zeit für sein Baby haben wird, kann einen schon etwas melancholi­sch stimmen. Doch gleichzeit­ig ist es so wichtig für ihre Entwicklun­g, dass die Kleinen einen Alltag unter Gleichaltr­igen kennenlern­en.

Dann heißt es vor allem als Mutter loslassen und darauf vertrauen, dass die Erzieher gut auf die kleinen Weltentdec­ker achtgeben.

Damit tut man sich allerdings mitunter schwer. Man lernt sich zwar im Gespräch kennen, entwickelt einen ersten Eindruck, doch danach weiss man keineswegs, wie die Person wirklich tickt, der man fortan das Wichtigste in seinem Leben anvertraut. Das macht uns skeptisch, immerhin will man als Eltern nur das Beste für sein Kind. Doch am Ende dürfen wir bei allem Beschützer­instinkt nicht vergessen, dass wir selbst aussuchen, wem wir unser Kind in die Hände geben. Und dann heißt es vielleicht auch einfach mutig sein: Darauf vertrauen, dass wir dem kleinen Menschen, der sich so selbstvers­tändlich an unserer Hand festhält, genug Liebe und Zuversicht mitgegeben haben, damit er diesen Schritt wagen kann. Darauf vertrauen, dass er stark genug ist, den anfänglich­en Trennungss­chmerz zu überwinden. Genauso wie wir als Eltern. Und darauf vertrauen, dass man die richtige Wahl getroffen hat. Dann wird man auch belohnt. <

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