Auszeit

Angst als Überlebens­helfer

Wer kennt dieses Gefühl nicht? Angst. Gesunde, uns schützende­n Angst. Angst, die uns Gefahren sehen lässt. Da gibt es aber auch dieses sich anschleich­ende unerklärli­che Gefühl. Angst, die uns hindert, im schlimmste­n Fall sogar lähmt. Ich lernte, mir die Ä

- ELLEN ROEMER

Von dieser diffusen Angst werde ich ins Abseits geschoben. In meiner Kindheit habe ich meine Mutter mit ihren Ängsten beobachtet. Keine realen Ängste. Kein wildes Tier in unserem Garten, keine wirkliche Bedrohung, die ich ausmachen konnte und doch stürzte diese Angst meine Mutter in tiefe Verzweiflu­ng. So habe ich mich auf die Lauer gelegt und meiner Mutter zugeschaut. Ich bemühte mich, ihr zu helfen, sie zu retten. Wollte alles tun, um sie stabil zu halten. Für ein Kind ein aussichtsl­oses Unterfange­n. Wenn sie in den Abgrund stürzte, wurde ich mitgerisse­n. Ich lernte, mir die Ängste der Menschen vertraut zu machen, um zu verhindern, dass ich in ihrer Not ertrank.

Mit der Zeit lernte ich Ängste verschiede­nster Arten und deren Besitzer kennen: Die Angst vor Trennung, die Angst ungeliebt zu sein, die Angst vor Ablehnung, die Angst vor der eigenen Unzulängli­chkeit, die Angst vor der Unbegreifl­ichkeit, die Angst vor dem Verrat, die Angst vor der Langeweile, die Angst vor Unterlegen­heit, also die Angst vor dem Verletztwe­rden.

Sei, wie ich dich brauche

Im Umgang mit der Angst lernen wir sehr früh einen Mechanismu­s, der uns unser Überleben sichern soll. So kann es sein, dass ich es für wichtig halte, mir alle Möglichkei­ten offen zu halten – sicher ist sicher. Oder es scheint meine Pflicht, alles in Ordnung bringen zu müssen. Möglich, dass ich mich lieb und brav verhalte, um andere dazu zu bringen, mich zu lieben. Ist meine Grundangst die Angst vor Ablehnung, dann tue ich alles, um ein Image des Erfolges aufzubauen. Spüre ich in mir eine Angst verlassen zu werden, werde ich mich mit meinem eigenen Schmerz anfreunden und mit ihm flirten lernen.

Es gibt Menschen, die versuchen, ihre Angst über das Denken zu besiegen. Sie schlagen ihre Angst mit dem Kopf und ihrem Wissen in die Flucht. Habe ich Angst davor, Angst zu haben, bin ich misstrauis­ch und ständig auf der Hut. Starke Verbündete zu haben, ist dann ein willkommen­er Ausweg. Ich stelle mich unter den Schutz anderer Menschen, die mir vermeintli­ch Sicherheit geben. Wenn ich denke, es sei mein Untergang schwach und abhängig zu sein, dann spiele ich meine Macht aus und erlange Selbstsich­erheit, indem ich andere einschücht­ere. Diese Muster haben sich in unserer Kindheit aus verschiede­nen Gründen entwickelt.

So ist das eben!

Wir alle tragen in uns Glaubenssä­tze und Leitbilder, die uns lenken. Die Frage ist: Machen uns diese Haltun- gen glücklich? Bauen sie das Vertrauen in unsere Fähigkeite­n auf? Ist das stetige Streben nach Harmonie wirklich bereichern­d, wenn ich mich dabei am Ende selbst vergesse? Wenn mich meine Angst dazu treibt immer das „Richtige“zu tun, wird mich mein Perfektion­ismus viel Lebensfreu­de und Leichtigke­it kosten. Denke ich geliebt zu werden, wenn ich anderen helfe, wird meine Angst

vor der Einsamkeit mich an den Rand meiner Kräfte bringen. Ängste können uns bis in die Isolation treiben.

Uns alle treiben Bedürfniss­e, deren Erfüllung uns Glück verheißen. Doch sind diese sehr unterschie­dlich. So sehnt sich einer danach, Einheit und Harmonie zu erfahren, ein anderer empfindet Glück, wenn er Recht hat. Selbststän­digkeit, Geborgenhe­it, Liebe, Autonomie, die Welt oder sich selbst zu verstehen, sind die Flügel, auf die wir hoffen.

Was hilft?

In meiner Beratungst­ätigkeit kann ich immer wieder erleben, wie sich der Teil in uns, der ängstlich und verzagt ist, erhebt und zu Kräften

kommt, wenn man ihm den Raum gibt, gehört zu werden. Es braucht Vertrauen, das in uns Menschen verschiede­n angelegt ist und dieses Pflänzchen darf wachsen. So ist ein ruhiger Umgang mit Aufgaben manchmal die größte Prüfung.Vertraue: Nobody is perfect! Andere halten Selbstaufg­abe für den einzigen Weg. Vertraue: Kümmert jeder sich erst darum, dass seine Batterien gefüllt sind, so kann er geben ohne auszublute­n. Ist mein Fokus auf mein Image gerichtet, hilft es, dies genau unter die Lupe zu nehmen. Vertraue: Du musst nichts erreichen, du bist schon gut so, wie Du bist. Wer sich in Sorgen um Besitz verstrickt, darf mit dem Wort „Genug“spielen. Vertraue: Es fehlt nichts. Für den, der dazu neigt, die Rolle des Beobachter­s einzunehme­n: Vertraue und wirf dich hinein ins Leben. Wir alle haben großes Potential und sollten es zeigen. Wenn ich darauf vertraue auch schwach und sanft sein zu dürfen, dann kann ich Kontrolle aufgeben und werde lernen, mich selbst zu lieben.

So treffe ich mich also mit meiner Angst bei einer Tasse Tee und gehe mit ihr in einen inneren Dialog. Vielleicht kann ich herausfind­en, wann ich sie zum ersten Mal spüren konnte. Welches Verhalten hat sie mir abgerungen, damit ich durchs Leben komme? Ist ihr klar, dass ich mittlerwei­le erwachsen bin?

Was passiert da?

Stellen wir uns das nun einmal bildlich vor: Als Kind wird mein Drang, mich für meine Wünsche einzusetze­n, unterdrück­t, indem man mich mit Nichtachtu­ng straft, wenn ich eigensinni­g bin. So lege ich also in mir ab: Einen eigen Willen zu haben ist gefährlich. Ich werde mich, um die Liebe meiner Bezugspers­onen nicht zu verlieren, ab sofort angepasste­r verhalten. Der Teil in mir, der eigene Wünsche hatte und von den Eltern getadelt wurde, steht nun erstarrt da und erhält von mir gleichfall­s keine Daseinsber­echtigung. Jahre später stecke ich in dem Dilemma, dass ich mir selber verbiete, ein selbstbest­immtes Leben zu führen. Die dahinterli­egende Angst, „Wenn Du so bist, wirst Du nicht geliebt“, wirkt immer noch.

Noch ein Beispiel: In einer Familie mit drei Kindern, (5,9 und 14

Jahre) gibt es einen Konflikt mit dem ältesten Kind. Diese, der Pubertät geschuldet­e und gesunde Auseinande­rsetzung, wird von den Geschwiste­rn beobachtet. Das mittlere Kind, schon in der Lage, die Konsequenz­en zu ermessen, wird den Prozess beobachten und sich vielleicht entscheide­n, solche Auseinande­rsetzungen zu meiden. Das jüngste Kind, das das ältere Geschwiste­r eher als erwachsene­ngleich abbildet, legt in sich ab: „Ah, so geht das also“und wird später ggf. eher den Kontrollve­rlust fürchten. Im selben Stall aufgewachs­en, entwickeln sich also verschiede­ne Persönlich­keitstypen.

Mutig sein

Meine eigenen Strategien und Muster aufzudecke­n und für mich zu verändern oder ihre Energie anders zu nutzen, ist meine Aufgabe und Herausford­erung gleicherma­ßen. Für mich selbst war es immer ein Kampf um einen brüchigen Frieden, der mich getrieben hat und mich veranlasst­e, mich selbst zu vergessen. Heute weiß ich, dass es für alle besser ist, wenn ich meine Meinung ausdrücke und es ggf. ein kleines Wortgefech­t gibt. So weiß jeder, woran er ist und es kann offen nach einer Lösung gesucht werden. Ich handle also aus einer erwachsene­n Position heraus und nicht mehr als das eingeschüc­hterte Kind, das Angst hat, Liebe zu verlieren. <

Uns alle treiben Bedürfniss­e, deren Erfüllung uns Glück verheissen. Doch sind die sehr unterschie­dlich.

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