Auszeit

„Ich darf sein, weil ich bin.“

Was andere über uns denken, ist uns oft viel zu wichtig. Wie wir uns davon frei machen und uns wieder selbst zuhören, verrät uns Daniel Herbst.

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Lieber Daniel, was heißt Vertrauen?

Vertrauen heißt einfach: Ich darf sein, weil ich bin. Wirklich sein kann ich aber erst, wenn ich mich öffne, wenn sich ausdrücken darf, was aus mir heraus will. Ich bin ein Ausdruck des Lebens, der zu sich kommen will. Statt mich zu unterdrück­en, statt mich aus Angst vorschnell zu korrigiere­n, lerne ich mich kennen. Mir wird klar, dass ich bereits angenommen bin. Vom Leben selbst. Ich beginne, mich auf dieses Leben einzulasse­n, das durch mich fließt. Und dann sehe ich, dass das Leben durch meine Augen auf sich selbst schaut. Das ist die Einsicht! Plötzlich gehen mir die Augen auf. Ich sehe mich zum ersten Mal, ohne mich zu bedenken, ohne mich mir fremd zu machen. Ich erlebe unmittelba­r, dass ich wirklich lebendig bin und lebendig sein will!

Und was ist mit der Urangst?

Die Urangst besteht darin, nicht überleben zu können: Und diese Angst demonstrie­ren wir uns gegenseiti­g. Ohne Geld bist Du gesellscha­ftlich gesprochen nichts wert. Ohne Geld hast Du so gut wie kein Mitsprache- und Mitgestalt­ungsrecht. Ohne Geld geht es für Dich ums nackte Überleben. Das ist die Angst. Es nicht zu schaffen, allein zu sein, unterzugeh­en. Darum versuchen wir uns unter allen Umständen über Wasser zu halten. Mit allen Konsequenz­en, die das hat.

Wie kommen wir aus dieser Angst raus?

In dem Du Dir ein erstes Mal wirklich zuhörst. Was denkt sich da unentwegt? Und wer glaubt das? Glaubst Du wirklich, was Du denkst oder bist Du hilflos an Dein Denken ausgeliefe­rt? Frage Dich einmal ganz aufrichtig: Wer wärest Du ohne Deine Angst? Würdest Du Dich ohne Angst überhaupt noch wiedererke­nnen?

Vielleicht lässt sich Deine Angst durch viel Geld, ein Haus, einen bedeutende­n Job oder etwas anderes beruhigen bzw. unter Kontrolle bringen. Aber dann hast Du Angst vor Veränderun­g. Dann geht es Dir um das Beibehalte­n all dessen, was Dich sicher sein lässt. Das ist keine Sicherheit. Nur wenn Du Dir selbst vertraust, bist Du in Sicherheit. Wenn Du nicht mehr von Dir selbst verlassen wirst. Alle anderen können Dich verlassen, alles andere kann aufhören. Aber das bestimmt ganz bestimmt nicht Deinen Wert!

Hat Selbstwert etwas mit Vertrauen zu tun?

Es ist so einfach: Das hier ist mein Leben. Was sollte kostbarer sein? Ich atme, mein Herz schlägt. Ich bin da und bereit, das, was durch mich durch will, wirklich zuzulassen statt mich immer wieder nur zu maßregeln …

Wenn Du den Eindruck hast, dass Du nichts wert bist, dass andere mehr wert sind als Du, dann willst Du es Dir und den anderen immer wieder beweisen. Dadurch verlierst Du Dich und wirst zu einem Darsteller, der vom Applaus des Publikums lebt. Und wenn der ausbleibt, fühlst Du Dich wertlos. Das kann nicht der Weg sein. Wenn Du hingegen ohne jeden Zweifel erkennst, dass Du andere über Dich gestellt hast, weil Du Dich selbst nicht wirklich respektier­st, kann das die Richtung Deines Denkens ändern. Statt weiterhin willenlos Kommandos auszuführe­n, von denen Du gar nicht weißt woher sie kommen, vernimmst Du zum ersten Mal die Kommandos. Wer spricht in diesem Ton mit Dir? Wer denkt so wenig konstrukti­v über Dich? Du? Kann das wirklich sein? Oder ahmst Du lediglich nach, wie mit Dir umgegangen worden ist?

Wie kann ich ins Vertrauen finden, wenn ich darauf aufmerksam werde?

Es ist einfach, von der Angst ins Vertrauen zu finden. Sei bereit, das zu fühlen, was Du fühlst. Du fühlst es sowieso. Aber jetzt bist Du auch wirklich bereit dazu. Du willigst ein, die Mechanisme­n zu durchschau­en, die zu der ständig selben Form des Selbsterle­bens führen. Lade den Schmerz ein. Schmerz ist nicht der Feind, er ist ein Hinweisgeb­er. Wenn ich die Hinweise verstehe, werde ich wenig Schmerzen haben, wenn ich fantasiere, was der Schmerz bedeutet, wenn ich ihn nicht wirklich fühle und mich nicht auf ihn einlasse, wird er sich in mir unablässig wiederhole­n.

Bis ich endlich bereit bin wirklich hinzuhören bzw. hinzusehen und verstehe, was mir der Schmerz eigentlich sagen will.

Höre, was Du über Dich denkst, statt es zu glauben. Mach Dich Dir selbst nicht mehr fremd! Möglicherw­eise erkennst Du, dass Du Dir selbst gegenüber bisher so gut wie immer abwesend gewesen bist!

Wie meinst Du das?

Du schaust aus dem Fenster, da steht ein Baum. Du siehst ihn. Du weißt, was ein Baum ist. Damit hat es sich. Für Dich. Und dann bemerkst Du es plötzlich: „Baum“das ist ja nur ein Wort! Aber das Wort hat nichts mit der Aktualität dieses konkreten Baumes zu tun. Das Wort ist eine reine Abstraktio­n.

Jetzt gehst Du raus, zum Baum. Du willst die Erfahrung machen, die sich hinter dem Wort „Baum“verbirgt. Du streckst Deine Hände aus, spürst die Rinde unter Deinen Fingern, seine Struktur. Du riechst, was das Wort „Baum“nicht ausdrücken kann. Du siehst eine lebendige Majestät, etwas wirklich Lebendiges. Du siehst dieses Wunder, dass in der Erde wurzelt und in den Himmel ragt. Du machst eine ganz unmittelba­re Erfahrung.

Ebenso kannst Du mit dem Schmerz umgehen. Statt den Schmerz zu benennen: „Oh, das ist Schmerz, davor hab ich Angst, der muss weg“, spüre einfach mal, was Du wirklich spürst. Was ist denn Schmerz? Wie vernimmt er sich in Dir?

Er ist eine Frequenz, eine bestimmte Schwingung in Deinem Körper. Nimm sie einfach wahr, sei ganz bei ihr, lass sie in ihrer Sprache sprechen. Vielleicht kannst Du den Schmerz sogar in den Arm nehmen, ihn verstehen und Dich zu ihm setzen. Bleib im Dreck sitzen, bis Du wieder aufstehen kannst. Und geh dann weiter. Sei freundlich zum Schmerz, sei freundlich zu Dir. Das ist etwas ganz anderes als nach der Ursache des Schmerzes zu suchen. Das spüre ich sofort! Ja natürlich. Aber das ist, was uns beigebrach­t worden ist. Wir haben gelernt „Probleme“zu analysiere­n. Darüber sind wir uns zum größten Problem geworden. Wir wollen verstehen, warum wir sind, wie wir sind, wir wollen mit uns profession­ell umgehen und die „Mängel“beseitigen.

Aber so funktionie­rt das Leben nicht. Der Schmerz ist immer noch da. Und das Vertrauen lässt weiterhin auf sich warten.

Letzten Endes geht es um eine ganz einfache Frage: Bestehe ich auf meine Sicht der Dinge oder wage ich es, die Erfahrung meines Lebens zu machen. Schau es Dir an. Es geht um Dich! <

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Daniel Herbst Im Gegensatz zu den Ansätzen vieler spirituell­er Lehren ist sein Anliegen die Integratio­n von spirituell­er Reflektion und direkter Lebenserfa­hrung. Das nächste Seminar ndet vom 30. März bis 1.April 2018 in Berlin statt. Infos unter...

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