VON HUNDEN LERNEN
Gelehrige Hunde werden uns immer gern vorgeführt. Aber was haben wir umgekehrt von den Hunden zu lernen, gerade auch in Sachen Respekt und Vertrauen? Hier Auszüge aus dem Buch von Maike Maja Nowak „Abenteuer Vertrauen“.
Es gab Marathonstrecken in meinem Leben, die mir heute kaum noch gegenwärtig sind, und rasante Sprints, die in meiner Erinnerung ohne Nachhall verpufften. Immer präsent jedoch sind mir die Kreuzungen, an denen ich eine Richtung wählen musste. Diese Entscheidungen markieren meinen Lebensweg. Dieses Buch nun habe ich in einer Außenbahn zu schreiben begonnen und wähnte es am Anfang ganz einfach, zu erzählen, was ich von den Hunden auch über uns Menschen erfahren habe. Beim Schreiben aber spürte ich, wie sich das Manuskript wehrte und versperrte, als ich zu allgemein blieb, also ohne mich selbst mit in dieses Abenteuer hineinzunehmen.
Bedingungslos geliebt
Als ich mich dann dazu entschloss, begann mich das Buch wie eine Zwiebel Schicht für Schicht abzuschälen. Anders erlaubte es mir nicht, es zum Wachsen zu bringen. Je mehr ich es zuließ, echt zu sein, umso mehr konnte das Buch wachsen. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, mich perfektionieren zu müssen, weil ich nicht in dem willkommen geheißen und ermutigt wurde, was ich tatsächlich bin. Diese Idee, nicht zu genügen, können nur wir Menschen uns gegenseitig vermitteln. Hunde dagegen verhelfen uns zu dem Gefühl, wertvoll und liebenswert zu sein, denn sie zeigen sogar Freude an dem Ungenügenden, das wir ihnen oft bieten. Jeder, der ehrlich zu sich selbst ist, wird sich schon einmal gefragt haben, warum sein Hund ihm immer zugewandt bleibt, obwohl seine eigene menschliche Verfassung Schwankungen unterworfen ist und der Hund vielen misslichen Situationen nicht aus dem Weg gehen kann. Vielleicht beziehen sich die Hunde einfach auf unseren inneren Kern, der ja wie bei ihnen selbst stets wertvoll und liebenswert ist.
Nichts muss perfekt sein
Von Hunden könnten wir also wieder lernen, an uns selbst zu glauben, so wie sie an uns glauben, und ein Streben nach einer Perfektion aufgeben, die ohnehin nur eine Illusion ist. Auch die Natur käme niemals auf die Idee, eine Kiefer zu optimieren, weil sie in anderer Form vielleicht hübscher aussähe und mehr Anerkennung fände. Sie würde ihr auch keinen Motor einbauen, damit die Kiefer sich fortbewegen kann. Sie hat die Kiefer so geschaffen, dass sie vollkommen ist. Wenn wir hinschauen, was uns die Natur und die Tiere zu sagen haben, erwarten uns
auch wieder Wunder, die wir nicht selbst erfinden müssen, weil sie da sind. Schon immer. Und jeden Tag wieder aufs Neue. Wie können wir wieder zu unserer Echtheit zurückfinden und lernen, auf unsere natürlichen Ressourcen zurückzugreifen? Wie kann aus einer Gesellschaft von Individualisten wieder eine echte Gemeinschaft werden, die zusammensteht? Wo sind die Gaben, die wir nicht mehr genutzt haben, verborgen? Mein persönliches Lebensgeschenk war ein Hund, der mich mit seiner starken Verwurzelung im Authentischen auf eine Lehrreise mitgenommen hat, bei der ich Verlorenes von mir selbst wiederfinden durfte. Ein Hund, der einen langen Weg zurücklegte, um mich auf meinem Weg zu begleiten.
Den Hund verstehen
... Ich bin mit den Glaubenssätzen aufgewachsen, dass Hunde funktionieren müssen. Wenn ein Hund einem Kommando nicht schnell genug nachkommt, gilt er als schlecht erzogen und der Halter hat versagt. Auch wenn es zum Beispiel gerade gar nicht eilt, wird dem Hund weder Raum zu einer Erwiderung gelassen noch etwas Zeit, um seine angefangene Tätigkeit abzuschließen. Viele Hundehalter werden mit Dressurübungen abgespeist und können die Muttersprache ihres Hundes mit ihrem vielfältigen Vokabular aus Verhaltensweisen nicht deuten. Denn die Verhaltensweisen der Hunde sind im Grunde wie Vokabeln einer neuen Fremdsprache, die wir erst erlernen müssen, um sie verstehen und selbst anwenden zu können. Ruft ein Halter seinen Hund heran, nur um sich zu vergewissern, dass dieser noch ansprechbar ist, spürt der Hund sehr genau am Tonfall des Menschen und auch aus dem Erfahrungswert heraus, wie wenig Dringlichkeit real vorhanden ist: „Wenn er in dieser Art ruft und ich komme, ist außer einem
Lob oder Leckerchen noch nie was gewesen.“Warum also sollte er also den „Artikel in der heutigen Hunde zeitung“, den er gerade studiert, nicht noch zu Ende lesen und dann erst kommen? Weil wir uns sonst infrage gestellt fühlen? Weil uns
Denn die Verhaltensweisen der Hunde sind im Grunde wie Vokabeln einer neuen Fremdsprache.
andere Menschen gerade bewerten? Weil wir den Größenwahn pflegen, dass ein Tier auf uns zu hören hat, selbst wenn wir aus seiner Sicht ganz sinnlose Dinge tun?
Natürliche Grenzen
Ein Coming-out bedeutet, den Mut zu haben, eigene, von den gesellschaftlichen Ansichten abweichende Empfindungen und Haltungen zu leben. Auch als Hundehalter bedeutet es ein echtes Coming-out, Dinge anders zu handhaben und zu interpretieren, als sie allgemein üblich sind. Ich erlebe das an mir selbst jeden Tag doppelt, weil ich mich neben einer andersartigen, privaten Hundehaltung auch für ein Coming-out als öffentliche „Expertin“entschieden habe, die keine Freude mehr an Perfektion und funktionierenden Hunden hat, sondern lieber auch effiziente Fehler macht, um Neues zu lernen. So übe ich, scheele Blicke auszuhalten, ... wenn ich meinen Hunden erlaube, das Maul aufzumachen, weil ein fremder Hund sie ernsthaft belästigt.
Oft höre ich dann die Ansicht, dass der Hund, der bellend oder – wie Frieda – krähend um die Wahrung seiner Individualdistanz bittet, ein Angreifer sei. Viele Hundehalter haben ihre eigene Grenzenlosigkeit offenbar inzwischen so eng mit ihrem Hund verknüpft, dass sie sauer darauf reagieren, wenn ihm andere Hunde oder Menschen eine ganz natürliche, hilfreiche Grenze setzen. In solchen Ausnahmefällen zünde ich mir innerlich eine Friedenspfeife an, wie Raida das bei schwierigen Begegnungen tut, und versuche, nur Rauch auszustoßen.
„Einen schönen Tag wünsche ich dennoch“, ist zum Beispiel ein Rauchzeichen, mit dem man gut durch die Hundehalterwelt kommt. Aus angepassten Hundehaltern und Lehrern können jedoch nicht in einem Arbeits- und Entwicklungsgang unabhängige, lebendige Streiter werden. Dazu braucht es viele Übergänge und diese beginnen mit dem Mut zu eigenen Wahrnehmungen, Handlungen und Fehlern.
Füreinander einstehen
Ein Coming-out als Hundehalter bedeutet, sich den Maßstäben, die andere an uns oder den eigenen Hund anlegen, zu verweigern, wenn diese gar nicht zu uns und einem Wesen passen, das wir durch
die Welt begleiten. Es ist so bedauerlich, wenn wir etwas an einem anderen lieben und wertschätzen, aber im Außen immer darum ringen, es zu rechtfertigen und/oder an Glaubenssätze anzupassen, die selbst dringend der Anpassung an das bedürften, was wir über das Leben dazu gelernt haben. <