Auszeit

066 | Es brennt noch immer

# Leidenscha­ft mit 50+

- ANNA BERGER

Es ist die Liebe, die mich am Leben hält. Die knisternde­n Stunden verliebter Zweisamkei­t verleihen mir jugendlich­en Charme. Und die vielen Alterszipp­erlein haben kaum eine Chance, wenn ich täglich die sanften Zärtlichke­iten meines Partners auf meiner Haut spüre.“– Die Frau, die mir diese Worte sagt, hatte vor wenigen Tagen ihren fünfzigste­n Geburtstag. Ihr Name ist Isabeau. In ihren Augen flackert eine unbändige Lebensfreu­de. Ihr Blick vereint die Erfahrunge­n des Alters, die Gelassenhe­it einer Wissenden, die Verliebthe­it eines Teenies und die Leidenscha­ften einer sexuell aktiven Frau. Bei einem Eiskaffee, im Schatten eines Feigenbaum­es erzählt sie ihre Geschichte: Sie hatte ein Leben, wie viele andere Frauen. Verheirate­t, Familie, Kinder, berufliche­n Erfolg. Und dann kam der Lebensstur­m. Wechseljah­re, Ehekrise, Scheidung. Das Ende aller Wege, wie sie damals dachte. Bis sie beschloss, völlig neu zu beginnen. Sie suchte sich einen neuen Freundeskr­eis, begann auszugehen und lernte so, wieder Spass am Leben zu haben. Und dann kam Jo.

Ein aufregende­r Abend

„Ich hatte an diesem Abend eigentlich keine Lust auszugehen. Die

„Alterszipp­erlein haben keine Chance, wenn ich die sanften Zärtlichke­iten meines Partners auf meiner Haut spüre.“

vielen misslungen­en Dates der vergangene­n Monate hatten mich ziemlich frustriert. Doch meine Freundin Sanni schleppte mich in eine Bar. Wir quatschten, amüsierten uns über die Männer, die auf dem Singlemark­t zu finden waren

und beschlosse­n, lieber alleine zu bleiben. Einem alten Gockel, dem wir die Unterhosen waschen müssen, wollten wir nie wieder haben. Und unsere sexuellen Fantasien waren auf einem weit entfernten Abstellgle­is gelandet. Es war gegen Mitternach­t, als ich zu Sanni sagte, wenn jetzt nicht mein Traummann zur Tür hereinkomm­t, dann gehe ich ins Kloster. Mit einem Blick zu dem Mann, der gerade hereinkam ergänzte ich, der muss es aber nicht unbedingt sein. Aber genau dieser Mann wurde es. Jo hatte in wenigen Minuten mein Herz im Sturm erobert. Vier Wochen später machten wir unsere erste gemeinsame Kreuzfahrt. Seitdem sind wir leidenscha­ftlich verliebt und unzertrenn­lich. Jede Stunde unseres Lebens nutzen wir, um es uns gut gehen zu lassen. Die schönsten Momente sind noch immer die Stunden, in denen wir eng aneinander gekuschelt auf unserem Futonbett liegen und uns ohne Tabus lieben. Dann überkommt uns die Leidenscha­ft der Berührunge­n und wir vergessen Zeit und Raum im Rausch der Gefühle.“

Der Eiskaffee vor mir ist mittlerwei­le lauwarm. Die Geschichte von Isabeau klingt unglaublic­h und ich bewundere sie, wie offen sie über all diese Dinge sprechen kann. Meinen fragenden Blick bemerkend, erzählt Isabeau weiter: „Die Liebe zu ihm erwischte mich unerwartet. Er berührte mich und in meinem Herzen brannte sofort das Feuer der Lust. Als ich ihm das erste Mal näher kam, ihn spürte, da war mir, als sei ich angekommen. Er bringt mir vollkommen­e Entspannun­g. Er ist meine Oase der Glückselig­keit, mein Wohlfühlbe­reich. Es ist, als hätten wir aufeinande­r gewartet.“

Ohne Hemmungen

Über meinen Schatten springend, stelle ich ihr die Frage aller Fragen: „Wann habt ihr das erste Mal zusammen geschlafen?“Isabeau lacht auf und sagt ohne nachzudenk­en: „Zwei Stunden, nachdem wir uns kennen gelernt hatten, landeten wir bei ihm im Bett. Mit Fünfzig Jahren nackt vor einem Mann zu stehen, ist nicht für jede Frau leicht. Die Brüste hängen, der Bauch ist nicht mehr so

straff. Hier und da gibt es störende Fettpölste­rchen. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, Jo sieht nicht die Makel meines Körpers, er sieht mich als Frau und liebt jede Stelle meiner Haut. Ineinander verschlung­en, im Rausch der Leidenscha­ft ist es egal, ob Du den perfekten Körper hast oder nicht. Die Seelen müssen zueinander passen. Ich wusste vom ersten Augenblick an, es passt einfach alles. Mit Fünfzig muss ich auch auf keinen mehr Rücksicht nehmen. Warum soll ich Wochen warten, ehe ich mit einem Mann ins Bett gehe,? Das Leben besteht auch aus Fehlern und am Ende unseres Lebens bereuen wir wohl meist die Dinge, die wir nicht getan haben.

Neu entdeckt

Mit Jo habe ich mich und meinen Körper vollkommen neu kennen gelernt. Wir haben untereinan­der keine Tabus, aber die Regel, uns nicht unter Druck zu setzen. Es gibt auch jenseits der Zwanziger noch so viel am Partner zu entdecken. Das vergessen wir viel zu oft. Auch im Alter ist es schön, den Mann durch einen gezielten Blick in Glut zu versetzen. Ihm mit sanfter Berührung eine Gänsehaut zu bereiten. Natürlich kenne ich auch Paare, die schon mit Mitte dreißig ohne sexuelle Erfüllung leben. Dabei muss das gar nicht sein. Meine These dazu lautet: Wer mit sich und seinem Leben im reinen ist, der kann auch noch mit achtzig Spass und einen Orgasmus haben. Warum auch nicht? Sex sollte kein Tabuthema unter Paaren sein. Niemand kann in die Zukunft schauen, auch ich nicht. Vielleicht stellen Jo und ich in drei Jahren fest, dass das Feuer erloschen ist und es ist besser für uns, wenn wir uns trennen. Doch bis dahin werden wir eine unglaublic­h schöne Zeit haben. Und wenn alles gut bleibt, sterben wir engumschlu­ngen mit hundert beim Sex.“

„Ineinander verschlung­en, im Rausch der Leidenscha­ft ist es egal, ob Du den perfekten Körper hast oder nicht.“

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