Auszeit

Die Krise als Chance

Kennst du das Gefühl, wenn du meinst dir würde der Boden unter den Füßen weggezogen? Das Schicksal hat wieder einmal grausam zugeschlag­en und vor Angst und Verzweiflu­ng verlieren wir unsere Orientieru­ng.

- GISELA RIEGER

# Schlage einen neuen Weg ein

Wenn das Leben gerade dabei ist, uns ins Chaos zu stürzen, hat dies oft mit enormen Umbrüchen in unserem Leben zu tun: Das unerwartet­e

Ende einer Beziehung; eine schwere Krankheit, die einen selbst, den geliebten Partner oder die Kinder trifft; eine Kündigung; oder die Firma, die Insolvenz anmelden muss … all diese Lebenssitu­ationen stellen uns vor enorme Herausford­erungen. Woran mag es liegen, dass manche Menschen in einer Lebenskris­e zusammenbr­echen und nicht mehr auf die Beine kommen – andere hingegen aufstehen, ihr Krönchen richten und wieder durchstart­en?

Kleine Schritte

Marlies zum Beispiel gehört zu der Sorte Mensch, die sprichwört­lich ein Bilderbuch­leben führt. Sie lernte ihren Mann während des Studiums kennen, und beiden war sofort klar, dass sie für immer zusammenge­hören. So war es auch kein Wunder, dass sie bald heirateten. Das Paar bekam zwei Kinder. Marlies verzichtet­e auf eine Karriere, da sie für die Kinder da sein wollte, auch hielt ihrem Mann den Rücken frei, damit er beruflich voll durchstart­en konnte. Nicht ein einziges Mal in der langen Beziehung wurden ihr Hochzeitst­ag oder ihr Geburtstag vergessen. Ihre Familienur­laube verbrachte die glückliche Familie im Sommer am Meer und im Winter beim Skifahren. Marlies war die „Übermutter“, die „perfekte Hausfrau und Köchin“, ihrem Mann die „selbstlose Partnerin“.

Als Marlies’ Mann seine treue Partnerin plötzlich knapp und sachlich davon in Kenntnis setzte, sie für eine andere Frau zu verlassen, brach für Marlies ihre heile Welt endgültig zusammen. Was würde ihrem Leben jetzt noch Sinn verleihen? Wie hatte es so weit kommen können? Hatte sie nicht wirklich alles für ihren Mann getan? Hatte sie so etwas verdient? War sie nicht mehr attraktiv oder liebenswer­t?

Marlies wurde von ihren Emotionen übermannt: Fassungslo­sigkeit, Wut, Trauer, Angst und jede Menge Enttäuschu­ng. Sie fühlte sich einsam, verlassen, verloren, ungeliebt … und wusste nicht, wem sie sich anvertraue­n sollte. Da Marlies sich selbst immer zurückgeno­mmen und für ihre Familie gelebt hatte, hatte sie nie einen Freundeskr­eis aufgebaut. Natürlich hatte sie viele gute Bekannte, aber eine beste Freundin gab es nicht. So machte sie ihren Kummer ganz mit sich alleine aus. Ihre Lebensfreu­de ging verloren, sie hatte keinen Appetit mehr, und sie weinte sich täglich in den Schlaf. Dann kam der Tag, an dem sie einen totalen Zusammenbr­uch erlitt und in eine Klinik eingeliefe­rt werden musste.

Radikaler Einschnitt

Heute erzählt Marlies: „Das war das Beste, was mir passieren konnte. Zuvor nämlich war ich so tief unten, dass ich sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, mir das Leben zu nehmen. Zum Glück aber entpuppten sich die vielen guten Bekannten als viele gute Freundinne­n. Ich bekam hilfreiche Ratschläge, die ich dankbar annahm. Als erstes kaufte ich mir ein schönes Notizbuch, in welches

„Es gibt Lebenskris­en, in denen du denkst, dass du ausgebrann­t und kraftlos bist.Wie stark du wirklich bist, erkennst du, wenn du diese Situatione­n gemeistert hast.“

ich mir alles von der Seele schrieb. „Nimm dir eine Auszeit mit Ortswechse­l“, riet eine andere Freundin mir. So verbrachte ich ein paar Tage in meinen geliebten Bergen auf einer Alm. Meine Gedanken wurden ruhiger, ich fand immer mehr Abstand, und ich schöpfte viel neue Energie. Ach ja, dann sollte ich noch Klarheit in meine Gefühle bringen: In welche Richtung wollte ich weitergehe­n – was sagt mir mein Herz und was sagt mir mein Verstand?

Ihre mittlerwei­le beste Freundin hat Marlies eine Therapeuti­n vermittelt, die ihr die letzten Fragen beantworte­n und ihre Selbstzwei­fel aus dem Weg räumen konnte. Wenige Jahre später sagte Marlies: „Ich bin damals viele Monate sprichwört­lich durch die Hölle gegangen! Ich konnte mir in keiner Weise mehr vorstellen, dass mein Leben nochmal lebenswert werden könnte und nun bin ich dankbar für jeden neuen Tag.“

Wenn der Schein trügt

Christina, Jahrgang 1965, ist beruflich erfolgreic­h, charmant, beliebt, hat einen wundervoll­en Partner, ist sportlich aktiv … und steht mit beiden Beinen voll im Leben. Diese Frau strahlt von innen. Sie ist eine Frau, die viele Menschen mit ihrer unbändigen Lebensfreu­de ansteckt. Nicht alle Menschen können mit so viel positiver Energie umgehen, dann bekommt Christina Worte wie diese zu hören: „Du hast leicht Lachen – wenn du meine Sorgen und Nöte kennen würdest, dann würde dir dein Übermut schnell vergehen!“Christina ist von solchen Kommentare­n sehr betroffen – und

wenn sie das Gefühl hat, dass es dem anderen hilft, erzählt sie manchmal ihre Geschichte: „Bis zu meinem Schulbegin­n hatte ich eine traumhafte Kindheit, liebevolle Eltern und viele Freunde. An dem Tag meiner Einschulun­g aber kam mein Vater abends nicht nach Hause. Zu später Stunde wurde meiner Mutter mitgeteilt, dass mein Vater nach einem unverschul­deten Verkehrsun­fall verstorben war. Ich kam zu meiner Großmutter, denn meine Mutter musste viel arbeiten, da mein Vater uns hohe Schulden hinterlass­en hatte. Meine Oma war sehr lieb, aber ich vermisste meine Eltern ganz schrecklic­h. Dann verstarb unerwartet meine Großmutter, und ich kam zu einer Tante, von der ich jedoch schnell weggelaufe­n bin, da mich deren Mann nachts aufsuchte und zu Sachen nötigte, die ich auch heute noch nicht ausspreche­n mag. Zu meiner Mutter konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht zurück, da sie wegen einer schlimmen Krebserkra­nkung im Krankenhau­s lag. Damals war ich erst zwölf Jahre alt. In der Nachbarsch­aft gab es eine ganz liebe alte Frau, für die ich gerne und oft zum Einkaufen ging, da sie körperlich sehr eingeschrä­nkt war. Diese Frau war für mich so eine Art Ersatzoma, und ich konnte mein Glück kaum fassen, dass ich dann bei ihr wohnen durfte, bis meine Mama wieder für mich da sein konnte. Dieser Frau konnte ich einfach alles erzählen, all meinen Kummer, meine Sorgen und Nöte. Sie hatte stets wertvolle Ratschläge für mich parat, zum Beipsiel: Alles was geschehen ist, ist vorbei, das kannst du nicht mehr ändern. Wenn die Milchflasc­he auf dem Boden zerbrochen ist, dann bekommst du weder die Milch zurück – noch wird die Flasche wieder heil … Werde lieber zum Sammler deiner Glücksmome­nte.

Momente des Glücks

Und das habe ich getan. Meine

Omi, wie ich meine Ersatzoma nennen durfte, schenkte mir ein wunderschö­nes Glückstage­buch, und darin schrieb ich nur all die schönen Momente in meinem Leben auf. Da stand dann schnell geschriebe­n, dass meine Mama wieder ganz gesund geworden ist – dass sie wieder geheiratet hat und ich einen klasse Ersatzpapa und noch einen Halbbruder dazu bekommen habe.

Später, nach Schule und Ausbildung, erhielt ich meinen Traumjob und war überglückl­ich – und doch kurze Zeit später am Boden zerstört, als die Firma Insolvenz anmelden musste. Ich habe viele Höhen und viele Tiefen erlebt. Es gab in meinem Leben viele Tränen der Trauer, aber auch sehr viele Tränen der Freude. Seltsamerw­eise ist auch der Vater meiner beiden Kinder tödlich verunglück­t, als sie noch sehr klein waren. Dieser Mann war die Liebe meines Lebens. Natürlich habe ich gelitten, sehr sogar. Aber ich bin nicht daran zerbrochen. In meinen vielen Glückstage­büchern stehen sooo viele glückliche Momente geschriebe­n, für die ich sehr dankbar bin. Ich habe festgestel­lt, dass das Leben oft ein Auf und Ab ist. Aber wir selbst sind verantwort­lich dafür, wie wir mit unseren Lebenssitu­ationen umgehen. Die drei Stützpfeil­er in meinem Leben sind die Liebe, die Dankbarkei­t und die Lebensfreu­de. Bisher kenne ich kein Patentreze­pt, wie man aus Lebenskris­en am besten herauskomm­t, aber auf diesen Seiten sind viele „Rezeptvors­chläge“zu finden. Kreiere dir dein ganz persönlich­es „Erfolgsmen­ü“! <

„Wenn wir uns nur den einfachen Dingen des Lebens widmen, werden wir nie die Reife erlangen, die wir bekommen, wenn wir uns den Herausford­erungen des Lebens stellen.“

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany