Ganz tief unten
Lebenskrisen als Ausgangspunkt für einen Neuanfang
# Von der Kunst, wieder aufzustehen
Als wäre man ein auf Grund gelaufenes Schiff, antriebslos, an der Endstation angekommen – ein Gefühl, das mancher aus der Zeit seiner tiefsten Krise kennt. Einmal am tiefsten Punkt angekommen, gibt es nur einen Weg: bergauf. Es gilt, diesen Weg zu finden und die Kraft zu entwickeln, ihn auch zu gehen.
Verschiedene Situationen im Leben erzwingen eine völlige Kehrtwende und somit einen Neuanfang. Doch nicht jede Krise birgt dieses Potenzial. Einige sind lediglich „marginal“und können als Chance gesehen werden, wie etwa eine Kündigung. Andere dagegen sind ein wahrer Bruch in deinem Leben, beispielsweise der Tod eines geliebten Menschen, schwere Krankheit oder physische wie auch seelische Misshandlung. Nichtsdestotrotz ist jede Lebenskrise mit einer Art Demotivation verbunden. Kraft- und Ratlosigkeit sowie Verzweiflung machen sich breit. Je dramatischer die Situation desto mehr bestimmen solche negativen Gedanken und Gefühle nun dein Leben. Als wäre der Boden unter deinen Füßen weggerissen worden, und auf einmal steckst du in diesem unfassbar tiefen Loch mit einem winzigen Lichtblick in viel zu weiter Ferne.
Es tut weh
Krisensituationen haben die überaus unangenehme Eigenart, alles zu verdunkeln und schwarz zu malen. Farben scheinen trüber, Lachen aufgesetzt und jeder noch so gut gemeinte Rat fühlt sich wie ein Finger in der Wunde an. Kein Wort wirkt tröstend oder lindert auch nur annähernd den Schmerz. Womöglich machen dich all die Tipps und Vorschläge auch richtig wütend, weil du sie für unzulänglich hältst. Und du hast Recht. Kein anderer Mensch kann in diesem Moment dein Leid so nachempfinden, wie du es gerade erlebst. Insofern, ja, du bist in einer gewissen Art völlig allein damit. Zumindest bist du bereit bist, wieder Hilfe zu zulassen.
Bis dahin braucht es Zeit. Du wirst erkennen, wer dir wirklich zur Seite steht, denn diese Personen werden nicht aufhören, dir helfen zu wollen. Jene, die sich von deinen Problemen abwenden, haben dich nicht etwa aufgegeben, ihnen warst du leider nie wichtig genug, um auch in derart schweren Zeiten Flagge zu zeigen. Lass sie ziehen. Du brauchst deine Kraft jetzt für dich selbst.
Alles braucht seine Zeit
Den „Schalter einfach umlegen“ist so leicht dahingesagt. Nur weil die Krise unkontrolliert über dich hereingebrochen ist, wird sich nicht so mir nichts, dir nichts ein Ausweg direkt vor deiner Nase zeigen. Außer Zeit brauchst du auch Geduld. Mit dir selbst allen voran, aber auch mit deinem Leben und den Menschen dazu.
Zeit wird es brauchen, um die Krise zu verarbeiten. Geduld, bis sich ein Weg auftut, der dir die Chance für einen Neubeginn bietet.
Oftmals glauben wir irrtümlich, dass jene, die bereits eine Lebenskrise überwunden haben, sehr stark sein müssen oder zumindest stärker als zuvor. Stärke ist jedoch keineswegs das Allheilmittel schlechthin. Vielmehr kommt es auf zwei essentielle Faktoren an:
1. Diese Menschen hatten gar keine andere Wahl. Aufgeben kam überhaupt nicht in Frage, allein auf Grund der Verantwortung sich selbst und der Familie gegenüber.
2. Entscheidender als Stärke ist Durchhaltevermögen im Sinne von Geduld. Aber auch Zuversicht und
emotionale Reife, um mit eigener Schwäche umzugehen, ohne daran zu zerbrechen.
Kein Mensch verlangt von dir, diese Krise wie ein Profi zu meistern.
Wie könntest du auch? Dir ist etwas widerfahren, dass du weder beabsichtigt noch heraufbeschworen hast. Aber du bist auch kein Opfer des Schicksals. Du bist in einer Lebenskrise, und aus der gibt es einen Weg, den du finden wirst. Du musst „nur“die Augen aufhalten und bereit sein, Neues zuzulassen. Gutes wie Schlechtes.
Ist es endlich vorbei?
Mit dem Zulassen neuer Situationen, der individuellen Trauerarbeit sowie mit dem Neubeginn im Leben, wird es Rückschläge geben, den ein oder anderen Zweifel und auch ein paar Konflikte. Bergauf aus dem Lebenstief heißt schließlich nicht, dass von nun an alles schlagartig rosig und locker flockig wird. Aber der Rückblick auf die vergangenen Wochen und Monate ist deine ganz persönliche Motivation. Im Prinzip entscheidest du, wann deine Lebenskrise vorbei ist. Und nur Schritt für Schritt kann dir dieser Weg gelingen. Große Sprünge sind natürlich nicht ausgeschlossen, sei dir allerdings bewusst, dass auch der ein oder andere Fehltritt und/ oder Schritt zurück passieren kann. Jedes Ende ist eine Chance für einen neuen Anfang. Oder mit den poetischen Worten Winston Churchills: „Das ist nicht das Ende. Es ist auch nicht der Anfang vom Ende. Aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs.“
Bevor die Seele geprägt wurde durch Eindrücke und Erfahrungen, war sie rein, wenn auch nicht vollkommen, denn eben jene Eindrücke und Erfahrungen profilieren sie erst zu einem Bewusstsein. Krisensituationen sind besonders prägend. Um die Tabula rasa – also den ursprünglichen Zustand – wieder herzustellen, müsste eine solche Krise komplett verarbeitet werden. Dann wäre das Glas weder halbvoll noch halbleer, es wäre komplett leer und ließe sich als Neubeginn mit neuen Eindrücken und Erfahrungen wieder befüllen. Am Computer würde man die Festplatte formatieren… Am lebenden Subjekt ist das geringfügig schwieriger, dennoch ein oft erkorenes Ziel von Menschen, die eine Lebenskrise durchmachen und sich nach einem neuen Anfang sehnen. „Back to the roots“(sprich, zurück zu den Wurzeln) ist fast schon ein Trend. Natürliche Zutaten werden konsumiert, es wird selbst gekocht, eingelegt und konserviert, mehr gelaufen als gefahren, die Wohnungen werden uriger und flauschiger, die Hobbys zum Do it yourself Mantra. Yoga und Mediation helfen bei dem Selbstfindungsprozess. Aus der Zerstörung (der Lebenskrise) keimt neue Hoffnung und mit ihr ein möglichst reines Selbstbewusstsein.
Wirklich loslassen
Leider zeigt sich immer wieder, dass die Vergangenheit einen einholen kann. Umso wichtiger ist ein wahrhaftiger Neubeginn. Besuche nicht halbherzig Selbsthilfe-Seminare, nur um dabei gewesen zu sein. Womöglich warten ganz andere, bisher klein gehaltene Träume auf ihre Verwirklichung und können dir als Neubeginn weitaus mehr bieten. Das Potenzial für einen Neuanfang ist von Krisenart zu Krisenart
„Im Prinzip entscheidest du selbst, wann deine Lebenskrise vorbei ist.“
aber auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich, meistens jedoch darauf zurück zu führen. So werden Menschen nach einer schweren Krankheit entweder vermehrt auf ihre Gesundheit achten, weil sie sich verpflichtet fühlen, für andere da zu sein, oder erst recht alle Bedenken in den Wind schlagen, und das Leben im Moment genießen ohne Rücksicht auf gesundheitliche Folgen. Vergleichsweise entwickeln viele nach dem Tod eines ihnen nahe stehenden Menschen massive Verlustängste und klammern sich an fragwürdige Beziehungen, andere schwören jeglicher Art von tiefgehender Beziehung ab und werden Reisende mit flüchtigen Bekanntschaften.
Hier spielt die Trauerarbeit bei der Krisenbewältigung eine große Rolle. Zwischen Loslassen und
„nie überwinden“gibt es nämlich unzählige Zwischenstufen. Letztlich hat wohl jeder sein „Päckchen zu tragen“, bei manchen sind es halt ganze Wagenladungen. Die fünf Stufen der Trauer (Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz) sind dabei nur Teil eines lebenslangen Prozesses. Denn nur wer gänzlich vergessen kann, kann auch völlig loslassen. Sobald jedoch die Erinnerung zurück kommt, sei es durch ein bestimmtes Lied, einen Namen oder einen Ort, kommt auch der Schmerz zurück. Wie stark er dann ist, hängt von der Trauerarbeit ab. Mitunter müssen die Phasen mehrmals durchlaufen werden, bis sich Linderung einstellt. Um dieses Krisenmanagement, vor allem für „Wiederholungskrisen“zu bewältigen, gibt es professionelle Hilfe. Angefangen bei der Telefonseelsorge über spezifische Beratungsstellen bis hin zu begleitenden Therapien und Selbsthilfegruppen. Entscheidend ist aber, die Lebenskrise für sich selbst zu erkennen und sie voll und ganz anzunehmen, als Herausforderung, als Chance, als Initiation, als Muss – vor allem aber als überwindbar. <
„Auszer Zeit brauchst du Geduld. Mit dir selbst, aber auch mit deinem Leben und den Menschen dazu.“