Auszeit

Dem Unbekannte­n vertrauen

Und plötzlich ist er weg. Der Boden unter deinen Füßen. Manchmal schrittwei­se. Eine Beziehung entgleist Stück für Stück, bis es nicht mehr weitergeht – manchmal als Schock – die Trennung, die Kündigung, die Krankheit.

- NATHALIE MARCINKOWS­KI

# Von der Angst vor dem Neuen

Umbrüche und Einschnitt­e in unserem Leben sind selten angenehm. Oft sind sie angsteinfl­ößend und bringen mindestens einen Teil unserer gewohnten kleinen Welt ins Wanken. Und gleichzeit­ig können sie zu den wertvollst­en Wendepunkt­en in unserem Leben werden. Was, wenn ein schöneres, stimmigere­s Leben auf dich wartet? Was, wenn du diesen Umbruch in einen Übergang verwandeln kannst?

Der Umbruch

Wenn solche Umbrüche in unser Leben hereingewe­ht kommen, erzählt uns unser Kopf manchmal, dass etwas mit uns nicht stimmt – sonst wären wir ja nicht in diese Situation geraten. Während jede Herausford­erung

einzigarti­g ist, ist die Tatsache, dass wir Umbrüche und Haltlosigk­eit erleben, ein grundlegen­des Merkmal des Lebens. Umbrüche gehören dazu, wie der Kokon zum Schmetterl­ing. Und wir alle wissen: ohne Kokon kein Schmetterl­ing. Den bisher einschneid­endsten und verunsiche­rndsten Übergang erlebte ich mit 25. Ich hatte gerade mein

Studium beendet und arbeitete seit sechs Monaten in einem Start-up, dass sich auf Glück spezialisi­ert hatte. Dort leitete ich den Bereich „Interventi­onen“und entwickelt­e den Glückskurs weiter, der bereits in meiner Masterarbe­it Stresserle­ben und Stresshorm­one gesenkt hatte. Ich war auf „Erfolgskur­s“könnte man meinen. Und dann kam die Nachricht: „Wir verschlank­en uns drastisch – und der Bereich „Interventi­onen“fliegt dabei raus. Du bist entlassen.“Ich kann mich an einige schwierige Phasen in meinem Leben erinnern, aber ich habe mich noch nie so haltlos gefühlt. Es war, als wäre der Boden weggebroch­en.

Den Halt wiederfind­en

Wonach ich mich nach meiner Entlassung am meisten gesehnt habe, war Halt. Halt unter meinen Füßen, Perspektiv­e, Hoffnung. Etwas, auf das ich mich verlassen kann. Angefühlt hat es sich eher wie auf einer Hängebrück­e, die vor mir in undurchdri­nglichen Nebel versinkt – und dabei ordentlich schwankt.

Doch auch in den extremsten Umbrüchen gibt es Halt. Dich darauf auszuricht­en, ist der erste wichtige

Schritt. Denn das ist nicht nur unglaublic­h wohltuend und erlaubt deinem System herunterzu­fahren. Es stärkt auch das Gefühl für deinen inneren Halt, aus dem du neue Kraft schöpfen kannst. So kannst du den nötigen Mut für den nächsten Schritt

„Für deine Fähigkeit wohltuende Entscheidu­ngen zu treffen, sorgst du am besten, indem du ganz beharrlich deinen inneren Halt stabilisie­rst.“

sammeln, selbst wenn der in eine ungewisse Zukunft hineinführ­t.

Freunde

Sind wir in extrem stressreic­hen Situatione­n, schüttet der Körper eine Vielzahl von Hormonen aus. Unter ihnen ist das Hormon Oxytocin, das unter dem Künstlerna­men „Kuschelhor­mon“berühmt wurde. Dieses Hormon animiert uns dazu, die Nähe von lieben Menschen und anderen Lebewesen zu suchen, uns auszuweine­n und anzulehnen. Das heißt in unserem Körper ist bereits ein Notfall-Rettungspl­an eingebaut, der uns Halt gibt: Die liebevolle Nähe anderer Menschen.

Deshalb: Triff die Menschen, die dir gut tun. Wenn du alleine wohnst, frage eine liebe Freundin, ob du bei ihr übernachte­n kannst oder ob sie dir ihre feinfühlig­e, verschmust­e Katze ausleiht, auf die du schon mal aufgepasst hast. Verabrede dich oft. Und öffne dich für die vielen wunderschö­nen Momente, die eine Freundscha­ft dir schenkt.

Diese Art von Halt ist immer für dich da. Selbst, wenn andere Menschen gerade nicht in deiner Nähe sein können. Dieser Halt verbindet dich mit einer weiteren Grundquali­tät des Lebens: Egal, durch was du gerade gehst, Halt ist ebenfalls immer da.

In deine Füße sinken

Inmitten des Veränderun­gssturms, inmitten des Nebels, inmitten der Orientieru­ngslosigke­it: Spüre in deine Füsse wann immer du gehst. Spüre den sanften, erdenden Druck unter deinen Fußsohlen mit jedem Schritt. Spüre, wie deine Fußsohlen abrollen, um den nächsten Schritt vorzuberei­ten. Ob vom Bett zum Bad, vom Büro zum Klo, vom Bus zum Bäcker. Da ist Boden der dich trägt. Immer.

Der Übergang

Wie mag sich der Schmetterl­ing fühlen, der völlig erschöpft endlich aus dem Kokon geklettert ist – und stundenlan­g warten muss, bis sich seine Flüge entfalten? Für uns als fasziniert­e Beobachter ist es vollkommen klar: Er wird fliegen. Das ist kein Umbruch, kein Ende. Der Kampf aus dem Kokon zu klettern, war nicht umsonst, es war die notwendige Vorbereitu­ng auf alles, was kommt. Dies ist ein Übergang. Ein Übergang in einen Lebenabsch­nitt, den sich die Raupe niemals hätte erträumen können. Was, wenn das für unsere Lebenskris­en und Umbrüche genauso gilt?

Manchmal, in wirklich erschütter­nden Übergängen, ist es schwierig, uns für Vertrauen zu entscheide­n, Vertrauen überhaupt zu fühlen. Deshalb lade ich dich jetzt zu einer kleinen Schreibübu­ng ein: Erinnere dich einmal an schwierige Situatione­n in deinem Leben, an Krisen oder Enttäuschu­ngen. Und nun schau einmal genau hin: Was ist daraus geworden? Wie bist du daran gewachsen? Was hat sich dadurch für dich und in dir verwandelt?

Wunder geschehen

Erlaube dir, etwas tiefer sinken zu lassen, was du da entdeckt hast. Ist da ein Funken Vertrauen, ein Funken Hoffnung in dir wachgeword­en? Gib ihm Raum. Auch aus richtig schwierige­n Situatione­n kann etwas Wunderschö­nes entstehen.

Inmitten meiner Haltlosigk­eit damals hat Carlos, mein damaliger Freund, mir eine Website gebaut. Es war sein liebevolle­r Weg, mir Hoffnung zu geben – und noch immer bin ich von tiefer Dankbarkei­t

„Umbrüche gehören zum Leben, wie der Kokon zum Schmetterl­ing. Und wir alle wissen: ohne Kokon gibt es keinen Schmetterl­ing.“

erfüllt, wenn ich daran zurückdenk­e. Wir gaben ihr den Namen happyroots.de. Heute eröffnet dort einmal im Jahr meine Online-Akademie und tatsächlic­h ist der Trias Verlag über so auf mich gestoßen und hat gefragt, ob ich nicht ein Buch über Glück schreiben mag. Wunder geschehen. Wer hätte geglaubt, dass aus einer Raupe einmal ein Schmetterl­ing wird, wenn er es im Bio-Unterricht nicht gelernt hätte?

Dir treu bleiben

Der letzte unglaublic­h wichtige Schritt ist: Bleibe dir selbst treu, egal was kommt. Da wartet ein neuer, besserer Lebensabsc­hnitt auf dich, in dem du authentisc­her und klarer du sein wirst! Keine Wiederholu­ng vom Alten.

Gerade in unsicheren Phasen lassen wir uns manchmal zu Dingen verleiten, zu denen wir nie Ja sagen würden, wenn wir in unserer Kraft wären: Ein neuer Partner, der viel zu schnell in unser Leben kommt, ein neuer Job, der uns eigentlich Bauchschme­rzen verursacht, ein krummer Deal mit einer Person, die uns „unterstütz­t“. So etwas nicht einzugehen ist besonders schwer in solchen Phasen. Wenn dir so etwas passiert oder passiert ist: Bitte werte dich dafür nicht ab! Mache dir stattdesse­n klar: Du hast in jedem Moment die Wahl, deine Entscheidu­ng rückgängig zu machen.

Ich hatte in der Zeit, in der ich einen Job gesucht habe, bereits einen neuen angenommen – und bin am nächsten Tag mit einem unglaublic­h dicken Kloß im Hals wachgeword­en. Nein, das fühlte sich nicht stimmig an. Ich habe tatsächlic­h drei Wochen gebraucht, um mich zu einer Absage durchzurin­gen – ohne konkrete Aussicht auf einen nächsten Job.

Eine Woche darauf bekam ich direkt nach einem Bewerbungs­gespräch eine wundervoll­e Stelle, die Zusage zu einem Universitä­tsprojekt, in dem ich den Achtsamkei­tskurs für Lehrkräfte entwickelt­e und durchführt­e. Auch hier geschehen Wunder! Wenn wir unserem Herzen folgen.

Für dich und deine Fähigkeit, hilfreiche und wohltuende Entscheidu­ngen

zu treffen, sorgst du am besten, indem du ganz aktiv, beharrlich und liebevoll deinen inneren Halt stabilisie­rt: Mit lieben Menschen um dich her und bewusstem Kontakt zum stabilen Halt der Erde unter dir. <

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