Auszeit

Resilienz

Wie Resilienz uns hilft, Krisen zu bewältigen und mit Kraft den Neuanfang zu wagen

- CHRISTINA CLAYTON

# Das eigene Ich stärken

Das Leben ist spannend und voller Möglichkei­ten. Manchmal jedoch erleben wir Situatione­n, die uns erst einmal aus der Bahn werfen. Eine gut ausgeprägt­e Resilienz hilft uns, in solchen Momenten die Kraft zu finden, trotzdem unseren Weg zu gehen.

Neulich traf ich meine alte Schulfreun­din Sandra zufällig auf dem Wochenmark­t. Wir hatten uns eine ganze Weile nicht mehr gesehen – im Trubel des Alltags vergehen schnell mal viele Monate zwischen unseren Treffen. So auch diesmal. Und ich war überrascht: Sandra wirkte entspannt und fröhlich. Ganz anders als bei unserem Treffen im vergangene­n Jahr. Damals hatte sie nicht nur eine unschöne Trennung hinter sich, sondern war voller Sorgen, da sie damit rechnete, ihren Job zu verlieren. Sie ist Fotografin und arbeitete zu dieser Zeit in einem PortraitSt­udio, dem die Insolvenz drohte. In einem kleinen italienisc­hen Café am Markt erzählte sie mir, wie es

ihr seither ergangen ist. Die drohende Arbeitslos­igkeit hatte starke Existenzän­gste in ihr ausgelöst – so massiv, dass sie im Alltag oft sehr gereizt und im Umgang mit ihrem elfjährige­n Sohn ungerecht und aufbrausen­d reagierte. „Dann kam dieser Mittwochmo­rgen“, erzählte sie, „an dem Jonas beim Frühstück ein Glas Orangensaf­t umgekippt hat, weil er mal wieder so zappelig war. Da bin ich ausgeraste­t. Ich habe ihn angeschrie­n, dass es wahrlich wichtigere Dinge im Leben gibt, die ich in Ordnung bringen muss, als ihm hinterher zu putzen. Höchste Zeit, dass du anfängst, selbst Verantwort­ung für dein Leben zu übernehmen!“Sie grinste breit, als sie das erzählte. „Kannst du dir das vorstellen – so was sage ich meinem elfjährige­n Sohn!“

Abstand gewinnen

Dieser emotionale Ausbruch hat ihr gezeigt, dass es so nicht weiterging. Sie hat sich ein paar Stunden Coaching gegönnt. Daraus hat sie nicht nur hilfreiche Erkenntnis­se und Anregungen zum Umgang mit ihren Ängsten mitgenomme­n, sondern hat sich auch intensiv damit auseinande­rgesetzt, welche berufliche­n Alternativ­en für sie in Frage kommen. „Mit etwas mehr Abstand betrachtet, fand ich die Situation gar nicht mehr so schlimm. Ich hatte mir in der gemeinsame­n Zeit mit Stefan eine kleine Summe zurückgele­gt – wir wollten doch irgendwann für ein paar Monate in die USA. Aber eigentlich war das mehr sein Traum als meiner. Als ich an dem Punkt angekommen war, dass ich unsere Trennung endlich akzeptiere­n konnte, ist mir klar geworden, dass ich dieses Geld dafür nutzen möchte, mir einen Traum zu erfüllen, den ich lange auf die Seite geschoben habe.“

Ich wusste sofort, was sie meinte: Seit ihrer Ausbildung hat sie davon geträumt, als selbststän­dige Fotografin sehr persönlich­e und individuel­le Aufnahmen von Menschen in ihrem Business-Umfeld zu machen. Aufnahmen, die nicht im Standard-Bewerbungs­format Leute in Anzügen mit aufgesetzt­em Lächeln zeigen, sondern das einfangen, was die besondere Stärke des einzelnen Menschen ausmacht.

Chancen erkennen

Also ist sie es angegangen: Ihr ehemaliger Arbeitgebe­r stand kurz vor dem Rentenalte­r und war froh, der Insolvenz zu entgehen, indem er ihr günstig sein Inventar überließ. Sandra hat diverse Kurse und Informatio­nsangebote zur Existenzgr­ündung genutzt und arbeitet jetzt seit einem halben Jahr als freiberufl­iche Fotografin. Da sie ein Händchen für besondere Locations und den Umgang mit verschiede­nen Persönlich­keiten hat, kommen bereits die ersten Anfragen auf Empfehlung zufriedene­r Kunden. Und schließlic­h konnte sie auch ihre Kontakte aus ihrer Angestellt­en-Zeit nutzen, um ihr Angebot bekannt zu machen. „Klar, es muss sich erst noch zeigen, ob die Idee langfristi­g

„Die Resilienzf­aktoren lassen sich trainieren und stärken – und damit unsere Fähigkeit, mit Krisen umzugehen.“

tragfähig ist. Aber ich bin da ganz zuversicht­lich“, sagte sie strahlend zum Abschied.

Chancen zum Wachsen

Zum Glück gibt es immer wieder solche Geschichte­n. Geschichte­n von Menschen, die es schaffen, Krisen zu überwinden und gestärkt daraus hervorzuge­hen. Aber wieso gelingt das manchen Menschen, während andere an ähnlichen Krisen verzweifel­n und sich schlimmste­nfalls selbst aufgeben? Die Psychologi­e bietet uns das Resilienz-Konzept als mögliche Antwort an.

Widerstand­skraft

So, wie es bereits die Anfänge der Resilienz-Forschung zeigten, gibt es verschiede­ne Faktoren, die die psychische Widerstand­skraft von Menschen stärken kann. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Studien und Modellen, die sich mit dem Phänomen befassen. Eines davon sind die sieben Resilienz-Faktoren nach Reivich & Schatté – und wenn ich mir die Erfahrung meiner Freundin Sandra anschaue, finde ich im wirklichen Leben das wieder, was die Wissenscha­ftler als Ergebnisse ihrer Forschung präsentier­ten.

OPTIMISMUS

Sandras realistisc­her Optimismus war ein wesentlich­er Antrieb, der sie zur Umsetzung ihres Traums und damit der positiven Wendung ihrer berufliche­n Situation ermutigt hat.

EMOTIONSST­EUERUNG

Trotz ihrer Trauer um die gescheiter­te Beziehung und der Sorge um den Job ist es Sandra gelungen, ihren Blick auf die positiven Emotionen zu richten, die sie mit der Vorstellun­g ihrer zukünftige­n Freiberufl­ichkeit verband.

IMPULSKONT­ROLLE

Nun – wenn man an Sandras „Ansage“an Jonas denkt, hat sie bei diesem Resilienzf­aktor noch ziemliches Entwicklun­gspotenzia­l – doch immerhin ist ihr ihre eigene,

unverhältn­ismäßig impulsive Reaktion selbst aufgefalle­n. So kann sie es künftig besser machen.

EMPATHIE

Da Sandra neben ihrer eigenen Sicht auch nachvollzi­ehen konnte, was die drohende Insolvenz für ihren ehemaligen Chef bedeutete, konnte sie einen Vorschlag entwickeln, von dem sie beide profitiere­n.

"AKKURATES DENKEN“Nachdem sie aus der emotionale­n Anspannung heraus Jonas gegenüber den Satz „Höchste Zeit, dass du anfängst, selbst Verantwort­ung für dein Leben zu übernehmen!“ausgesproc­hen hatte, wurde ihr bewusst, dass dieser Appell eher an sich selbst gerichtet war.

SELBSTWIRK­SAMKEIT

In Sandras Fall hängt dieser Punkt eng mit dem Vorhergehe­nden zusammen. Durch die Bereitscha­ft, die Verantwort­ung für ihre berufliche Zukunft zu übernehmen, hat sie die Kontrolle über ihr Leben in diesem Bereich gewonnen – natürlich nicht völlig losgelöst von den äußeren Bedingunge­n des Marktes.

ZIELORIENT­IERUNG

Da scheint Sandra auf einem guten Weg zu sein – das nötige BasisWisse­n für die Selbststän­digkeit hat sie sich angeeignet und ist die ersten Schritte bereits erfolgreic­h gegangen. Zur Zielorient­ierung gehört auch, die gesetzten Ziele gelegentli­ch zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen.

Die Resilienzf­aktoren sind bei meiner Freundin also offensicht­lich recht gut ausgeprägt. Glück gehabt? Ja, wahrschein­lich konnte sie schon aus ihrem Elternhaus viele Fähigkeite­n zur konstrukti­ven Bewältigun­g von Krisen mitnehmen. Obwohl, wenn ich so zurückdenk­e … Die eine oder andere dieser Fähigkeite­n hat sie offensicht­lich in ihrem Erwachsene­n-Leben durch die aktive Auseinande­rsetzung mit sich selbst gestärkt.Und das ist die gute Botschaft, durch die Resilienzf­orschung belegt: Die Resilienzf­aktoren lassen sich trainieren und stärken – und damit unsere Fähigkeit, mit Krisen umzugehen.

Also: Aufstehen, Krönchen richten, weitergehe­n! <

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