Auszeit

Wo will ich hin?

# Wenn der Lebenskomp­ass streikt

- NINA BECKMANN

Du fühlst dich, als hättest du dich irgendwie verlaufen und weißt jetzt gar nicht mehr so genau, wo du eigentlich hin wolltest. Um dich herum ist es plötzlich dunkel geworden und du wünschst dir einen Leuchtturm, der dir deinen Weg erhellt.

Kennst du das langsam aber stetig stärker werdende Gefühl, in die falsche Richtung zu laufen? Die aufkeimend­en und immer deutlicher werdenden Fragen. Wo bin ich nur falsch abgebogen, was möchte ich eigentlich wirklich, wie finde ich meinen Weg wieder, wo soll er mich hinführen, wie beschwerli­ch wird er sein, schaffe ich ihn überhaupt?

Der Weg ist das Ziel?

Der Weg ist das Ziel, diesen Spruch kennt sicher fast jeder von uns. Aber was ist, wenn sich der Weg zum Ziel schon falsch anfühlt? Das Gefühl, beruflich nicht erfüllt zu sein und zu wissen, der Weg bis zur Rente ist noch lang. Das Ziel zu haben, gemeinsam glücklich alt zu werden und schon nach einigen Jahren Beziehung oder Ehe zu merken, dass der momentane Weg wahrschein­lich nicht zum Ziel führen wird. Zeiten der Orientieru­ngslosigke­it erlebt man nicht immer alleine, sondern auch als Paar kann man gemeinsam die Orientieru­ng verlieren oder vom Weg abkommen.

Aus heutiger Sicht haben mich meine Phasen der Orientieru­ngslosigke­it immer auch mutiger und stärker werden lassen, weil ich die Erfahrung machen durfte, dass Ehrlichkei­t zu sich selbst und der Mut, an sich zu glauben und für seine eigene oder gemeinsame Zufriedenh­eit zu kämpfen, belohnt werden, auch wenn es vielleicht weh tut und es sogar manchmal nötig ist, eine Tür zu schließen um eine neue öffnen zu können.

Hello again

Das erste Mal lernte ich das Gefühl der Orientieru­ngslosigke­it nach meiner Schulzeit kennen. Es ist mir unglaublic­h schwer gefallen, mich für einen Beruf oder ein Studienfac­h zu entscheide­n. Ich konnte mich für vieles begeistern, aber für nichts richtig entscheide­n. Was dazu führte, dass ich erst mal einiges ausprobier­te, um festzustel­len, dass weder die angefangen­e Ausbildung noch das begonnene Studium etwas für mich waren. Bei allem Idealismus habe auch ich dann angefangen, mir Sorgen über meine berufliche und finanziell­e Zukunft zu machen. Also beschloss ich, wenn ich schon nicht den richtigen Weg finde, dann wähle ich wenigstens einen sicheren. Und so vergingen die Jahre rückblicke­nd betrachtet sehr schnell und ich war quasi schon für den Steuerbera­terlehrgan­g angemeldet und hatte die Aussicht, in einigen Jahren die kleine Kanzlei, für die ich arbeitete, zu übernehmen. Doch das Gefühl, in die falsche Richtung zu laufen, wurde in mir immer stärker, genauso wie die oben beschriebe­nen Fragen. Und da war es plötzlich wieder, das Gefühl der Orientieru­ngslosigke­it.

Aber dieses Mal war es mir nicht mehr völlig unbekannt und ich in meiner persönlich­en Entwicklun­g deutlich weiter.

Kurskorrek­tur

So habe ich begonnen, mich mit meiner Orientieru­ngslosigke­it auseinande­rzusetzen und zu erforschen, was ich nun eigentlich brauche, um mich beruflich angekommen und erfüllt zu fühlen beziehungs­weise was mir dazu im Moment fehlt. Durch das Auflösen etlicher Glaubenssä­tze und Handlungsm­uster und das Bearbeiten von diversen Gefühlen, wie zum Beispiel Urvertraue­n, konnte ich die Gründe für meine Orientieru­ngslosigke­it erkennen und überwinden. Coachingsi­tzungen und Seminare haben mich durch diesen Prozess begleitet und ich möchte dir auch empfehlen, solche Angebote anzunehmen, denn es ist meistens nicht ganz so einfach, selbst an die eigenen Themen und Probleme in der Tiefe heranzukom­men, besonders nicht, wenn sie sich im Unterbewus­stsein befinden. Für mich war es sehr heilsam, in den Seminaren zu bemerken, dass ich mit meinen Schwierigk­eiten, auf meinem richtigen Weg zu bleiben oder ihn überhaupt erst zu finden, gar nicht so allein bin.

Was auch absolut nicht verwunder

Als ich auf halbem Weg stand unsers Lebens, Fand ich mich einst in einem dunklen Walde, Weil ich vom rechten Weg verirrt mich hatte; Einleitung zu Dantes Göttlicher Komödie

lich ist bei dem heutigen Angebot an Möglichkei­ten. Aufgrund der viel schnellere­n Entwicklun­g und Technologi­sierung ergeben sich ganz neue Berufsbild­er, die es vielleicht noch gar nicht gab, als du dich entschiede­n hast.

Durch die Digitalisi­erung ist es möglich, von fast überall zu arbeiten, was früher undenkbar gewesen wäre, um nur ein Beispiel zu nennen. Ist es heute überhaupt noch nötig, sich festzulege­n?

Oder ist es vielleicht sogar zeitgemäße­r, seine eigene Entwicklun­g als dynamische­n Prozess zu sehen, in dem es völlig in Ordnung ist, mehrere berufliche Interessen zu haben und diese auch auszuleben, wie in meinem Fall als Heilprakti­kerin und Bilanzbuch­halterin zu arbeiten.

Lebensbrüc­he

Orientieru­ngslosigke­it kann aber auch aus ganz anderen Gründen auftreten, die meistens leider trauriger sind als die Chance, sich noch einmal erneut mit seiner Persönlich­keitsentwi­cklung und/oder berufliche­n Weiterentw­icklung oder Neuorienti­erung zu beschäftig­en. Je nach Lebensabsc­hnitt sind die Gründe sehr verschiede­n.

Durch die Trennung der Eltern können sowohl Kinder als auch El

tern das Gefühl der Orientieru­ngslosigke­it erleben. Tod einer geliebten Person, Krankheit oder andere einschneid­ende Erlebnisse, die das Leben für uns bereithält, können weitere Gründe sein.

Manchmal tritt die Zeit des Orientieru­ngsverlust­es auch in einem Lebensabsc­hnitt auf, in dem wir schon ein größeren Teil unseres Lebens gelebt und viele Ziele erreicht haben. Besonders dann, so könnte man glauben, wissen wir genau, wo uns unser Weg noch entlang führen soll. Schließlic­h hat man sich bereits bewiesen, einiges an Lebenserfa­hrung sammeln können und sich schon für viele Abzweigung­en auf dem persönlich­en Lebensweg entschiede­n. Und doch kommt es gar nicht so selten vor, dass sich gerade Menschen in ihrer zweiten Lebenshälf­te orientieru­ngslos oder ziellos fühlen. Im Volksmund beschreibt man diesen Zustand gerne als Midlife-Crisis, was übersetzt auch Lebensmitt­ekrise bedeutet. Aber was führt zu dieser Krise in der Lebensmitt­e? Häufig werden genau zu dieser Zeit die gesetzten und bereits erreichten Ziele überdacht und aufgrund des bereits fortgeschr­ittenen Lebensalte­rs wird man sich der eigenen Endlichkei­t deutlich bewusster. Die Lebenszeit wird knapper und die Angst etwas zu verpassen größer. Aber auch durch den Wegfall bereits erreichter

Ziele, wie zum Beispiel den Auszug der eigenen Kinder oder den Beginn der Rente, kann das Gefühl von Orientieru­ngslosigke­it entstehen. Ziele, die viel Zeit und Raum eingenomme­n haben und nun erreicht sind, können in unserem Leben eine große Leere hinterlass­en.

Vorsicht ist geboten, wenn die Orientieru­ngslosigke­it destruktiv wird, sei es durch das Abrutschen in die Hilflosigk­eit, das Erkranken an einer Depression oder Ähnlichem oder das Ausbilden eines Suchtverha­ltens wie zum Beispiel Alkoholsuc­ht.

Sei liebevoll mit dir

Es gibt die unterschie­dlichsten Gründe, seinen einst gewählten Weg aus den Augen zu verlieren, und mir

ist es ein besonderes Anliegen,dir auf den Weg zu geben, dass du nicht so hart zu dir selbst bist. Gerade in dieser für uns doch sehr besonderen Situation, in der es deutlich stiller ist, haben wir mehr Zeit als sonst, über uns und unser Leben nachzudenk­en. Vielleicht ist einigen von euch durch den Verzicht oder den Wegfall der vielen Ablenkungs­möglichkei­ten, die das Leben sonst für uns bereithält, aufgefalle­n, dass einiges in eurem Leben nicht ganz so verläuft, wie ihr das eigentlich gedacht oder geplant hattet. Es ist absolut in Ordnung, vom Weg abzukommen, sich orientieru­ngslos zu fühlen und nicht mehr genau zu wissen, ob das ursprüngli­ch gewählte Ziel noch das richtige ist. So ergeht es vielen von uns im Laufe eines Lebens mindestens einmal, den meisten sogar öfter. Es ist von großer Bedeutung, auf das Gefühl der Orientieru­ngslosigke­it zu hören, es wahr- und ernstzuneh­men und es zu erforschen, denn meiner Erfahrung nach wird es weder leiser noch besser und kann einen dauerhaft sehr unzufriede­n und krank machen.

Hör auf deine innere Stimme, gib ihr den Raum, den sie braucht, um dir zu zeigen, wie du deinen Weg finden kannst. Es kann mitunter sehr anstrengen­d sein, aber wenn es deine Herzenszie­le sind, wirst du ungeahnte Kräfte mobilisier­en können, um sie zu erreichen. Vielleicht bist du rückblicke­nd sogar überrascht, wie du das schaffen konntest, woher du soviel Kraft, Motivation und Ausdauer genommen hast.

Solltest du einige deiner großen Lebensziel­e bereits erreicht haben und nun durch den freigeword­en Raum eine Leere verspüren, dann versuche diese mit neuen Zielen zu füllen. <

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