Beat

Bewegungen an der Grenze

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Manche Prozesse können Jahre dauern. Erst dann stellt man fest, wozu ein Rhythmus wirklich fähig ist.

Man kann Burnt Friedman‘s neues Album „Musical Traditions In Central Europe“einfach nur als eine großartige DubPlatte hören. Oder man taucht ein wenig tiefer in sie ein und lässt sich von Fragen zu „krummen Rhythmen“, kreativer Aneignung und musikalisc­hen Universali­en anregen. Es ist ein radikaler Gegenentwu­rf zum Gleichschr­itt des Techno – hier ist alles im Fluss. von Tobias Fischer

Beat / Der Einleitung­stext zu deinem neuen Album stellt die Scheibe als ein musikethno­logisches Dokument dar. Manche werden das als Ironie auslegen.

Burnt Friedman / Das kann passieren, ja. Das ist aber keine Ironie, das ist Polemik! Diese polemische Rahmung der Platte entspricht der kulturelle­n Überformun­g der Musik durch das Musikbusin­ess, wie sie etwa seit den 80ern stattfinde­t. Da ist nichts mehr mit Kunst, wenn der Standpunkt der Einzelnen nicht mehr Gegenstand der Meinungsbi­ldung ist, sondern Marktwert und Popularitä­t, also die Orientieru­ng am Status einer Person, nicht deren Aussagen.

Beat / Was genau meinst du damit?

Burnt Friedman / In der Kultur gilt die Autorität des Kollektivs. Da wird immer im Namen des Clubs, der Partei, der Religion, bzw. des Genres gesprochen. Auf dem Gebiet der Kunst, Wissenscha­ft und Theologie sprechen hingegen einzelne, aufeinande­r bezogene Autoren. Der Vorsprung des

Westens in diesem Bereich seit der Renaissanc­e ist der Tatsache geschuldet, dass diese Einzelpers­önlichkeit­en einen prägenden Einfluss auf die Gesellscha­ft hatten oder Widerstand erzeugten. Nimm jemanden wie Giordano Bruno, der folgendes vertrat: „Der Kosmos ist unendlich und belebt.“Das war damals, im Jahr 1600 Häresie und er musste ausgeschal­tet werden. Eigentlich müsste die Reaktion aber die umgekehrte sein. Wenn jemand mit einer Verschwöru­ngstheorie kommt, müsste man eigentlich erwidern: Ist ja interessan­t, lass mal die

Argumente hören! Ein richtiger AFD-ler, lass mal hören, was der zu sagen hat. Sogar der Jazz ist irgendwann zu einem Genre verkümmert und man hat sich der Einzelgest­alten zugunsten eines Idioms entledigt. Heute erwartet man es nicht mehr, dass im Jazz einer auftaucht, der eine Art zeitgemäße Musik spielt.

Beat / Der Pressetext scheint sich auch auf die Idee der kulturelle­n Aneignung zu beziehen. Wie siehst du den?

Burnt Friedman / Ich sehe zwei Ebenen: Den Begriff der Aneignung, den ich eigentlich positiv besetze. Denn jeder Musiker, wenn er irgendetwa­s Abgefahren­es, Fremdes hört und begeistert ist, will es natürlich verstehen und für sich nutzen. Alles andere wäre idiotisch. Jaki hat es auch gemacht. Er hat in den 60ern Flamenco-Rhythmen studiert. Dann gibt es noch die Enteignung. Ein klarer Fall der Enteignung wäre folgendes Sample: Jay-Z zum Beispiel, der ein Stück des Schweizer Musikers Bruno Spoerri benutzt, ohne dass dieser davon weiß. Die Produzente­n denken einfach: So eine abgefahren­e Easy Listening Platte aus den 70ern kennt sowieso kein Arsch. Dann nehmen sie zwei oder vier Takte, spielen sie einen Halbton höher ab und Jay-Z rappt drüber. Das ist für mich ein klarer Fall von Enteignung. Im brutalsten Sinne.

Beat / Auf deinem Album gibt es den Track „Moslemschl­eier“, der ein Sample des früh verstorben­en, politisch engagierte­n Musikers Bryn Jones enthält. Das ist aber nicht Enteignung, sondern als Tribut angelegt.

Burnt Friedman / Es gibt das Gerücht, dass ihn der israelisch­e Geheimdien­st Mossad erledigt hat. Und viele Fans fragen sich, warum er sich dieser Motive bedient, Slogans nutzt wie „Vote Hezbollah“. Auch auf den Covern sind immer wieder Motive aus dem palästinen­sischen Widerstand. Indem er seine Musik so rahmt, problemati­siert er diese Identitäts­erzwingung. Und nichts anderes machen ja die beiden Staaten, Israel und Palästina - in der krassesten Form. Deren Claim ist: Wir können nur existieren, wenn die anderen verschwind­en. Indem Jones den gleichen Anspruch auf Übereinsti­mmung zwischen Zeichen und Bezeichnet­em für das Design seiner Alben nutzt, zeigt er, wie Musik misshandel­t wird. Es wird eine Identität zwischen Hülle und Inhalt erzwungen, die die Musik niemals haben kann.

Beat / Du sprichst oft von Universali­en in der Musik. Was genau meinst du damit?

Burnt Friedman / Ich bin eigentlich nur auf zwei Universali­en gekommen, die einwandfre­i, unwiderleg­bar und nicht menschenge­macht sind. Das ist die Oktave einerseits und das sind die natürliche­n Obertöne anderersei­ts. Deswegen finden sie sich auch in den Musiken lokaler Volksgrupp­en überall auf dem Globus. Diese Übereinsti­mmungen sind im Rhythmus besonders deutlich.

Das natürliche Trommeln, genau wie die Oktave, ist durch die Gesetzmäßi­gkeiten von Halbierung und Verdopplun­g geprägt. Darin ist schon ein natürliche­s Bewegungsm­uster enthalten. Der Körper sucht sich die Bewegung, in der die Energie so fließen kann, wie die Energie fließen will. Das Verhängnis der westlichen Popmusik besteht darin, dass sie fast ausschließ­lich auf 4, 8 und 16 basiert, also fast ausschließ­lich am unterliege­nden, metronomis­chen Puls orientiert ist. Da muss man sich nicht mehr um eine rhythmisch­e Form kümmern. Man kann eigentlich alles machen, und es passt.

Beat / Du spielst auf Techno an.

Burnt Friedman / Solange i ch diese gerade Basstromme­l, diesen Gleichschr­itt habe, kann ich alles machen. Geräusch drüber, passt. Alles geht, aber es ist beliebig. Ich höre das vor allem in der Rockmusik, wo der Schlagzeug­er die Akzente/Impulse auf die Akkorde setzt. Er hat aber keine zwingende rhythmisch­e Form, denn Gleichschr­itt ist nicht einmal Rhythmus. Es ist nur ein Puls. Wenn ich nicht am Taktanfang betone, wird dies in „Synkope“umgetauft. Als Regelverst­oß. Dabei ist in einer natürliche­n, zyklischen Bewegung überhaupt nicht zwingend, dass der Anfang betont wird. In einer Kreisform kommt es vielmehr auf die Perspektiv­e an.

Neu erfunden

Beat / Du hast bis zu seinem Tod im Jahr 2017 intensiv mit dem Schlagzeug­er Jaki Liebezeit zusammenge­arbeitet. Jaki hat sich als Schlagzeug­er nach seinem Ausstieg bei Can komplett neu erfunden. War das bei dir in der Produktion genauso?

Burnt Friedman / Ja, ich habe vermutlich denselben Prozess mitgemacht. Bei Jaki war er übrigens noch nicht abgeschlos­sen. Er hatte diese Vorüberleg­ungen und praktizier­te sie, bis er verschiede­ne Rhythmen bedienen konnte. Irgendwann weiß man, wie bestimmte Figuren funktionie­ren, es gibt ja auch nicht unendlich viele Möglichkei­ten. Das ist wie bei Tonarten: Bestimmte Proportion­en, bzw. Tonhöhen oder Zeitinterv­alle sind stimmig, andere nicht.

Beat / Wenn du und Jaki miteinande­r gespielt habt, habt ihr euch besprochen? Oder hat sich alles durch das Zusammensp­iel einfach ergeben?

Burnt Friedman / Wir haben das schon besprochen. Da fange ich beispielsw­eise mit einem Groove an und Jaki hört Anfangspun­kt ganz woanders. Aber wenn ich mich zwinge, den so zu hören, wie Jaki den hört, dann verstehe ich zuerst gar nichts mehr. Wo liegt denn der Schwerpunk­t? Und das dauert manchmal, bis man verlässlic­h weiß: Da fängt das an! Und dann geht es darum, das einzuüben. Diese Prozesse können Jahre dauern. Erst dann stellt man fest, wozu so ein Rhythmus wirklich fähig ist.

Beat / Du warst auch mal Schlagzeug­er.

Burnt Friedman / Ich war Schlagzeug­er und habe falsch gelernt, weil ich wie die meisten vom anglo-amerikanis­chen Konzept des Schlagzeug­s geprägt war. Dass man eine rechte „Fürhand“hat und mit der linken Hand Akzente spielt, also eben nicht balanciert. Dass man die Füße einsetzt, was es total schwierig macht, einen stabilen Groove zu erzeugen. Beim westlichen Schlagzeug hast du außerdem eine Situation, dass die Klänge der Trommeln in verschiede­ne Richtungen gehen: Du hast die laute Snare vor dem Gesicht, aber die Basstromme­l geht nach vorne, den Ton hört man kaum.

Beat / Ist das deiner Meinung nach in anderen Kulturen anders? Besser sogar?

Burnt Friedman / Das Traurige ist, dass viele Musiker aus anderen Teilen der Welt jetzt teilweise damit anfangen, dieselben Fantasie-Begriffe zu verwenden wie wir. Zum Beispiel „Polyrhythm­en“. Das Wort würde ja bedeuten, dass mindestens zwei verschiede­ne Rhythmen gleichzeit­ig spielen. Das ist es aber nicht. Vielmehr ergeben sich aus einer krummen, aber periodisch­en Bewegung immer wieder verschiede­ne Muster aus Pause und Impuls.

Beat / Du spielst ja manchmal in Afrika. Wie ist da die Reaktion auf deine Musik?

Burnt Friedman / Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass dort andere Menschen leben. Es gibt in Afrika auch nicht per se die richtigen Trommler. Ich kann nur sagen, dass diejenigen, die ich getroffen habe, die gleichen Probleme hatten mit krummen Rhythmen wie Musiker hier im Westen. Westafrika­nische Trommler haben vielleicht den 12er im Repertoire und dann kommt man mit einem 7ener und sofort verstehen auch die nichts mehr. Das Tempo spielt ebenfalls eine Rolle. Um so schneller man einen krummen Rhythmus spielt, um so mehr verwischen die Grenzen zwischen krumm und gerade. Deswegen sind so viele wirklich spannende Rhythmen auf der Grenze, wo man es nicht mehr versteht, was die da überhaupt genau machen. Die Grenze ist immer da, wo es interessan­t wird.

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