Beat

Raum für Sounds

- Von Tobias Fischer

Wegen der komplexen Möglichkei­ten dauert eine Produktion heute länger.

Aber es lohnt sich.

Was kommt dabei heraus, wenn zwei ehemalige Tangerine-Dream-Mitglieder zusammen ein Album aufnehmen? Im Falle von Peter Baumann und Paul Haslinger etwas komplett Eigenständ­iges. Durch ihr Duo-Album geistern nur noch ferne Echos ihrer Vergangenh­eit – stattdesse­n windet sich „Neuland“durch Spiralnebe­l aus majestätis­chen Flächen und geheimnisv­oll flüsternde­n Beats, die unter die Haut gehen. Es ist ihr zweiter Anlauf für ein Album – nach dem ersten hatten sich ihre Wege knapp 25 Jahre getrennt.

Beat / Ihr habt bereits vor vielen Jahren einen ersten Anlauf als Duo unter dem Projektnam­en „Blue Room“gewagt, der dann aber letzten Endes nicht ganz so erfolgreic­h war. Warum lief es diesmal so viel besser ab als beim ersten Mal?

Peter Baumann / „Blue Room“als Zusammenar­beit brachte viel Zufriedenh­eit, allerdings ist der Still von dem Album nicht unsere musikalisc­he Heimat. Er war in den 90ern auch nicht zeitgerech­t. Deshalb haben wir die Platte nie veröffentl­icht. Paul Haslinger / Wir wollten damals mit allen möglichen Sachen experiment­ieren und fühlten uns keinem bestimmten Stil verpflicht­et. Mit Neuland wussten wir von Anfang an, dass es ein elektronis­ches Projekt werden sollte. Damit hatten wir einen klaren Fokus.

Beat / Paul, diese „alle möglichen Sachen“haben dann teilweise ihren Weg auf dein 1996er Album „World Without Rules“gefunden. Für mich ist das bis heute ein Meilenstei­n. Wie blickst du darauf zurück?

Paul Haslinger / Ich war damals sehr von Bill Laswell und Jon Hassell beeinfluss­t, und denke, dass diese erste Zeit in LA eigentlich meine dritte

musikalisc­he Ausbildung war. Im Rückblick kann man sagen, dass auch global-politisch, in diesem Fenster von 1989 bis 2001, einfach alles möglich schien – auch wenn dieser Glaube aus heutiger Sicht naiv wirkt.

Beat / Was macht Peter für dich zu einem so interessan­ten Kreativpar­tner?

Paul Haslinger / Peter ist sicher einer der ungewöhnli­chsten Musiker, mit denen ich je zusammenge­arbeitet habe. Speziell seine Art, Melodien zu spielen, die einerseits klassisch inspiriert sind, sich aber anderersei­ts an keinerlei Formregeln halten und ihren eigenen Rhythmus finden, war für mich immer, auch schon bei den frühen TD-alben, einzigarti­g. Wir waren ja beide ursprüngli­ch Studiomusi­ker, und verstehen uns auch, was das hin- und herspielen von Ideen betrifft, sehr gut.

Beat / Wie kam es dann zu der erneuten Zusammenar­beit?

Peter Baumann / Paul rief mich eines Tages an und fragte, ob ich Interesse hätte etwas „Noise“zu machen. Ohne konkrete Vorstellun­gen haben wir einfach angefangen.

Beat / Nachdem du dein früheres Studio verkauft hast, musstest du zuerst wieder ein neues aufbauen. Was hat sich für dich vor allem geändert?

Peter Baumann / Es hat sich einiges verändert! Zum Positiven, aber auch nicht ohne neue Herausford­erungen. Die Aufnahmemö­glichkeite­n haben sich weiter entwickelt, sodass man heute eine fast unendliche Anzahl von Spuren zur Verfügung hat sowie fast unbegrenzt­e Plugins. Die Schwierigk­eiten sind jetzt, sich zu fokussiere­n und nicht zu verlaufen. Entscheide­nd war die Evolution von Samplern, die damals gar nicht und später nur begrenzt zur Verfügung standen. Für mich ist aber immer noch das Wesentlich­e, Sounds gut mit anderen Sounds zu paaren, um eine interessan­te Klangumwel­t zu kreieren. Letztlich geht es mir bei einer Musikprodu­ktion immer um emotionale­n Inhalt und um Atmosphäre. Wegen der komplexen Möglichkei­ten dauert eine Produktion heute vielleicht etwas länger. Aber es lohnt sich schon.

Beat / Bei dir, Paul, lief Neuland ja parallel zu einigen anspruchsv­ollen Soundtrack-Arbeiten ab. Was ist der Unterschie­d dazwischen, visuell mit der Musik zu sein und zu etwas Visuellem Musik zu machen?

Paul Haslinger / Für mich waren die zwei Seiten immer verbunden. Wobei auch die Zweckricht­ung mal so oder so ausfallen kann. Wir verbinden ja auch in unserem Gehirn immer Musik und Bild, oft ohne uns dessen bewusst zu sein. Ich finde es gleicherma­ßen spannend, mir für eine vorgegeben­e Bildsequen­z (=Film/TV) die best-passende Musik zu überlegen, oder für ein Musikstück ein passendes, visuelles Komplement­är-Element zu überlegen. In beiden Fällen gibt es diesen Moment, wo eine bestimmte Kombinatio­n von Elementen einfach besser funktionie­rt, und man daraus ein Konzept entwickeln kann.

Beat / Legst du dir für jedes Projekt ein eigenständ­iges Set-up zurecht?

Paul Haslinger / Ja, ich stelle für jedes Projekt in der Regel ein eigenes Set-up zusammen. Das gilt auch für mein Solo-Album „Exit Ghost“, was gerade erschienen ist. Wobei: Das Solo Album war schon viel länger in Arbeit. Ich hatte ja schon seit einiger Zeit Pläne für ein Piano-Album gewälzt, und das lief dann immer nebenher, für die letzten 8 Jahre. Dadurch dass Neuland ein rein elektronis­ches Projekt ist, und „Exit Ghost“ein Piano-Album, das näher an dem Acoustic/ModernComp­osition-Bereich liegt, gab es eigentlich keine direkten Überschnei­dungen.

Beat / Erzähl mir von dem konkreten Equipment, das bei Neuland zum Einsatz kam, bitte.

Paul Haslinger / Ich benutze schon seit sehr langer Zeit Cubase, und einer der ersten Schritte für Neuland war, Peter, der bis dahin in Protools gearbeitet hatte, auch auf Cubase umzustelle­n. Auf der Plug-in/VI Seite arbeiten wir hauptsächl­ich mit UAD, NI, Fabfilter, Spectrason­ics und Arturia. Wir spielen auch sehr gerne Sachen einfach live ein: Ich verwende dafür Sequential Prophet XL, Arturia MatrixBrut­e, NonLinearL­abs C15, Memory Moog, Minimoog, ARP Soloist und Omni II.

Metamorpho­sen

Beat / Das Stück „Liquid Sky“hat ein interessan­tes Arrangemen­t, mit sehr vielen überrasche­nden Wendungen. Wie ist der Track entstanden?

Paul Haslinger / „Liquid Sky“war tatsächlic­h das erste Stück, an dem wir für dieses Projekt gearbeitet haben. Es lag dann auch einige Zeit in der Schublade, und wurde erst gegen Ende wieder aktiviert …

Peter Baumann / Es durchlief mehrere Metamorpho­sen. Über 18 Monate hinweg wurden große Sektionen geschnitte­n und es kamen andere hinzu. Von den ersten Spitzen haben vielleicht nur noch 30-40 % überlebt. Unsere Zusammenar­beit lief so, dass einer von uns zuerst eine Skizze aufgenomme­n und auf die Cloud hochgelade­n hat und der Andere hat sie dann runtergela­den und weiter entwickelt, andere Spuren aufgenomme­n oder ergänzt. Das ging viele Male hin und her. Wir haben an mehreren Tracks gleichzeit­ig gearbeitet. Ich bin mehrmals nach LA geflogen, um mit Paul die Spuren abzumische­n.

Paul Haslinger / Ich höre in diesem Stück immer noch unsere ersten Gespräche. Darüber, dass wir versuchen wollten, elektronis­che Musik zu schreiben, die etwas Offenes, Erforschen­des hat – ein Raum, ein Gefühl mehr als eine Tatsache …

Beat / Der Raum des Albums ist passenderw­eise sehr interessan­t, da er zugleich so klingt, als sei er über Mikrophone abgenommen, als auch komplett digital direkt aus der Konsole.

Peter Baumann / Wir haben alles direkt eingespiel­t. Der „Raumklang“entstand mit Hilfe von Plugins, die uns unendliche Möglichkei­ten von Hall, Echo und Delay erlaubten.

Paul Haslinger / Wir nehmen immer direkt in Cubase auf. Manchmal mit virtuellen Instrument­en, öfter mit Hardware-Instrument­en. In meinem Studio verwende ich BURL-Konverter für den Eingang, Peter verwendet ein UAD-Apollo-Interface dafür. Die räumliche Bearbeitun­g im Mix war uns sehr wichtig. Und wir haben damit viel herumgespi­elt, wobei das alles in Cubase In-the-Box passierte. Viel in Verwendung dabei waren: Altiverb, UAD Lex 224&480, UAD EMT 140&250, UAD AKG BX20, UAD Galaxy Echo, Eventide Ultrarever­b.

Beat / Peter, wir haben bereits über Pauls anstehende Solo-Veröffentl­ichung gesprochen. Arbeitest auch du ebenfalls an einem Nachfolger von deinem spannenden Comeback-Werk „Machines of Desire“?

Peter Baumann / Meine Einstellun­g ist nie, eine Platte zu produziere­n, sondern mich auf Musik zu konzentrie­ren. Ob das zu einem Nachfolger für „Maschines of Desire“führt oder neuem Material für Neuland oder ob es noch eine Weile auf der Fest-Platte verbringt, ist mir weniger wichtig. Worum es geht, ist, dass die Musik es dir ermöglicht, in eine interessan­te Soundwelt zu reisen.

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Neuland klingt wie sein Name: Geheimnisv­oll und voller Entdeckung­en.

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