Pianobook Minispezial
Freie Blockbuster-Instrumente für alle
Pianobook … das klingt erstmal nach trockener Kost, doch weit gefehlt! Spitfire Audio Mitgründer Christian Henson hat sich mit diesem Projekt den Wunsch nach einer Community erfüllt, in der aufwendig gesampelte Instrumente gesammelt und für alle zur Verfügung gestellt werden. Kostenlos und Open-Source. Wie es dazu kam und – vor allem – warum die Instrumente ein echter „Hinhörer“für zeitgemäße Produktionen sind, erläutern wir gleich …
Kaum ein Instrument ist so zeitlos und flexibel einsetzbar wie ein Piano. Diese Instrumenten-Gattung existiert schon seit einer halben Ewigkeit und hat nie ihren Charme verloren. Im Gegenteil, Pianos sind präsenter denn je und in beinah jedem Genre zu finden. Kein Wunder, denn sie haben einen mächtigen Grundklang über alle Oktaven und eignen sich sowohl als starkes Bassfundament für Hip-Hop oder Trip-Hop, als auch für zuckersüße Melodien in Trance und Chillout aller Art. Von traditionelleren Genres wie Pop und Klassik noch ganz abgesehen. Möchte man eine Melodie austesten, macht man mit einem Piano als Grundsound generell nie etwas falsch.
Pianos als Passion
Für den Christian Henson sind sie aber noch mehr als nur universell einsetzbare Instrumente, für ihn sind sie eine wahre Passion und Quell endloser Inspiration. Zwei Eigenschaften, die er mit der Welt teilen möchte und wofür er das Pianobook gegründet hat. Doch er ging sogar noch einen Schritt weiter: „Ich schlug irgendwann vor, dass auch die Community eigene Samples für diese Library beisteuern könnte. Es sollte aber kein kommerzielles Projekt werden. Es ist also kostenlos, damit alle Leute teilhaben können! Man muss sich nicht einmal anmelden, um etwas herunterladen zu können. Ich denke auch, dies ist der einzige Weg, das Ganze zu gestalten. Man muss es kostenlos für alle machen und nicht immer überprüfen, wer was und wieviel zum Ganzen beiträgt. Ich wollte aber, dass sich die Leute gegenseitig helfen diese Library zu erschaffen. Nicht jeder hat Zugang zu einem Klavier und nicht jeder kann unbedingt für EXS oder Kontakt programmieren.“
Unvollkommenheit als Zweck
Und der Plan ging auf, denn auf seiner Plattform warten mittlerweile satte 130 Instrumente darauf, Platz in Ihrer nächsten Produktion zu finden. Dabei gibt es dort neben den klinisch sauber gesampelten Pianos auch eine Menge so genannter „Prepared Pianos“, also modifizierte Varianten, von denen teilweise nur die Saiten oder Hammerschläge aufgenommen wurden. Für Henson macht gerade das den Reiz aus: „Wenn du dir all die großen Sänger der Welt anhörst – alle haben irgendwo einen kleinen Fehler oder eine Ungenauigkeit und gerade das lässt dich aufhorchen. Das gibt es auch bei Instrumenten. Es sind diese kleinen Unvollkommenheiten, die man eigentlich bei Sampeln versucht zu umgehen oder zu verhindern. Aber diese Besonderheiten machen es eigentlich aus! Warum sonst z. B. spielt man heute noch 200 oder 300 Jahre alte Violinen?“
Starter-Pack als Download
Zum Durchstarten haben wir eine satte Best-ofSammlung der Pianos für Sie als virtuelle Bonus-DVD kompiliert. Fühlen Sie sich eingeladen, die Instrumente mit all ihren kleinen Eigenheiten in ihren künftigen Produktionen einzusetzen. Und wer weiß, vielleicht haben Sie zuhause auch ein Piano, das bald Teil der Community werden kann?
Thomas / Erzähl uns ein bisschen über Dich! Was machst Du eigentlich so alles?
Christian / Ich wollte schon immer Filmkomponist werden, aber ich hatte weder eine musikalische Ausbildung, noch hatte ich studiert. Ich konnte keine Noten lesen und hatte keine Ahnung vom Orchestrieren. Ich dachte nicht, dass ich es schaffen würde Komponist zu werden. Aber das Arbeiten mit Samples und der ganzen Technologie drum herum konnte man sich selbst beibringen. Durch das Programmieren von Playbacks und als Musiker in Coverbands begann ich dann schließlich auch mit Komponisten zusammenzuarbeiten. Das war gerade zu der Zeit, als man begann, elektronische Elemente, wie Drumbeats zusammen mit orchestraler Musik zu verwenden. In dieser Zeit machte ich auch viel Drum’n’Bass und weil ich ein ganz guter Programmierer war und es Bedarf an diesen Fähigkeiten gab, arbeitete ich immer mehr mit Komponisten zusammen. (…) Ich bekam dann irgendwann mal einen kurzen Filmausschnitt, den ich vertonen sollte. Als das ganz gut klappte, wurde es immer mehr. (…) Ich bin zur Filmmusik im Prinzip über das Programmieren für andere Komponisten gekommen. Ich musste dann aber versuchen, mir sehr schnell alles weitere über das Orchestrieren beizubringen, also kaufte ich Samples von Orchesterinstrumenten und habe versucht zu verstehen, wie alles funktioniert. (…) Seitdem habe ich etwa 50 orchestrale Filmmusiken geschrieben, ohne Noten lesen zu können. Allerdings hatte ich dabei auch einige sehr peinliche Erlebnisse als Dirigent. Ich war immer auf Samples angewiesen, mochte aber die Tools, die es gab, nicht besonders. Auch die Art der Samples und wie sie gemacht waren, gefiel mir nicht. Dann lernte ich Paul Thompson kennen (der zweite Mann hinter Spitfire Audio), und wir haben begonnen, für uns und unsere Freunde unsere eigenen Samples zu erstellen. Es stellte sich heraus, dass unsere Samples sehr gut waren. Daraus entstand vor rund 10 Jahren Spitfire Audio mit mittlerweile hunderttausenden Nutzern weltweit.
Thomas / Du bist also heute ein Komponist und ein erfolgreicher Geschäftsmann. Jetzt hast Du auch noch Pianobook ins Leben gerufen. Wie ist es dazu gekommen?
Christian / Spitfire wurde immer größer. Wir waren zuerst nur zu zweit und heute sind wir rund 70 Leute! Irgendwann fiel mir auf, dass meine ganze kreative Energie brach lag. Ich schrieb also viele Mails mit immer neuen Ideen an meine Mitarbeiter, was Spitfire alles noch machen könnte. Unser damaliger Marketing Manager, der heute unser CEO ist, sagte zu mir, ich solle aufhören, diese ganzen tollen Ideen an alle zu schicken. Wir könnten nicht alles machen! Er meinte, ich bräuchte ein anderes kreatives Ventil und schlug vor, dass ich einen YouTube Kanal starten sollte. Ich hatte auch schon einige Ideen dazu: (…) Anfangs habe ich den Zuschauern Ratschläge gegeben, z. B. zum Sampeln. Dann kam die Idee, dass ich meine ganz persönliche Sample Library erstellen könnte und dabei die Zuschauer ganz offen am Prozess teilhaben lasse. Und aus dieser Idee entwickelte sich dann diese verrückte Community „Pianobook“.
Thomas / Trotz des Namens geht es ja nicht mehr nur um Pianos, doch die Idee entstand rund um das Klavier, oder?
Christian / Ich wollte das Verfahren zum Sampeln erst einmal standardisieren und es dabei einfach halten. Beim Klavier drückt man eine Taste und es spielt vorerst keine große Rolle, ob du das etwas ungleichmäßig tust. Im Gegenteil: ich habe herausgefunden, dass es das Ganze eher realistischer macht, wenn es ungenauer wird. Deswegen dachte ich, das Klavier wäre ein guter Anfang.
Thomas / Gibt es aber nicht schon genug professionell gesampelte Pianos?
Christian / Naja …, die Leute machen beim professionellen Sampeln von Pianos oft einen Fehler: das virtuelle Instrument soll später möglichst universell einsetzbar sein. Im Gegensatz dazu läuft es bei der Aufnahme von Musik anders: Man sucht sich speziell für die Bedürfnisse dieses Musikstücks z. B. den Violinisten aus und wählt die passende Geige, den Raum für die Aufnahme und die Mikrofone. Und so mache ich es auch beim Aufnehmen von Samples. Ich nehme sie auf, wie Musik. Passend zu der Idee, wie ich sie später verwenden möchte.
Thomas / Es scheint sich aber in der letzten Zeit etwas von Pianos zu entfernen, es werden eher Pads und solche Sachen hochgeladen?
Christian / Das ist doch großartig, darum geht es doch! Als ich einmal in den Highlands von Schottland unterwegs war, habe ich dort ein altes rostiges Tor entdeckt. Es hat diesen unglaublichen Klang erzeugt und ich habe ihn aufgenommen. Und das ist es, was ich beim Sampling so spannend finde: Man glaubt zu wissen, wie es wird, aber man weiß es doch nie! Das ist die Magie des Sampelns. Manchmal sind es die Aufnahmen von Klängen, aus denen etwas Tolles wird, obwohl man es nie gedacht hat. Ich war also ganz arrogant der Meinung, dieses „Rusty Gate“wird großartig klingen und nahm es mit ins Studio. Aber es klang einfach nur „scheiße“, denn es war eben doch nur ein rostiges Tor! Aber dann habe ich die Pianobook Community gefragt, ob sie dieses Geräusch in einen guten Klang verwandeln könnten. Ich habe einen Wettbewerb daraus gemacht. Und zwei Wochen später hatte ich 400 unterschiedliche und tolle „Rusty-Gate-Klänge“, die ich mir anhören konnte… Da hatte ich echt etwas losgetreten!
Thomas / Was ist das reizvolle eines unvollkommenen Samples im Vergleich zu professionellen Libraries?
Christian / Wenn man seine Sachen selbst macht, dann muss es ja auch nicht kommerziell und glattgeschliffen sein. Es ist eher wie ein echtes Brot eines echten Bäckers. Es kann knusprig sein, erdig, interessant und ungewöhnlich im Geschmack… Das ist meine Leidenschaft, die für mich hinter Pianobook steckt. Ólafur (Ólafur Arnalds, ein isländischer Musiker) beschrieb es einmal so: „Als Komponist kontrolliere ich nicht mehr nur, wie mein Teppich gewebt wird, ich kontrolliere auch die Beschaffenheit und Form jedes einzelnen Fadens!“Für mich ist es einfach eine tolle und interessante neue Art über all das nachzudenken! Wenn die DNA unserer Musik unsere Sounds sind, denke ich, dass es gut ist, den Genpool frisch zu halten.
Thomas / Wo siehst Du Pianobook in einigen Jahren?
Christian / Ich sehe zurzeit zwei mögliche Wege, die Pianobook nehmen könnte: Zum einen könnte man aus allen bereitgestellten Instrumenten einmal pro Jahr einige von der Community auswählen lassen und diese in einem kommerziellen Produkt verkaufen. Vielleicht würde man dann auch diese Instrumente noch einmal etwas aufwendiger und feiner neu sampeln?! Das würde die Leute vielleicht sogar noch etwas mehr motivieren, Pianos zu sampeln, wenn man damit auch Geld verdienen könnte. Oder man würde zumindest einen Teil der Einkünfte auch wieder zurück in die Community fließen lassen. Darüber denke ich gerade nach. Man muss dabei aber vorsichtig sein! Es soll auch gleichzeitig ein kostenloses Open Source Projekt bleiben! Eine andere Sache, die ich sehr, sehr gerne machen würde ist Folgende: Einige der Demotracks zu den Instrumenten auf Pianobook sind wirklich gut! Wäre es nicht toll, eine Firma zu gründen, bei der sich alles nur um Klaviermusik dreht? Wäre es nicht cool, wenn du als ein Regisseur dort ein Musikstück findest, was dir gefällt, und du dann aber die Möglichkeit hättest, dir das Piano auszusuchen, das diesen Track spielt?