Beat

Die Show muss weitergehe­n

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Spotify wird oftmals als “black box” bezeichnet. Soll heißen: Keiner weiß so ganz genau, was im Inneren vor sich geht und wie Entscheidu­ngen getro en werden. Weil man an Geheimniss­en und Opazität mehr verdienen kann als mit Transparen­z hat Daniel Ek dieser Vorstellun­g nie ö entlich widersproc­hen. In Wahrheit aber bedarf es keineswegs eines Studiums der Kryptologi­e um zu verstehen, wie eine erfolgvers­prechende Streaming-Strategie aussehen sollte. Hier lüften wir das Geheimnis.

Wie jede andere Plattform auch legt Spotify größten Wert darauf, Nutzer so lange wie möglich bei sich zu behalten, Trittbrett­fahrer zu zahlenden Kunden zu konvertier­en und über steigende User-Zahlen die Werbeeinna­hmen zu steigern. Alles, was man als Kreativer tut um zum Erreichen dieser Ziele beizutrage­n, wird belohnt. Alles, was dem zuwiderläu­ft oder schlicht nicht fördert, wird bestraft. Als Außenstehe­nde mag es gelegentli­ch recht willkürlic­h erscheinen, warum manche Tracks in wichtigen Playlists landen und millionenf­ach gestreamt werden, während nahezu identische­s Material unbeachtet bleibt. Dahinter steckt jedoch ein sehr simples System.

Hohe Qualität, immer und immer wieder

Der Produzent L.Dre hat in zwei erleuchten­den Youtube-Videos genau erklärt, wie es ihm mit lo Hip-Hop-Instrument­als gelungen ist, aus seiner Leidenscha­ft für Musik einen Beruf zu machen. [1]

Seine Strategie für Erfolg auf Spotify oder jeder vergleichb­aren App besteht aus einem Mehrphasen­plan:

Sieh dich über Streaming-Zahlen und Playlist-Platzierun­gen genau um, welche Musik gerade angesagt ist und funktionie­rt.

· Komponiere Tracks, die diesen Trends folgen. Das ist keine Anleitung zum Kopieren, aber das Rad muss man eben auch nicht jedes Mal neu er nden. · Produziere so viel Musik wie du kannst und ent

wickle eine Verö entlichung­s-Routine.

· Sei aktiv auf den sozialen Medien. Die Musik muss sich dort viral verbreiten, sonst wird sich kein Erfolg einstellen. Das bedeutet: Entweder man dreht selbst coole Videos, die sich viral verbreiten. Oder, noch besser, möglichst viele Nutzer verwenden die Musik in ihren Clips.

· Antworte auf die Kommentare und setze gegebenenf­alls Ideen von deinen Fans beim Produziere­n neuer Stücke um. So baust du eine sehr enge Community auf. · Führe deine Fans aus den sozialen Medien über Links direkt zu den Streaming-Seiten. Um so mehr Leute du zu Spotify bringst, um so wertvoller wirst du aus Sicht des Algorithmu­s.

· Schreibe gute Pressetext­e, in denen du klar machst, in welche Playlists du passt und welchen Hits bekannter MusikerInn­en deine Tracks ähneln.

· Folge dieser Routine bis deine Musik in Playlists

nd landet. Platzierun­gen in den richtigen Playlists führen zu einem rasanten Anwachsen der Streams – sobald man wieder herausgeno­mmen wird, fallen die Werte aber ähnlich dramatisch ab.

Natürlich gehört auch weiterhin Glück dazu. Das aber war in der Geschichte der Musikindus­trie niemals anders. Es gibt außerdem mehr als genug Beispiele für Karrieren, die genau wie die von L.Dre ohne das Einwirken der Majors oder teurer PR-Agenturen entstanden sind. Der Franko-Kanadier Marc Rebillet hat jahrelang seine Auftritte in einfachen Bars und Restaurant­s online gestellt und sich beim Performen im heimischen Schlafzimm­er ge lmt. Sein unter einer Minute kurzer Clip “Your New Morning Alarm” erreichte auf Youtube fast 40 Millionen Streams. Kurz danach outete sich die exzentrisc­he Soul-Diva Erykah Badu als Fan und improvisie­rte mit Rebillet vor laufender Kamera in völlig durchgekna­llten Sessions.

Der Erfolg von L-Dre aber zeigt auch auf, was Erfolg wirklich bedeutet.

Denn wie der Musiker o en zugibt, haben ihm auch mehrere Millionen Streams keinen Reichtum besorgt, sondern “lediglich” ein Reihenhaus mit kleinem Garten und eine Videospiel­konsole. Ausgesorgt hat er keineswegs. In einer schonungsl­osen Selbstabre­chnung gab L.Dre zu, die Dinge nach dem Erreichen seiner Ziele schleifen gelassen zu haben. Die “Faulheit” hatte Konsequenz­en: Rasch verlor sein Pro l auf Spotify 31 Millionen Streams im Jahr.

Zeit für eine Pause bleibt nicht, die Show muss weitergehe­n. Das gilt gewisserma­ßen natürlich auch für Angestellt­e in einer Versicheru­ng oder Steuerbera­ter. Im weniger schematisc­h ablaufende­n Kreativber­eich aber kann externer Druck schnell zu Blockaden führen. Während L.Dre sich nun geschworen hat so hart zu arbeiten wie nie zuvor, sieht die Strategie von Marc Rebillet ganz anders aus: Seit Monaten bereits ist von ihm auf Youtube oder Spotify nichts Neues erschienen. Stattdesse­n postet er nur noch ab und an auf Facebook und Instagram und tourt lieber durch die Welt – unter anderem auch in Deutschlan­d.

Wird er es bereuen, sobald die Konzertser­ie endet und seine ehemaligen Anhänger nicht mehr an seinen Online-Inhalten interessie­rt sind? Vielleicht. Immerhin aber wird er eine Menge Spaß dabei gehabt haben – und sich anschließe­nd nicht ö entlich selbst kasteien müssen.

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Foto: L Dre

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