Gebt uns die Kontrolle zurück!
Seit knapp zehn Jahren haben sich die Technologien, die Streaming ermöglichen und sinnvoll nutzbar machen, stetig verbessert. Grundlegend geändert hat sich am Erlebnis aber sehr wenig. Im direkten Vergleich mit Plattenläden, Clubs und Radio wirken die Streaming-Dienste der Gegenwart immer noch wie Suchmaschinen – kühl, unemotional und ohne den eigentlich so wichtigen Blick über den Tellerrand. Einige Umdenker meinen, dass die Zeit für neue Ideen gekommen ist.
Eine der Ideen, Streaming spannender zu machen, ist das Bedienen von Super-Fans. Das macht Sinn, denn es waren auch in den fetten Jahren der Musikindustrie stets einige wenige, die für den größten Teil der Umsätze verantwortlich waren. Schon jetzt wird diese Zielgruppe mit VIP-Tickets, verschiedenfarbigen Vinyl-LPs des selben Albums oder Deluxe-Editionen angesprochen. Weiter gehen Dienste wie Vault beziehungsweise bandcamp Exclusives. Bei diesen Abo-Diensten werden ganz gezielt Archivaufnahmen und anderweitig unverö entlichtes Bonusmaterial zum Download bereitgestellt – Musik also, die es aus unterschiedlichen Gründen nie auf die üblichen Kanäle geschafft hat. Die Ausgestaltung dieser Konzepts bleibt exibel den jeweiligen Artists überlassen und reicht vom schnellen Herunterladen des Materials bis hin zu langfristigen Künstler-Hörer-Beziehungen. [1]
Diesen Gedanken treibt die Plattform sonu. stream noch ein wenig weiter. Künstler können hier exklusives Material einstellen, streamen und über Blockchain-Technologie verkaufen. Der Clou: Es kann stets nur eine aktuelle Besitzerin geben. Nach dem Verkauf teilen sich KünstlerIn und BesitzerIn die Streaming-Einnahmen auf der Plattform – so werden Super-Fans zu MäzenInnen und UnternehmerInnen gleichzeitig und teilen sich mit ihren Lieblings-ProduzentInnen den Erfolg. Das Konzept ist so elegant und o ensichtlich attraktiv, dass es sich geradezu dazu anbietet, von einer der großen Plattformen abgekupfert zu werden. [2]
Marine Snow wiederum richtet sich weniger an Superfans als an Entdeckungsfreudige. Die Plattform setzt sich mit zwei Problemen des Spotify-Zeitalters auseinander: Es gibt (erstens) einfach zu viel Musik und trotzdem (zweitens) scheinen alle nur das selbe hören zu wollen. In Marine Snow hingegen bleiben die exklusiven Tracls stets nur 90 Tage anspielbar, danach stehen sie nicht mehr zur Verfügung. So entsteht eine ständige Rotation, die einem wieder ein Gefühl von Vorwärtsbewegung und Veränderung vermittelt. Die unkonventionelle Benutzerober äche bedient sich bei der Ästhetik
Kein noch so kreativer Ansatz wird ernsthaft die schlechte Zahlungsmoral der Streamer beseitigen. «
und Logik von Videospielkonzepten – man muss das nicht mögen, aber immerhin die Kreativität dahinter bewundern. [3]
Finanzen hinterfragen
Marine Snow arbeitet mit einem ungewöhnlichen Ansatz zur Künstlerkompensation: Diejenigen, die für die App ausgewählt werden, erhalten einen Betrag von 1,500 Euro, was ungefähr einem Volumen von 500,000 Spotify Streams in den USA entspricht. Durchsetzen wird sich das im Mainstream wohl kaum. Als Impuls, die Finanzen des Streamings zu hinterfragen aber ist es eine der interessantesten Ideen, die in den letzten Jahren vorgeschlagen wurde.
Es ist immer noch kein Allgemeinwissen, dass MusikerInnen lediglich ihren Anteil am gesamten Streaming-Volumen ausgezahlt bekommen. Wenn man beispielsweise 500,000 Streams für einen Song erreicht hat, berechnet Spotify das Verhältnis dieses Werts zu der Gesamtmenge an Streams auf der Plattform – dieser bildet dann die Basis für die Auszahlungen. Der einfachste Ansatz zu einer Veränderung bestünde sicherlich darin, zu einem Modell überzugehen, bei dem KünstlerInnen pro Stream bezahlt werden. Dann erhielte man auch wirklich das ausgezahlt, was einem zusteht.
Alternativ könnte auch pro Hördauer entlohnt werden, was die grassierende Tendenz zu immer kürzeren Songs eindämmen und vielleicht sogar die Rückkehr zu längeren Formaten einläuten könnte. Interessant ist auch der Gedanke, diejenigen Streams höher zu bewerten, die nicht über Playlists gestreamt werden, sondern aus direkten Besuchen auf den Künstlerpro len entstehen – auch hier also eine Fokussierung auf Fans und “aktive” Hörer statt passive Hintergrundberieselung. Radikaler da schon der Vorschlag, der monatliche Grundbetrag solle nur eine bestimmte Anzahl an Streams decken – wer mehr hören möchte, sollte wie bei einem überschrittenen Datenvolumen beim Mobilfunkanbieter Minuten hinzukaufen. [4]
Keine der genannten Ansätze wird ernsthaft die schlechte Zahlungsmoral der Streamer beseitigen. Darum ist es erstaunlich, dass nicht mehr Labels dem Vorbild von Catalytic Sound Stream folgen. Hierbei haben sich einige Labels und Künstler aus dem experimentellen Jazz-Bereich zusammengeschlossen und eine App programmiert, über die man sich den geteilten Katalog erschließen kann. Ab einem monatlichen Betrag von 5 Euro kann man hier Teil eines Kollektivs werden und die teilnehmenden Acts direkt unterstützen. Teurere Fan-Pakete bieten Video-Optionen und physische Produkte. [5]
Auf breiter Basis angewandt würde dieser Ansatz natürlich zu einer Zersplitterung des Marktes führen. Immerhin aber kehrte die Kontrolle wieder dorthin zurückkehren, wo sie hingehört: In die Hände derjenigen, die mit der Musik das Produkt erscha en, auf dem diese Industrie überhaupt erst aufgebaut wurde. .