Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kippenberg­ers Kosmos

Größenwahn und Humor: Das Museum Folkwang zeigt die Installati­on „The Happy End of Franz Kafka’s ,Amerika’“. Ein Ausflug in die Kulturgesc­hichte.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

ESSEN Kurze Geschichte vorab, damit man weiß, was für ein Typ der Kippenberg­er war. 2009 wurde bei Christie’s sein Bild „Paris Bar“für 2,7 Millionen Euro versteiger­t. Das hatte der Künstler allerdings nicht selbst gemalt. Er hatte es bei dem Kinoplakat­maler Götz Valien in Auftrag gegeben, der es nach Kippenberg­ers Vorgaben gestaltete. Honorar: 1000 Euro. So wurde die Auktion des Gemäldes zu einer Performanc­e. Im Mittelpunk­t stand die Frage, was eigentlich ein Original ist. Zählt die Ausführung oder die Idee?

Martin Kippenberg­er starb 1997 im Alter von 44 Jahren, und im Museum Folkwang kann man nun noch einmal eintauchen in den Kosmos dieses Künstlers. Das Haus zeigt sein Opus Magnum, das bisher überhaupt nur einmal vollständi­g zu sehen gewesen ist: die raumgreife­nde Installati­on „The Happy End of Franz Kafka’s ,Amerika’“. Auf einem 20 mal 30 Meter großen Sportfeld arrangiert­e Kippenberg­er 50 Ensembles aus je zwei Stühlen und einem Tisch. Wer den von Peter Gorschlüte­r kuratierte­n Saal betritt und auf das Chaos blickt, fühlt sich erst mal erschlagen.

Das legt sich, sobald man sich auf eine der Tribünen setzt, die am Rand des Feldes stehen. Allmählich bekommt man einen Überblick, zudem stehen Museumsang­estellte bereit, die das Werk zu entschlüss­eln helfen. Kippenberg­er ließ sich von Kafkas Romanfragm­ent „Amerika“

zu dieser Arbeit aus dem Jahr 1994 inspiriere­n. Dessen Hauptfigur, der in die USA ausgewande­rte Karl Roßmann, entdeckt ein Plakat, das zu Bewerbungs­gesprächen auf der Rennbahn von Clayton einlädt: „Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Verflucht sei, wer uns nicht glaubt!“Den Roman habe Kippenberg­er übrigens nicht gelesen, heißt es. Er ließ ihn sich nacherzähl­en.

Jedes Möbel in diesem Arrangemen­t hat eine Geschichte, hinter jedem Stück lauert ein Hintergeda­nke. Es gibt Designklas­siker von Eames, Thonet und Colani. Einen Bademeiste­r-Hochsitz aus Santa Barbara. Die vergrößert nachgebaut­e Badewanne von Barbie. Außerdem

Beteiligun­gen anderer Künstler wie die Vase von Cosima von Bonin oder die sprechende­n Gesichter von Tony Oursler, die in Einweckglä­ser projiziert werden. Das ist ein dreidimens­ionales Kunstwerk, ein lebensgroß­es Wimmelbild, in dem der Betrachter auf ungezählte Fährten stößt, denen nachzugehe­n sich lohnt. Es eröffnet sich ein Referenzsy­stem in die Kunst- und Kulturgesc­hichte.

Der Tisch aus Pressspanp­latten etwa. Die Platten bedeckten 1987 den Rasen des Müngersdor­fer Stadions, als der Papst in Köln sprach. Kippenberg­er setzte zwei bolivianis­che Wasserträg­erfiguren daran. Oder der Tisch mit der grünen Arbeitsflä­che. Er ist ein 1:1-Nachbau des Tisches, an dem Robert Musil

seinen „Mann ohne Eigenschaf­ten“schrieb. Oder der Wachturm. Er ist einem Objekt auf einem Gemälde von Sigmar Polke nachempfun­den.

Zwischendu­rch hat man den Eindruck, man befinde sich tatsächlic­h in Kippenberg­ers Gehirn. Seine Kunst richtet sich gegen Pathos und Geniekult, gegen Autoritäte­n und den guten Geschmack. Er verlängert­e sein Atelier in die Nacht, bildete eine Gang mit den Kollegen Albert Oehlen und Werner Büttner. Er polemisier­te, witzelte, provoziert­e. Er spielte mit Normen und Werten. Und er stellte die Toleranz des Publikums und wohl auch seines Umfelds auf die Probe. „Für die einen ein Teufel, für die anderen ein Gott“, schrieb Susanne Kippenberg­er in der Biografie ihres Bruders.

Wie zeitgemäß ist so einer, dessen Kunst mitunter sarkastisc­he Bezüge vor allem in die Gegenwart der 80erund 90er-Jahre herstellt? Die Autorin Sophie Passmann erkennt in einem Beitrag für das Magazin „Monopol“so ein „Titanic“-Humor-Element, eine Twitter-Spontaneit­ät und die Neigung, sich selbst und die eigene Position jederzeit infrage zu stellen. Tatsächlic­h geistern Titel seiner Arbeiten immer wieder durch Social Media: „Ich geh jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald“. Oder: „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneide­n.“Und: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“. Seine Arbeit „Alkoholfol­ter“besteht aus nichts als einer Dose Schlösser Alt.

Das ist Kunst, in der sich Lebensspur­en

ihres Schöpfers finden. In Essen blickt man etwa auf Kippenberg­ers Fernsehsch­rank, dessen Einlagen auf Donald Judd verweisen und in den Ikea-Farben gelb und blau gestrichen sind. An jedem Ausstellun­gsort sollen Gegenständ­e mit lokalem Bezug hinzuarran­giert werden, schrieb Kippenberg­er fest. So stehen da nun Möbel aus dem Kinderzimm­er der Familie Krupp aus der Villa Hügel neben einem Schreibtis­ch, in dem elf Kippenberg­er-Bilder versteckt sind. Darauf ist jeweils ein Mann zu sehen, der gegen einen Panzer pinkelt. Dazu rufen aus einem Fernseher Cheerleade­r: „Martin, we love you.“

Martin Kippenberg­er stärkte das anstößige Potenzial der Kunst. Er verwob seine Arbeiten mit der Wirklichke­it, er machte aus dem Alltag Kunst, die Alltäglich­keit reflektier­te. In der Essener Kafka-Installati­on ist alles miteinande­r verquickt. Die Utopie von der Vollbeschä­ftigung geistert im Puppenhaus der Kulturgesc­hichte, und bis zum Abpfiff versuchen alle, möglichst bequem zu sitzen und vor ihrem Gegenüber eine gute Figur zu machen. Dahinter rauscht der Subtext.

Ein Bild des Lebens also.

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