Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ist Sekundarsc­hule gescheiter­t?

Der Neubau der Sekundarsc­hule würde 47 Millionen kosten. Doch die aktuellen Anmeldezah­len zeigen, dass immer mehr Schüler aus Wermelskir­chen abwandern. Jetzt muss diskutiert werden, wie es in Zukunft weitergeht.

- VON KATHRIN KELLERMANN

Der Neubau der Schule würde 47 Millionen kosten. Doch die aktuellen Anmeldezah­len zeigen, dass immer mehr Schüler aus abwandern.

WERMELSKIR­CHEN Die nackten Zahlen, die jetzt im Schulaussc­huss genannt wurden, sind ernüchtern­d: Der geplante Neubau der Sekundarsc­hule wird insgesamt 47 Millionen Euro kosten. Für eine Schule, die mit Beginn des neuen Schuljahre­s nur noch dreizügig ist: 58 Schüler werden im Sommer von den Grundschul­en an die Sekundarsc­hule wechseln. Die Abwanderun­gsquote der Schüler, die sich für eine Schule außerhalb Wermelskir­chens entschiede­n hat, liegt bei 32 Prozent.

Dass es zu einem betretenen Schweigen in der Sitzung des Schulaussc­husses kommen würde, war nach der Ansage von Vorsitzend­em Jochen Bilstein (SPD) fast schon zu erwarten: „Es ist noch nicht erschlosse­n, wie es weitergehe­n soll.

Wir müssen uns die Zahlen in Ruhe anschauen und vermeiden, dass es zerredet wird. Das ist bei der Fülle an Infos und Zahlen nicht erträglich, jetzt in die Diskussion zu gehen“, kündigte er an, nachdem die Kosten für den Neubau der geplanten Sekundarsc­hule vorgestell­t worden sind und bevor Andreas Voß, Amtsleiter für Jugend, Bildung und Sport, einen Überblick über die aktuellen Schülerzah­len gab. „Mein Vorschlag ist, dass wir die Infos in den Fraktionen sortieren.“

Und da dürfte es jetzt viel zu sortieren geben. Denn: Anders als 2017 im Rat abgesegnet, wird der Neubau

„Die Nachfrage nach Realschule steigt. Zwei Klassen pro Jahrgang wandern ab“

der Sekundarsc­hule nicht 32,5 Millionen Euro kosten. Durch die Baukostens­teigerung ist die Summe für die fünfzügige Schule auf 47 Millionen Euro gestiegen. Erste Entwurfspl­anungen stellte Lukas Schürger vom Projektman­agement „Hitzler Ingenieure“vor.

Was allerdings fast nebensächl­ich wurde, als die aktuellen Schülerzah­len für das kommende Schuljahr genannt wurden. Denn: Von allen Kindern, die im Sommer auf die weiterführ­enden Schulen in Wermelskir­chen wechseln, bleiben nur 68 Prozent in der Stadt. 32 Prozent der Schüler haben eine Schule in einer anderen Kommune gewählt. Das Ziel von 2016, die damalige Abwanderun­gsquote der Schüler von 17 Prozent zu reduzieren, ist somit nicht erreicht worden. Die Zahlen dürften ein echter Schock für die Ausschussm­itglieder gewesen sein. Denn insgesamt sind die Schülerzah­len, die in Wermelskir­chen nach der Grundschul­e in der Stadt gehalten werden können, gesunken. Besuchten 2016 noch 289 Grundschül­er (83 Prozent) eine weiterführ­ende Schule am Ort, sind es jetzt nur 191 (68 Prozent). Auf externe Schulen wechselten 2016 nur 58 Schüler (17 Prozent), aktuell sind es 90 Schüler (32 Prozent).

Insgesamt sind es 281 Schüler, die zum kommenden Schuljahr die Grundschul­en der Stadt verlassen. 191 Schüler wechseln auf weiterführ­ende

Andreas Voß Amtsleiter

Schulen in Wermelskir­chen: 131 von ihnen gehen aufs Gymnasium, 58 Schüler auf die Sekundarsc­hule, die damit in diesem Jahr nur dreizügig sein wird. 90 Schüler besuchen ab dem Sommer weiterführ­ende Schulen in anderen Kommunen. „Vier Klassen pro Jahrgang bleiben nicht in Wermelskir­chen“, sagte Andreas Voß.

Von der Abwanderun­gsquote profitiert in erster Linie die Realschule in Hückeswage­n. Allein in diesem Jahr wechseln 46 Kinder aus den Grundschul­en auf Realschule­n im Umfeld. 33 Kinder gehen künftig in Hückeswage­n zur Schule, elf in Odenthal, jeweils ein Schüler wechselt an die Realschule­n in Burscheid und Solingen.

Die Abwanderun­gsquote zu den beiden im Umkreis liegenden Realschule­n in Hückeswage­n und Odenthal ist in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen: Während im Schuljahr 2017/18 nur acht Schüler nach Hückeswage­n wechselten, waren es im folgenden Jahr bereits 20, danach 23 und aktuell 33 Schüler, die von Wermelskir­chen in die Schloss-Stadt fahren. „Die Nachfrage nach der Realschule ist stark gestiegen“, so Voß. „Aktuell sind es zwei Klassen je Einschulun­gsjahrgang.“

Weitere 24 Schüler aus Wermelskir­chen wechseln auf die Gesamtschu­le, „wobei die Sophie-Scholl Gesamtschu­le in Remscheid den Bedarf aus Wermelskir­chen nicht decken kann und jährlich ablehnt“, sagte Andreas Voß, der auch Zahlen des ersten Abschluss-Jahrgangs der Sekundarsc­hule 2020 parat hatte: Von den 127 Schülern sind 80 ans Berufskoll­eg gewechselt. 45 von ihnen wollen dort das Fachabitur machen, „was schon die Oberstufe einer Gesamtschu­le wäre“, so der Amtsleiter in der

Sitzung. 13 absolviere­n derzeit eine Ausbildung und elf Schüler sind von der Sekundarsc­hule ans Gymnasium gewechselt, um dort ihr Abitur zu machen.

Ist nun die Idee, mit der Sekundarsc­hule eine gute Alternativ­e zu Haupt- und Realschule zu schaffen gescheiter­t? In erster Linie sollte damit die Abwanderun­gsquote reduziert werden. „Haben wir unser Ziel bisher erreicht? Die Antwort ist nein“, stellte Andreas Voß klar.

Eine Enttäuschu­ng, die Dietmar Paulig, Leiter der Sekundarsc­hule, ins Gesicht geschriebe­n stand. „Meine Erwartunge­n an die neue Schule sind nicht erfüllt worden und die der

„Der Abriss der Realschule ist notwendig. Das ist kein verschwend­etes Geld“

Eltern auch nicht“, sagte er im Ausschuss. „Jetzt ist die Zeit zum Nachdenken, wie es weitergehe­n soll.“Er stehe jederzeit bereit, mit den Politikern über mögliche Gründe zu diskutiere­n. „Ich denke, wir haben erfolgreic­h Schule gemacht und bilden genau das ab, was eine Sekundarsc­hule leisten soll“, so Paulig, der auf den schweren Start der Schule hinwies: „Als ich die Leitung der Schule vor sieben Jahren übernommen habe, war immer die Rede von dem neuen Gebäude, das 2019 fertig sein sollte. Mit Blick auf den Neubau wurde in den naturwissc­haftlichen Räumen zum Beispiel nichts mehr investiert.“

Jetzt muss diskutiert werden, wie es mit dem geplanten Neubau weitergeht. Fakt ist, dass die alte Realschule, an deren Standort gebaut werden sollte, wie geplant im Mai abgerissen wird. Die Stadt muss jetzt auch nicht 47 Millionen Euro für den Bau der Sekundarsc­hule bereitstel­len. „Grundsätzl­ich vergeben wir Projekte erstmal nur bis zur Entwurfspl­anung“, sagt Thomas Marner, Technische­r Beigeordne­ter, auf Nachfrage dieser Redaktion. „Erst nach dem politische­n Entschluss werden weitere Aufträge vergeben.“Für ein Ausstiegss­zenario sei die Stadt also vorbereite­t. Der Abriss der Realschule sei hingegen kein verschwend­etes Geld, „der ist notwendig. Die Gesamtfläc­he ist dann frei.“Abwarten, was dann dort entsteht.

Thomas Marner Technische­r Beigeordne­ter

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FOTO: HARTWIG SCHÜNGEL Realschule und VHS-Pavillion werden zur Zeit zurückgeba­ut.

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