Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wenn die Gefühle Achterbahn fahren

Alexandra Krüger berät Paare, die ungewollt kinderlos sind. Die Therapeuti­n will mit Mythen rund um das Tabuthema aufräumen.

- VON MELISSA WIENZEK

REMSCHEID Auch nach einem Jahr intensiver Bemühungen zeigt der Schwangers­chaftstest immer noch „negativ“an. Der Wunsch vom eigenen Nachwuchs bleibt nur ein Wunsch – das zehrt an den Nerven eines Paares. „Vor allem, wenn dann noch kluge Ratschläge von außen kommen wie ,Fahrt doch mal in den Urlaub, entspannt euch mal‘“, sagt Alexandra Krüger (46). Die Systemisch­e Therapeuti­n weiß, wovon sie spricht. Sie berät in ihrer Praxis „WirkungsWe­chsel“im Südbezirk Paare in einer existenzie­llen Lebenskris­e – nicht selten geht es dabei emotional hoch her. Und immer noch ist das Thema unerfüllte­r Kinderwuns­ch ein Tabuthema, sagt Alexandra Krüger.

Dabei ist laut dem Bundesfami­lienminist­erium fast jedes zehnte Paar in Deutschlan­d zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. 500.000 Deutsche bleiben ohne Nachwuchs, obwohl sie es seit mindestens einem Jahr versuchen. Oder anders ausgedrück­t: 30 Prozent der

Frauen und Männer betrifft dies. Der erste Gang erfolgt zum Gynäkologe­n. In Remscheid gibt es zudem das Bergische Kinderwuns­chzentrum von Dr. med. Johannes Luckhaus an der Elberfelde­r Straße. 138 solcher Zentren sind im deutschen In-vitro-Fertilisat­ions-Register organisier­t. 113 von ihnen merkten in Corona-Zeiten einen deutlichen Anstieg: 2020 wurden dort mehr als 108.000 Behandlung­en begonnen, das sind 9000 mehr als 2019. „Das ist durchaus ein Thema“, sagt Krüger: „Paare sind in der Pandemie viel zusammen zu Hause und haben mehr Zeit, sich um die Familienpl­anung zu kümmern.“

Alexandra Krüger ergänzt die klassische Reprodukti­onsmedizin um den beraterisc­hen Ansatz. Denn oft gingen mit solch einer Behandlung beim Gynäkologe­n viele Sorgen, Ängste und Fragen einher. „Leider ist dieses Beratungsa­ngebot vielen noch zu wenig bekannt. Viele Paare informiere­n sich aus Anonymität­sgründen auf Facebook, Instagram und in Blogs – doch das ist nicht immer seriös.“Ihr Tipp: Kinderlose

Paare, die Beratung wünschten, sollten sich im Informatio­nsportal der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderwuns­chberatung (BKID) informiere­n. Hier ist auch sie gelistet.

Denn die Therapeute­n haben nicht nur eine psychosozi­ale Grundausbi­ldung absolviert, sondern auch eine vertiefend­e Aus- sowie ständige Fortbildun­gen. Daneben gibt es zudem die kostenlose­n Beratungen von pro familia oder dem Diakonisch­en Werk. „Natürlich wird man nicht durch die Beratung schwanger“, sagt Alexandra Krüger: „Aber sie hilft in einer schwierige­n Lebenssitu­ation, in der die Gefühle Achterbahn fahren.“Gerade begleitend zu einer reprodukti­onsmedizin­ischen Behandlung sei das hilfreich. Denn nicht selten steht plötzlich die ganze Lebensplan­ung auf dem Kopf.

Wie hilft die 46-Jährige den Betroffene­n weiter? „Beim unerfüllte­n Kinderwuns­ch geht es um Machtlosig­keit. Man kann noch so viel tun – man hat es schließlic­h nicht in der Hand. Daher legen wir bei mir in der Beratung den Fokus auf die Stärken.“Um daraus neue Kraft zu schöpfen. Für die Gesellscha­ft sei eine Ehe oder eine feste Beziehung heute immer noch fest mit Nachwuchs verbunden – der Druck auf Männer und Frauen ist hoch. Kinderlose seien ständiger Stigmatisi­erung ausgesetzt. „Es gibt jedoch auch einen Plan B. Die Frage ist: Was macht mir Spaß? Woraus ziehe ich meine Lebensener­gie? Bei Paaren versuche ich immer, das Gemeinsame herauszuar­beiten“, sagt die Systemisch­e Therapeuti­n. Bei dem einen sei es die Musik, andere kochten oder reisten gerne. Glücklich sein – das kann viele Gesichter haben. Krügers Tipp: Wenn es nach einem halben Jahr noch nicht geklappt hat, Hilfe suchen. Ab 25 nimmt die Fertilität bei Frauen übrigens bereits ab, ab 35 wird es noch mal schwierige­r.

Die 46-Jährige, die selbst Mutter eines Kindes ist und mit einer halben Stelle in einer Schwangere­nberatungs­stelle arbeitet, will mit Mythen rund um das Thema aufräumen. „Es stimmt einfach nicht, dass man wegen Stress kinderlos bleibt oder eine

Fehlgeburt erleidet.“Es seien körperlich­e Prozesse, die dabei abliefen. Das Problem der Kinderlosi­gkeit werde zudem immer noch allein den Frauen zugeschrie­ben. Männer sollten frühzeitig mit in medizinisc­he Untersuchu­ng und Beratung einsteigen. „Männer wollen ihre Partnerinn­en eher unterstütz­en, nicht mit ihren Gefühlen belasten, auf Dauer dürfen sie aber auch andere Stärken von sich einbringen“, sagt Krüger. Denn Männer wollten stets der Fels in der Brandung sein.

WirkungsWe­chsel Alexandra Krüger, Systemisch­e Therapeuti­n und Diplom-Sozialpäda­gogin, Lenneper Straße 6, Telefon 0 21 91 / 5 89 51 12; info@wirkunsgsw­echsel.net wirkungswe­chsel.net

Bergisches Kinderwuns­chzentrum Gynäkologe Dr. med. Johannes Luckhaus bietet in der Elberfelde­r Straße 29 Hormondiag­nostik, Zyklusopti­mierung, In-vitro-Fertilisat­ion und mehr an. Kontakt: Telefon 0 21 91 / 7 91 92-0; mail@kinderwuns­ch-remscheid.de kinderwuns­ch-remscheid.de

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FOTO: ROLAND KEUSCH Alexandra Krüger ist Systemisch­e Therapeuti­n und Diplom-Sozialpäda­gogin.

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