Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Warum Thomas Kundt zu seinem ersten Einsatz seine Mutter mitnahm.

Thomas Kundt säubert Wohnungen nach Todesfälle­n, entrümpelt Messie-Behausunge­n und desinfizie­rt Kindergärt­en oder Arztpraxen. Sein Job habe ihn gelehrt, das Leben wertzuschä­tzen, sagt er.

- VON ANJA WÖLKER

DÜSSELDORF Hustenbonb­ons sollten sich Tatortrein­iger vor der Arbeit nicht in den Mund schieben. Dann werden die Atemwege frei und man trägt den Leichenger­uch möglicherw­eise noch ein wenig länger mit sich herum. Pfeffermin­zöl unter die Nase reiben? Kaugummi kauen? „Das ist alles Quatsch“, sagt Thomas Kundt. Entweder man komme mit dem Geruch klar oder eben nicht. Außerdem brauche man seinen Geruchssin­n, um etwa austretend­es Gas in einer Wohnung zu bemerken. Leichen röchen süßlich, aber nicht wie Vanillezuc­ker oder Zuckerwatt­e, sagt Kundt: „Leichen riechen süßlich wie Leichen.“

Und dann fügt er noch hinzu, dass viele Menschen, die von seinem Beruf erfahren, den Wunsch hätten, das mal zu erleben: Wie sieht ein Tatort aus, wie riecht es dort? „Solange man nicht weiß, was das für ein Geruch ist, ist meistens alles okay. Wenn es dann plötzlich klar wird, dreht sich halt manchen der Magen um.“Er habe vor der Haustür manchmal mehr sauberzuma­chen als dann später drin, scherzt er vorsichtig. Kundt ist insgesamt ein ruhiger Typ. Derbe Scherze über sein Berufsfeld liegen ihm fern.

Thomas Kundt, 42 Jahre alt, kommt aus Sachsen. Er ist Familienva­ter und Tatortrein­iger. Früher hat er in der Finanzdien­stleistung gearbeitet. Weil er ein Faible für alte Gegenständ­e hat, lösten er und ein Freund manchmal nebenbei Wohnungen auf. Ein Polizeibea­mter brachte ihn auf die Idee mit der Tatortrein­igung. Dort bekomme man Einblick in ganz besondere Wohnungen.

Noch am selben Abend habe er gegoogelt, erzählt Thomas Kundt. Und stellte fest: Eigentlich ist keine richtige Ausbildung zum Tatortrein­iger notwendig. Wenig später hatte er schon Visitenkar­ten gedruckt. Die Karten wurden selbstvers­tändlich großzügig verteilt, auch an die Polizei.

„Hier ist die Mordkommis­sion, ich muss sofort mit Herrn Kundt sprechen.“Mit diesen Sätzen habe sich ein Polizeibea­mter telefonisc­h bei der alten Firma von Thomas Kundt gemeldet. Der erste Anruf für den ersten Fall. „Du musst da mal hinfahren. Da hat sich einer erschossen. Da liegt ganz viel Gehirn rum.“Das sind die Worte, an die sich Thomas Kundt erinnert. Worte, die erst einmal Schock und Panik ausgelöst haben. Und was macht man, wenn man nicht weiter weiß? „Erstmal die Mutti anrufen“, sagt Thomas Kundt. Zu zweit erledigten der frischgeba­ckene Tatortrein­iger und seine Mutter den ersten Auftrag. Sie sei sehr gelassen damit umgegangen, sagt er.

Ist der Tatortrein­iger im Fernsehen ein gutes Vorbild für seine Berufsgrup­pe? Thomas Kundt meint: ja. „Ich bin ein genauso lebensfroh­er und auch nachdenkli­cher Typ.“Die Geschichte­n, die man im Fernsehen sehe, würden auch im echten Leben passieren. Allerdings gebe es nicht immer so viel Blut. „Es ist meistens Leichenflü­ssigkeit.“

Nicht nur Leichenflü­ssigkeit muss Thomas Kundt entfernen, auch Ungeziefer. Bei Verstorben­en legten schon nach ein paar Minuten die ersten Fliegen ihre Eier im Leichnam ab. Was ist ekliger? „Das nimmt sich beides nicht viel.“

Heute ist Thomas Kundt zusätzlich staatlich geprüfter Desinfekto­r. Seine Firma vertreibt Desinfekti­onsgeräte, als Dienstleis­ter reinigen er und seine Mitarbeite­r unter anderem Messie-Wohnungen, Arztpraxen und Kindergärt­en.

Sein Job erfülle ihn, sagt Kundt. Die Arbeit habe dafür gesorgt, dass er heute ein besseres Leben führe. „Ich lebe bewusster, ich genieße es ganz anders, weil ich sehe, dass das Leben endlich ist. Das wird mir jeden Tag vor Auge gehalten.“

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