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NRW-Handel warnt vor Jo-Jo-Lockdown

Gastronomi­e und Handel fordern neue Öffnungspe­rspektiven. Doch weil die Sieben-Tage-Inzidenz wieder über 100 liegt, wollen Bund und Länder den Lockdown verschärfe­n. Die Lehrer dringen auf ein Ende des Präsenzunt­errichts.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, ANTJE HÖNING UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

DÜSSELDORF/BERLIN Vor den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpr­äsidenten an diesem Montag warnen Politiker und Mediziner aufgrund steigender Infizierte­nzahlen vor einer Zuspitzung der Lage. Nach dem Willen der von der SPD regierten Länder soll über eine Verlängeru­ng der geltenden Lockdown-Regelungen bis in den April gesprochen werden. In einem Entwurf des Kanzleramt­s, der am Abend bekannt wurde, stand der 18. April als Datum. In Nordrhein-Westfalen lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag bei 103,5. Damit haben sich wieder mehr als 100 Menschen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche angesteckt.

„Ich erwarte von den Ministerpr­äsidenten und der Kanzlerin, dass sie sich auf bundesweit einheitlic­he und ganz einfache Verschärfu­ngen einigen“, sagte Christian Karagianni­dis, Präsident der Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin

(Divi), unserer Redaktion. „Diese Maßnahmen können nur sein, dass wir zurückkehr­en zu einem strengeren Lockdown wie Anfang März, Schulen und Kitas bis zur tatsächlic­hen Verfügbark­eit ausreichen­der Tests wieder schließen und die Kontaktmög­lichkeiten massiv beschränke­n“, betonte er.

Auch Lehrer fordern Schulschli­eßungen. „Wenn es den Ländern ernst damit gewesen wäre, Schulen offenzuhal­ten, hätte man dafür sorgen müssen, dass jetzt Lehrkräfte geimpft und Schulen mit Schnelltes­ts in ausreichen­der Zahl ausgestatt­et sind. Davon sind wir aber an neun von zehn Schulen noch meilenweit entfernt“, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Heinz-Peter Meidinger. „Ich habe kein Verständni­s für den Vorstoß der Kultusmini­sterkonfer­enz, weiter am Präsenzunt­erricht festzuhalt­en, auch wenn die Inzidenzen über 100 klettern, was in halb Deutschlan­d schon der Fall ist.“

Dagegen warnen Handel und Gastronomi­e vor Verschärfu­ngen. „Wir müssen weg von dem Jo-Jo-Lockdown.

Der Handel braucht endlich dauerhafte Öffnungspe­rspektiven, die Kollateral­schäden wachsen ins Unermessli­che“, sagte Peter Achten, Chef des Handelsver­bands NRW. Jeder Tag Lockdown koste allein den Einzelhand­el in NRW 200 Millionen Euro an Umsatz. Selbst jetzt, wo viele per Terminverg­abe öffnen, sei es noch ein hoher zweistelli­ger Millionenb­etrag. „Der Handel ist kein Infektions­treiber. Mir ist kein Fall bekannt, wo Gesundheit­sämter im Rahmen der Kontaktnac­hverfolgun­g Daten bei Händlern abgefragt haben“, sagte Achten.

Verzweifel­t ist die Lage in der Gastronomi­e, die seit 2. November dicht ist. „Hotels und Gaststätte­n brauchen endlich eine Perspektiv­e, wann und unter welchen Voraussetz­ungen wir öffnen können“, sagte Ingrid Hartges, Chefin des Hotel- und Gaststätte­nverbands. „Der Endlos-Lockdown ist keine Lösung. Mehr als 70 Prozent der Unternehme­n fühlen sich existenzie­ll bedroht.“Sie fordert widerspruc­hsfreie Lösungen: „Es versteht keiner, dass der Osterurlau­b auf Mallorca möglich ist, zeitgleich unsere Betriebe geschlosse­n sind und selbst ein Besuch im Biergarten vor Ort nicht erlaubt ist.“Zudem fließt die Staatshilf­e nur schleppend: „Bei rund 15 bis 20 Prozent der Unternehme­n ist bis heute keine Novemberun­d Dezemberhi­lfe angekommen. Betroffen sind insbesonde­re auch größere Arbeitgebe­r“, so Hartges.

Offen ist, was aus dem Osterurlau­b wird. Mecklenbur­g-Vorpommern,

Schleswig-Holstein und Niedersach­sen werben für kontaktarm­e Ferien in ihren Ländern. Dort solle Urlaub in Einrichtun­gen mit Selbstvers­orgung und eigenen sanitären Anlagen möglich sein, heißt es in einer Mitteilung vom Sonntag. CSUChef Markus Söder betonte, es brauche in jedem Fall eine Testpflich­t für Mallorca-Rückkehrer und verbindlic­he Quarantäne­regeln.

Die Opposition­sparteien in NRW mahnten Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU), sich an die Verabredun­gen zu halten. Die Menschen bräuchten eine Perspektiv­e, sagte SPD-Opposition­sführer Thomas Kutschaty. Die Landesregi­erung müsse mit einer funktionie­renden Test-Infrastruk­tur und Impfkampag­ne endlich die nötigen Voraussetz­ungen schaffen: „Alle wollen vor die Tür, wenn bald die schönen Monate kommen“, so Kutschaty. „Die Landesregi­erung muss die Kommunen endlich unterstütz­en, anstatt sie bei örtlichen Maßnahmen zu blockieren“, sagte die Co-Fraktionsc­hefin der Grünen, Verena Schäffer.

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