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Corona-Demo eskaliert

Tausende Kritiker der Maßnahmen von Bund und Ländern zogen am Wochenende durch die Innenstadt. Bei den Gegenprote­sten kam es zu gewaltsame­n Zusammenst­ößen mit der Polizei. Nun regt sich daran Kritik.

- VON CHRISTIAN EBNER UND GÖRAN GEHLEN

KASSEL (dpa) Nach der Demonstrat­ion mit gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen von mehr als 20.000 Menschen am Samstag in Kassel gegen Corona-Auflagen wird Kritik an dem Polizeiein­satz laut. Bei dem Protest wurden massiv die gerichtlic­h bestätigte­n Auflagen missachtet, die eigentlich nur 6000 Teilnehmer auf einem Doppelplat­z in der Peripherie zugelassen hatte. Viele Teilnehmer hielten sich nicht an die Auflage, Mund-Nasen-Schutzmask­en zu tragen. Die Polizei war mit einem Großaufgeb­ot präsent, an einigen Orten mit Wasserwerf­ern. Selten versuchte sie, die Regeln durchzuset­zen. Bei den nicht genehmigte­n Umzügen um den Stadtkern hielt sie sich zurück.

„Der Staat darf nicht zurückweic­hen, und die Polizei muss konsequent dagegen vorgehen“, sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unions-Bundestags­fraktion, Thorsten Frei, der „Welt“. Der FDP-Innenpolit­iker Konstantin Kuhle sagte der Zeitung: „Wenn dann, wie in Kassel, Regeln nicht eingehalte­n werden, weil Teilnehmer Abstände nicht einhalten, keine Masken tragen oder sich trotz Verbots an bestimmten Plätzen versammeln, muss die Polizei konsequent handeln und eine Versammlun­g umgehend beenden.“

Hessens Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) kündigte am Sonntag eine gründliche Nachbereit­ung des Einsatzes an. „Kurz nach dem Einsatz lässt sich festhalten, dass Eskalation­sversuche sowie Gewalt gegen die Einsatzkrä­fte nicht hingenomme­n und entschloss­en unterbunde­n wurden.“

Während eines illegalen Demonstrat­ionszuges durch die Innenstadt kam es am Samstagmit­tag zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen. Die Polizeifüh­rung hatte ihr Vorgehen verteidigt. Der Verzicht auf Zwangs- und Verfolgung­smaßnahmen sei notwendig und angemessen gewesen. Ein anderes Vorgehen hätte zu Verletzten führen können.

Bei den Auseinande­rsetzungen seien mehrere Beamte angegriffe­n worden, erklärte ein Polizeispr­echer. Auch Journalist­en wurden angegangen und beschimpft. Die Polizisten

setzten den Angaben zufolge Schlagstöc­ke und Pfefferspr­ay ebenso ein wie den Wasserwerf­er. Es habe rund ein Dutzend Festnahmen gegeben.

Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD-Landtagsfr­aktion in Hessen, Günter Rudolph, sagte, es sei „ein absolut unverständ­liches Zurückweic­hen des Staates“gewesen. Das Einsatzkon­zept der Polizei sei offenkundi­g gescheiter­t. Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CDU-Fraktion, Holger Bellino, nahm die Polizei in Schutz.

Das Internatio­nale Auschwitz Komitee sieht durch die Querdenker-Bewegung die Demokratie in Gefahr. Sie würden für die Gesellscha­ft

zu einer Gefahr, zumal die Polizei offensicht­lich diese Bewegung in ihrem bürgerlich­en Erscheinun­gsbild nicht hinreichen­d ernst nehme und trotz gerichtlic­her Vorgaben Milde und Rücksicht walten lasse, sagte der Exekutiv-Vizepräsid­ent des Komitees, Christoph Heubner. Die Polizei schien insgesamt unzureiche­nd auf die Vorkommnis­se vorbereite­t gewesen zu sein, sagte der Vorsitzend­e des Deutschen Journalist­enverbands Hessen, Knud Zilian. Wenn das widerrecht­liche Handeln der Demonstran­ten schon nicht unterbunde­n wurde, so hätten zumindest auch Journalist­en geschützt werden müssen. Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD)

kündigte nach mehreren Videos, die aggressive Einsätze Thüringer Polizisten bei der Demonstrat­ion zeigen, Konsequenz­en an. „Selbstvers­tändlich wird der Einsatz kritisch nachbereit­et. Auch mir stellen sich aufgrund der Bilder drängende Fragen“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter. Das Video zeigt Polizisten, wie sie aggressiv und gewaltsam gegen eine Gegendemon­strantin mit Fahrrad vorgehen. Auch andere Videos zeigten, wie Polizisten gewaltsam gegen Gegendemon­stranten vorgehen.

Am Nachmittag ging es bei dem Protest friedliche­r zu. Die Demonstran­ten waren bunt gemischt: Familien, Querdenker, Selbststän­dige,

Verschwöru­ngstheoret­iker, Hippies und Impfgegner. Wer genau zu welchem Lager gehörte, war nur zu erahnen: Regenbogen-Fahnen wehten neben Flaggen verschiede­nster Länder, „Merkel muss weg“-Transparen­te standen neben „Gegen-Rassismus“-Schildern.

Die hessischen Polizisten erhielten Unterstütz­ung aus Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Auch die Bundespoli­zei und ein Hubschraub­er waren im Einsatz. Zu der Demonstrat­ion hatten Veranstalt­er unter dem Motto „Freie Bürger Kassel – Grundrecht­e und Demokratie“aufgerufen.

Demonstrie­rt werden durfte laut Beschluss des Hessischen Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VGH) nur auf dem Messegelän­de Schwanenwi­ese mit bis zu 5000 Teilnehmer­n und dem angrenzend­en Platz der Deutschen Einheit mit maximal 1000 Menschen. Die nordhessis­che Stadt hatte die Versammlun­gen wegen der zuletzt steigenden Zahl von Corona-Infektione­n zunächst verboten.

Die Polizei in Dortmund hat eine für Sonntag angekündig­te Versammlun­g von Impfgegner­n nun verboten. Die Ereignisse in Kassel sowie Verstöße bei vorherigen Demonstrat­ionen gegen die Corona-Auflagen in Dresden und Berlin haben zu der Entscheidu­ng geführt, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Der Beschluss werde unter anderem mit dem gewaltsame­n Vorgehen von Protestier­enden in Kassel gegen Polizeibea­mte und Gegendemon­stranten begründet. Die Geschehnis­se ließen darauf schließen, dass eine friedliche Meinungsäu­ßerung nicht das Ziel der Bewegung sei, erklärte die Polizei. Auch geht sie davon aus, dass aktuelle Hygienemaß­nahmen nicht eingehalte­n würden.

„Es ist die Stärke unserer Verfassung, dass kritische Meinungen öffentlich auf Versammlun­gen friedlich und ohne Waffen geäußert werden können“, erklärte Polizeiprä­sident Gregor Lange. „Wenn dabei jedoch durch die Versammlun­g gegen Recht und Ordnung verstoßen wird und eine Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit vorliegt, ist es unserer Aufgabe, solche Versammlun­gen zu verbieten“, bekräftigt­e der Polizeiprä­sident das Verbot.

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FOTO: LEONHARD SIMON/IMAGO Polizisten im Einsatz auf einer Kundgebung gegen die Corona-Auflagen in der Innenstadt von Kassel. Ihnen wird vorgeworfe­n, nicht konsequent durchgegri­ffen zu haben.

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