Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ein Impfstoff auch fürs Image
Das russische Corona-Vakzin Sputnik V soll bald auch in der Europäischen Union zugelassen werden. Der Kreml erhofft sich von der Vermarktung Prestigegewinne.
MOSKAU Wer nicht will, der hat schon. Nach dieser Devise verstärkt Russland seine Impfdiplomatie in Europa. „Menschen sterben, aber Impfungen mit unserem Vakzin Sputnik V soll es in der EU nicht vor Juni geben“, behauptet etwa der Sprecher der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin. Rhetorisch fragend fügt er hinzu: „Wer ist schuld daran, dass Menschen einen vorhandenen Impfstoff nicht bekommen dürfen?“Antwort: Wir nicht. Sputnik V sei ein hervorragendes Präparat, das weltweit bereits in mehr als 50 Staaten zugelassen sei. Nur die EU zögere. Selbst schuld, so Wolodins Fazit.
Ähnlich sehen es auch immer mehr Politiker in der EU. Ungarn hat für Sputnik V im Januar eine nationale Notfallzulassung erteilt. Die Regierungen in Tschechien und der Slowakei haben den Impfstoff ebenfalls bereits geordert. In Deutschland wollen vor allem die Länderchefs schnell Taten sehen. „Wir brauchen jeden Impfstoff, den wir kriegen können“, mahnte zuletzt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Und der Bayer Markus Söder verlangte, die EU müsse jetzt handeln, und zwar „ohne das klassische bürokratische Klein-Klein-Verfahren“. Das zielte in erster Linie auf die Brüsseler Kommission, die „jetzt überlegen muss, wie wir den Impfstoff kaufen können, nicht erst, wenn die Zulassung kommt“.
Im Mittelpunkt der Kritik steht jedoch die Europäische Arzneimittelbehörde
(Ema) in Amsterdam, die für die Empfehlung zur Zulassung zuständig ist. Dazu beigetragen hat ausgerechnet Christa Wirthumer-Hoche, Vorsitzende des Ema-Verwaltungsrates. Die Österreicherin sprach sich in einer Talkshow nicht einfach nur gegen eine Notfallzulassung von Sputnik V aus, wie sie es gut begründet hätte tun können. Schließlich hat bislang auch kein anderer Impfstoff eine solche Zulassung erhalten. Stattdessen warnte die Ema-Chefin in drastischen Worten davor, mit Sputnik V „russisches Roulette“zu spielen. Sie riet „absolut dringend“davon ab, das Vakzin ohne intensive Prüfung zu nutzen.
Das ließ sich nur als Warnung vor potenziell tödlichen Nebenwirkungen verstehen. Die Empörung in Russland war groß. Der Hersteller von Sputnik V forderte eine Entschuldigung. Tatsächlich deutet bislang nichts darauf hin, dass es mit dem von Moskauer Mikrobiologen entwickelten Präparat nennenswerte gesundheitliche Probleme geben könnte. Wolf-Dieter Ludwig, Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mitglied im Verwaltungsrat der Ema, erklärte am Samstag im Deutschlandfunk: „Ich halte das Prinzip dieses Impfstoffs für sehr intelligent.“So werde bei den beiden Injektionen jeweils eine andere Virushülle verwendet, um den Wirkstoff in die Zellen zu transportieren. Dieses Verfahren erhöhe tendenziell die Wirksamkeit, etwa im Vergleich mit dem Vakzin von Astrazeneca.
Zu ähnlichen Schlüssen kam im Februar eine Publikation im angesehenen britischen Fachmagazin „The Lancet“. Demnach schützt Sputnik V zu fast 92 Prozent vor einer Covid-19-Erkrankung. Nennenswerte Nebenwirkungen: keine. Außerdem kann der Impfstoff bei normalen Tiefkühltemperaturen gelagert werden, was die Impflogistik erleichtert. Dennoch meldete auch Spezialist
Ludwig Zweifel an und warnte indirekt vor einer vorschnellen Zulassung des russischen Vakzins: „Solche Publikationen sind immer nur 80 Prozent der Wahrheit.“Die Ema brauche schlicht mehr Daten.
Wie also ist der Stand der Dinge bei der Zulassungsbehörde in Amsterdam? Darüber gibt es höchst unterschiedliche Angaben. Wenn es bei der weiteren Prüfung keine bösen Überraschungen gebe, werde das Verfahren „sehr schnell“abgeschlossen, glaubt Ludwig und prophezeit eine Ema-Zulassung für Sputnik V innerhalb von zwei bis drei Wochen. In Russland ist man skeptischer. Er rechne erst im Sommer mit einem Okay aus Amsterdam, sagte zuletzt Kirill Dmitrijew, der Chef des staatlichen Sputnik-Geldgebers RDIF. Mitte April werde eine Ema-Delegation zu Gesprächen in Moskau erwartet, erklärte er. Das wäre zu einem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren laut Ludwig eigentlich schon abgeschlossen sein soll.
Es sind solche Widersprüche, gepaart mit einer spärlichen Informationspolitik beim Hersteller und bei der Ema, die den Sputnik-Streit immer wieder anheizen. So ist unklar, welche Mengen des Vakzins in den kommenden Monaten überhaupt in die EU geliefert werden könnten. Hinzu kommt, dass die Führung
in Moskau die Vermarktung des Impfstoffs von Anfang an für politische Zwecke nutzte. Man versprach sich nicht nur Geld, sondern vor allem Prestigegewinne. Das zeigte sich schon im vergangenen August, als die russischen Behörden Sputnik V eine Notfallzulassung erteilten, obwohl die entscheidenden klinischen Studien noch nicht einmal begonnen hatten. Fachleute im Westen sprachen damals von einem „Experiment an Menschen“.
Die verbalen Konter konnten angesichts des angespannten Ost-West-Verhältnisses kaum ausbleiben. Je lauter in der EU die Kritik an der eigenen Impfkampagne wird, desto leichter fällt es etwa Kremlsprecher Dmitri Peskow, den Finger in die Wunde zu legen. Es gebe weltweit genug Abnehmer, die „unseren äußerst beliebten Impfstoff“gern haben würden, erklärte Peskow kürzlich. Mit anderen Worten: Russland braucht die EU nicht, aber die EU braucht Sputnik V.